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Ausgabe:

1879 Nr. 2

Spalte:

35-36

Autor/Hrsg.:

Morgott, Franz

Titel/Untertitel:

Die Mariologie des heiligen Thomas von Aquin 1879

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 2.

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mantiker des Heidenthums gezeichneten Caricatur das
Bild der Wirklichkeit' gegenüberzuftellen. Der 5. Ab-
fchnitt endlich (S. 46—64) weift aus dem ganzen Leben
und Streben von Straufs nach, dafs auch er gegenüber
der chriftlichen eine höhere Wahrheit keineswegs zu vertreten
hatte.

Der uns hier zugemeffene Raum verftattet es nicht,
die Schlottmann'fchen Ausführungen genauer zu Ikizziren.
Jeder, der fich für Straufs und unfere politifche und Kir-
chengefchichte feit 1840 intereffirt, wird auch ihnen mit
Intereffe folgen. Sie find überall gewiffenhaft und zeichnen
fich durch grofse Sorgfalt und Sachkunde aus. Freilich
lautet das Refultat für Fr. W. IV ebenfo günftig,
als ungünftig für Straufs (vgl. namentlich S. 46 u. 60).

Lennep. Lic. Dr. Thon es.

Morgott, Domkapit. Prof. Dr. Franz, Die Mariologie des
heiligen Thomas von Aquin. Freiburg i Br. 1878, Herder.
(V, 121 S. gr. 8.) M. 2. —

,Die demüthige Jungfrau von Nazareth, anfcheinend
nur ein Gegenftand des Herzens und frommer Andacht,
aber nicht des wiffenfchaftlichen Denkens, ift das Thema
geworden, an dem fich der menfchliche Geift vielleicht
am meiften geübt hat. Oder wer vermöchte heute die
Schriften zu zählen, die in allen Jahrhunderten zu Ehren
der feligften Jungfrau verfafst worden? Die marianifche
Literatur ift nachgerade unüberfehbar geworden'. Der
Verfaffer weift hin auf das Werk von Roskoväny (B. V.
in suo conceptu immaculata ex monumentis omnium saccidorum
dcmonstrata, Budapestini 1873), der allein über 20,000
mariologifche Schriften verzeichne. ,Der Grund hiefür ift
klar. Wenn jedes chriftliche Gemüth fich wie von felbft
zur jungfräulichen Mutter des Erlöfers hingezogen fühlt,
fo dass man das alte Wort Tertullian's anima naturaliter
christiana durch den Zufatz ergänzen konnte: et christiana
naturaliter Mariana, fo insbefondere das des chriftlichen
Denkers. Die Liebe zur wahren Wiffenfchaft ift untrennbar
von der Liebe zu derjenigen, welche der Menfchheit
die ewige Weisheit geboren hat' etc.

