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Ausgabe:

1879 Nr. 21

Spalte:

507-508

Autor/Hrsg.:

Jordan, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Erfüllung des Christenthums 1879

Rezensent:

Hartung, Bruno

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Seite 1

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507 Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 21. 508

Jordan, Wilh., Die Erfüllung des Christenthums. Frank- [ fammenhang beider Gröfsen —, fodann aber, dafs wie-
furt a'M. 1879, Jordan's Selbftverlag. (VI, 331 S. gr. 8.) derum auf dem Boden diefer Vv'iffenfchaft eine neue, als

■jyj - _. 1 j^t ß _ i chriftlich bezeichnete Religion aufgebaut wird. Und

■'' ' ° ; hier dürfte der Verfaffer, abgefehcn davon, dafs es mehr

Der Dichter der Nibelunge fteigt, wie er felbft fagt, ; ais kühn ift, eine Anfchauung, welche mit dem hifto-
,vom Poetenftuhle hinab in den Streit der Schule', um, | rifchen Chriftenthum an pofitivem Inhalt fo gut wie
was er in feinen ,Andachten' im Gewände der Poefie | nichts gemein hat, als chriftlich religiös zu bezeichnen,
ausgefprochen, in ausführlicher Auseinanderfetzung dar- j fich einer Selbfttäufchung hingegeben haben, wenn er
zulegen und zu vertheidigen, und zwar im Wechfelver- ; fe:n von Wiffenfchaft und Poefie beherrfchtes Intereffe
kehr mit zwei Freunden, die ihn wegen der .Andachten' j mit dem religiöfen Bedürfnifs des Menfchen verwechfelt.
angegriffen haben, einem Straufsianer, welchem feine , Nicht diefes, fondern lebendiger Wiffenstrieb ift es,
Unterfchätzung des Chriftenthums vorgehalten wird, und I wenn 4^ Arbeiter auf der Dresdener Brücke den Aus-
einem orthodoxen Theologen, dem er feine Auffaffung einanderfetzungen über die Planetenbahnen begeiftert
desfelben gegenüber der neuen, auf Wiffenfchaft ge- 1 zuhören (S. 144 ff.). Zudem dürfte es von intellec-
gründeten des Verf., als unhaltbar nachweift. Materiell tuellem Standpunkt felbft, vom fittlichen zu fchweigen,
zwar fleht er völlig auf dem Standpunkt des ,neuen um nichts werthvoller fein, wenn man in ihrer Begründung

Glaubens' und hat auch für die biblifche Gefchichte
keine andere Betrachtungsweife, als etwa für die ,Ofterfage'
vom Sigfrid; gleichwohl hat er eine andere Antwort auf

unverftandene Refultate der Wiffenfchaft, als wenn man
Glaubensfätze anftaunt. Das Bild von der armen Pfarrerstochter
, der der Trott der Wiffenfchaft nichts nütze

jene Frage, ob wir noch Chriften find. Wir find es, ,5. 119), war vom Gegner nicht glücklich gewählt, aber
denn nicht nur die Gefittung, fondern auch die ge- ] nicht minder unbefriedigend ift die Widerlegung (S. 149).

fammte Cultur und Wiffenfchaft, durch welche fich die
chriftlichen Völker vor anderen auszeichnen, ift nicht zufällig
auf dem Boden des Chriftenthums erwachfen, fondern
recht eigentlich deffen Wirkung — auch die

Wo hat denn je das Chriftenthum den Anfpruch erhoben
, die Noth des Lebens aufzuheben? Sie zeigt nur
eine höhere Welt, nicht blofs eine jenfeitige, als Erfatz
und Quelle der Befriedigung, und nicht nur eine Welt

Wiffenfchaft (unter welcher, faft ausfchliefslich die Natur- | der Poefie, wie Verfaffer. So gewifs die äufsere und
wiffenfchaft verftanden wird), weil ihr die Bibel und der j innere Noth nicht blofse Gedankendinge find, fo gewifs
chriftliche Glaube ihre Probleme theils geftellt, theils in | kann keine Erdichtung auf die Dauer über diefe Wirk-
der Form des Mythus zu löfen verfucht hat, wie in der j fichkeit erheben. Irgend welcher Poefie aber, welche
Schöpfungsgefchichte, dem 104. Pfalm, dem Hiob. Die nuT folche ift, als poetifcher Wahrheit Objectivität zuGegenwart
ift nun damit befchäftigt, dies alles in wiffen- zuerkennen, ift da ein Selbftwiderfpruch, wo von einem
fchaftliche Erkenntnifs umzusetzen, z. B. das Dogma von Erkennen aufser dem Naturerkennen keine Rede ift, wo
der Allmacht und Allwiffenheit Gottes in der fortfehrei- felbft dem neuen Teftament zum Vorwurf gemacht wird,
tenden Wiffenfchaft und Culturmacht der Menfchheit zu ; dafs es für diefes keinen Sinn habe. — Ein Beweis für
immer annähernderer Verwirklichung zu bringen. Darin I die Religionslosigkeit folcher Religion ift fchon in der
befteht die Erfüllung des Chriftenthums, dies ift der Art und Weife gegeben, wie der Cultus umgestaltet
Sinn des Motto's, welches fich auf dem Titelblatt findet: werden foll, z. B. in der Predigt, die auf Grund von
satt de niang elniCofievcDV vnöaiaaig. — Allein diefe | 1 Cor. 15, 53 fchildert, wie das Vergängliche im Wirken
Werthfehätzung wird zur unberechtigten, Sobald Sie fich, j des Einzelnen den unvergänglichen Gefammtzwccken der
wie bei dem theologifchen Freunde, auf die durch die Menfchheit zu dienen hat, wie wenn ein Tifchlcr durch