Die vorliegende Schrift gilt der Mari ologie des ,Furften
der Theologen'. Morgott berichtet uns, dafs abgefehen
von einer kleinen 1875 erfchienenen italienifchen Arbeit
feine Schrift die erfte die gefammte Mariologie des Aqui-
naten behandelnde Monographie fei. Um fo mehr ift der
Punkt bereits verhandelt worden, der an der Mariologie
diefes Theologen der intereffantefte ift und doch auch in
diefer Schrift den meiften Raum bekommen hat. Bekanntlich
nämlich hat ,der Engel der Schule' über die
zu feiner Zeit bereits als pia sententia verbreitete, feither
immer mehr hervorgetretene, fchliefslich am 8. Dec. 1854
zum Dogma erhobene Lehre von der unbefleckten Em-
pfängnifs der Maria fehr bedenkliche Aeufserungen gethan.
Dafs es zur Zeit als ein Kampf für die Ehre desfelben
erfcheint, diefe Aeufserungen fei es als Interpolationen
überhaupt wegzufchaffen, fei es vermittelft der Exegefe
fo zu wenden, dafs fie nicht länger im Widerfpruch mit
der ,nun mehr erklärten dogmatifchen Wahrheit' flehen,
ift einleuchtend. Morgott fchliefst fich denen an, welche
in der letzteren Weife die Lehre des ,englifchen Meifters'
mit dem Inhalt des kirchlichen Dogmas vereinbaren. In
der That kann man zweifelhaft fein, ob Thomas die in
der Bulle ,/nep'abilis' ausgefprochene Theorie bekämpfen
wolle. Er fagt zwar ausdrücklich: B. Virgo in peccato
originali fuit concepta, während jene Bulle feftftellt: Vir-
ginem in primo instanti sitae conceptionis fuisse . . . ab omni
originalis cidpae labe praeservalam. Aber es fragt fich,
ob beiderfeits unter dem Ausdruck conceptio dasfelbe ver-
ftanden wird. Nach dem officiellen Sprachgebrauch, den
Alexander VII 1661 vorfchrieb, foll conceptio, wenn es
fich um die Immaculata conceptio der Maria handelt, die
Schöpfung und Eingiefsung der Seele bedeuten. Die Seele
wurde nun aber nach fcholaftifcher Theorie nicht im Momente
der Entftehung des Leibes bereits miterfchaffen,
fondern erft am vierzigften Tage nachher. Morgott
fucht nun zu zeigen, dafs Thomas unter conceptio in der
angezogenen Aeufserung über Maria nicht den Act der
Entftehung der Seele, fondern blofs den der Entftehung
des Leibes verftanden wiffen wolle. Dann bliebe möglich
, dafs er dennoch die Idee gehabt, die das jetzige
Dogma ausfpricht, dafs die Seele der Maria von Anfang
an von. der Erbfünde frei gewefen. Morgott ftellt die
Lehre des Thomas fo dar, dafs freilich das Fleifch der
Maria urfprünglich mit Erbfünde behaftet gewefen, dafs
demgemäfs auch ihre Seele an fich mit Naturnothwendig-
keit der Erbfünde verfallen gewefen wäre, dafs aber Gott
um des Verdienftes Chrifti willen die Seele doch von
vornherein von der Erbfünde befreit hätte. Eine folche
Theorie ift in der That auch heutigen Tages noch erlaubt
, indem die Lehre über den Moment der Entftehung
der Seele noch nicht dogmatifch entfchieden ift. Die nach
Morgott bei Thomas vorliegende Anfchauung entfpricht
der bis jetzt feilgehaltenen Theorie der römifchen Kirche,
dafs Maria ihr Privileg nur dem Erlöfungswerke ihres
Sohnes verdankt, fo dafs ihre Sündlofigkeit der Bedeutung
des Verdienftes Chrifti keinen Abbruch thut.
Morgott berichtet, dafs in der Schule von Toledo um 1600
die Meinung aufgeftellt fei, das Privileg der Gottesmutter
müffe von dem Verdienfte Chrifti losgetrennt und von
ewigen, der Erlöfung vorausgehenden göttlichen Decreten
abhängig gemacht werden. Die dogmatifche Entwicklung
der Mariologie wird alfo auch jetzt wohl noch nicht für
immer zur Ruhe gekommen fein.

Vielleicht verargt der Verf. es mir, dafs ich nur ein
Capitel feiner Schrift hier zur Sprache gebracht. Es ge-
fchah, weil ich nur darin für proteftantifche Theologen
ein Intereffe erkennen konnte. Die Mariologie des Thomas
ift durch und durch fcholaftifch, ohne dafs das re-
ligiöfe Intereffe, welches in der Lehre über die Jungfrau
auf Seiten der römifchen Kirche waltet, greifbar würde.
So mochte ich nur über das referiren, was an der Theorie
des englifchen Meifters wenigftens von fpeciellerem ge-
fchichtlichem Belang ift.

Giefsen. Ferd. Kattenbu fch.

Lange, Oberconfift.-R. Prof. Dr. J. P., Grundriss der christlichen
Ethik. Heidelberg 1878, C. Winter. (VIII,
248 S. gr. 8.) M. 4. 80.

In rafchem Fluge läfst J. P. Lange die in dem Vorwort
feiner Encyklopädie verfprochenen Grundriffe einander
folgen, eine Encyklopädie, eine Hermeneutik und
eine Ethik in dem Zeitraum ungefähr eines Jahres! Ohne
Zweifel ift der vorliegende Grundrifs der Ethik jenen beiden
erftgenannten Schriften bedeutend überlegen, er enthält
vielfach anregende Gedanken, und wer fich der Mühe unterziehen
will, das Buch durchzuarbeiten, wird fich richerlich
dafür belohnt finden; es ift daher zu hoffen, dafs
es fich feinen Leferkreis erwerben wird, umfomehr, da
es an einem Compendium der Ethik fehlt. Aber gerade
als Compendium betrachtet, leidet es doch auch an den-
felben Mängeln, wie die in diefer Zeitfchrift Nr. 13 vor.
J. angezeigte Encyklopädie, und ich kann darum in
diefer' Hinficht einfach auf jene Anzeige verweifen. Die
Kraft diefes Buches liegt in der geiftvollen Ausführung
einzelner Capitel; aber es fehlt ihm Ordnung und Einheit
, Gefchloffenheit und Klarheit, und es ift darum
wefentlich ungeeignet, dem Anfänger einen Ueberblick
über das Syftem zu geben.

Die chriftliche Ethik hat die Aufgabe, das chriftliche
Leben nach Seiten feiner Activität in der Bethätigung
der Freiheit zur Darfteilung zu bringen. Wenngleich
J. P. Lange im Unterfchied von diefer Faffung mit de
Wette die Sittenlehre als die Lehre von den fittlichen
Zwecken behandeln möchte (S. 61), fo ftellt er fich doch
thatfächlich auf den Boden jener Erklärung, wenn er es