moderne Wiffenfchaft längft abgethanen Glaubenslehren
als folche bezieht, die Persönlichkeit Gottes, die Lehre
von der Schöpfung, welche Gott zum ,Mächer' der Welt
macht u. a. Vielmehr rnüffe Sich aus folcher Theologie die

gefällige Formung eines Schrankes auf die Kunfttifchlerei
der Zukunft Einflufs ausübt; in der Abendmahlsfeier,
die ihre Bedeutungslosigkeit und Unverftändlichkeit durch
Beleuchtungseffecte und rührende Mufik gefchmackvoller

wahre Religion ebenfo herausbilden, wie feiner Zeit aus macht. Vom fpeciell theologifchen Standpunkt fei noch
der Aftrologie und Alchymic die Astronomie und erinnert, wie den neuteftamentlichen Schriftstellern plan-
Chemie. Und diefe Religion verdient folchen Namen gar | l0fes Durcheinander in der Darftellung, unbeholfener
wohl, weil Sie keineswegs objectlos ift, fondern die Gott- Satzbau u. f. w. zugefchrieben wird — würdiges Object
heit in der Natur als Object hat und weil Sie auch dem 1 für eine Exegefe von anderthalb Jahrtaufenden! —, wie
fubjectiven Religionsbedürfnifs wie der Gebildeten, fo
des Volkes Genüge leiftet, dem Wiffenstricbe, wie dem

die unbefleckte Empfängnifs der Maria mit der Jefu verwechfelt
wird. Die Vorzüge der Sprache und des Ge-
Gemüth, dem Sie eine poetifche, nur auf wiffenfchaft- dankens, die wir am Dichter bewundern, laffen fich auch

lichem Grunde ruhende Welt darbietet, obfehon Sie, fo
wenig wie jede andere, der Noth des Lebens Steuern kann.
Dabei vermag Sie auch im Cultus die chriftlichen Bräuche
zu verwerthen, die Predigt, wie Sie etwa bei den Unita-
riern Stattfindet, die Taufe, als Weihe fürs Leben, alt-
germanifcher Sitte verwandt, die Trauung, die nur an
die Stelle der neuteftamentlichen die höhere altteftament-
liche Anfchauung von der Ehe wird fetzen rnüffen, das
Abendmahl, das Sinnbild des in der Welt fortdauernd
fich opfernden Gottes (Kampf ums Dafein).

Ueber den Inhalt feiner Gottes- und Weltanfchauung
mit dem Verf. zu rechten ift kein Anlafs. Denn er hat
ihre Richtigkeit nicht bewiefen, fondern vorausgefetzt.
Auch ift oft genug darauf hingewiefen, wie das Chriftenthum
mit den eigentlichen Naturwiffenfchaften wohl verträglich
ift, und nur mit fogenannten Refultaten derfelben,
die vielmehr Philofopheme find, in Zwiefpalt lebt. Das

hier nicht verkennen, aber dafs ihm, dem in der deut-
fchen Literatur feine Stellung gefichert ift, in der Reli-
gionsgefchichte eine gleiche zukommen wird, dürfte
höchfl; unwahrfcheinlich fein.

Leipzig. Härtung.

Bibliographie

von Dr. Caspar Rene" Gregory.
jDcutfdjc (Literatur.

Rohling, A., Das Salomonifche Spruchbuch überfetzt u.

erklärt. Mainz, Kirchheim. (XLIII, 415 S. gr. 8.) 7. —
Salfeld, S., Das Hohelied Salomo's bei den jüdifchen Erklärern
d. Mittelalters. Nebft e. Anh.: Erklärungsproben
aus Handfchriften. Berlin, Benzian. (VIII, 180 S. gr. 8.)
Specififche an vorliegendem Buche ift einmal, dafs der i 4. —; Velinpap. 6. —

Fortfehritt der Wiffenfchaft auf dem Boden des Chriften- I Simon, J., Leducaticm' et l Instruction des enfants chez
thums von diefem felbft abgeleitet wird — und hier /es aneiens Juifs dapres la Bilde et le Talmud. 3. ed.
finden fich mehrfach treffliche Gedanken über den Zu- | Leipzig, O. Schulze. (63 S. gr. 8.) 1. 50