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Ausgabe:

1879

Spalte:

32-33

Autor/Hrsg.:

Witte, J. H.

Titel/Untertitel:

Salomon Maimon. Die merkwürdigen Schicksale und die wissenschaftliche Bedeutung eines jüdischen Denkers aus der Kantischen Schule 1879

Rezensent:

Heinze, Max

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 2.

32

Kohler, Rabb. Dr. K., Das Hohe Lied, überfetzt und
kritifch neu bearbeitet. New York 1878, Wettermann
& Co. (27 S. gr. 8.) M. 1. —

Der Verfaffer, Rabbiner der Sinaigemeinde in Chicago,
bekannt durch feine Erkl. von Gen. 49, erhebt Anfpruch
darauf, für das Verftändnifs des HL. völlig neue Gelichts-
punkte eröffnet zu haben. Was er neuert, ift zumeift
unhaltbar; nur auf diejenigen Abweichungen von Ewald,
die mir discutirbar fcheinen, will ich näher eingehen.

Kap. 1, 2—2, 7. Kohler legt v. 2—4 den Hoffrauen
bei. Mit Recht; das Ich wechfelt mit den Wir, unter-
fchcidet fich nicht von ihnen, fondern fafst fich mit ihnen
zufammen (v. 4; ■^xßi-i Imperat., eiaayayezto /ue Sym-
machus). In v. 5 fpricht K. nach N. Brüll !"r»318 nicht
Salomo aus, fondern richtig Salma, wegen des Parallelismus
mit Kedar, vgl. Plin. ff. N. 6, 118. Onkelos
Gen. 15, 19. Num. 24, 22. In v. 7 ift rnrtt für tot un-
nöthig, m^x wird als Aramaismus zu belaffen fein; dagegen
darf rrür fchwerlich mit Ew. als fprachliche
Variante von n-au aufgefafst, fondern es mufs mit
K. rvru gefchrieben werden (Ö£/.ißo[itv7] Sym.). Das
"rrrni r, 9 bezieht K. mit Recht auf den reichen
Schmuck, wodurch Salomo das Mädchen dem Gefpann
an feinem Pharaowagen gleich machen möchte; vgl.
v. io: ,wie (LXX; 7, 2) fchön wären deine Wangen in
Kettchen u. f. w.' Vers 12 ift von K. gänzlich mifsver-
ftanden, in: ift Präteritum und man mufs mit Ew. erklären
: fo lange der König drinnen war, war die Luft
rein und mifchte fich nichts Widriges in die Erinnerung
an den Geliebten. Das öfters wiederkehrende Qßv* -pfy
überfetzt K. mit Ewald: ,deine Augen find Tauben;
erwägenswerth wäre wohl auch ocp&aXfioi aov negiazegtüv
(Aq.), jedoch fchwerlich vorzuziehen. Den v. 17 legt
K. dem Könige bei, weil er überfetzt: ,Cedern bilden
die Wände unterer Häufer, untere Dielen Cypreffen';
aber wegen 2, 1 wird die LXX Recht haben: ioxot
ovxtov rjiiMV xedgoi, rpazvwfiaza ruolv v.vnÜQiaooi —■ der
Mangel an Realität fchadet nichts, denn die Scenerie ift
im HL. überhaupt eben fo wenig real wie im lob. ö^tlh
ift das fyr. «öl"), f. Field zu 1, 17. Das von K. beibehaltene
"pnun 2, 1 ift unmöglich und mit LXX (vgl.
Ew.) man zu lefen. Richtig fafst K. 2, 4 mit v. 5. 6
zufammen und erkennt demzufolge in -:xßn und ibsTi
mit LXX und Sym. Imperative: Sulamith verlangt mit
Wein geftärkt zu werden, da fie fich einer Ohnmacht
nahe fühlt. Ebenfo hat es etwas für fich, dafs der
Refrain 2, 7 nicht von dem in Ohnmacht fallenden Mädchen
felber gefprochen werden könne; jedoch vgl. 5, 8.

2> 8 — 3, 5. In der Ohnmacht phantafirt Sulamith 2,
8—17: ihr Geliebter kommt über die Hügel gefprungen vor
ihr Kammerfenfter und fordert fie auf, mit ihm hinauszugehen
in den lieblichen Frühling und eins zu fingen
(v. 15); fie befcheidet ihn bis zum Abend zu warten. So
richtig K., nur den Sinn von 2, 17 hat er nicht deutlich
erkannt, wenngleich beffer als Ewald, welcher behauptet
«3 ir bedeute hier ehe. Die ina ■nn 2, 17 find gleichbedeutend
mit den DISO Tn 8, 14. 4, 6; ^na ift ualaßuöpov
und wird fo von der Sexta überfetzt, wie Field's gelehrter
Scharffinn erkannt hat; vgl. Plin. ff.N. 12, 129: dat et
malobathron Syria, arborem folio convoluto, arido colore,
ex quo exprimitur oleum ad unguenta. — In 3, 1—4 erzählt
Sulamith nach K. einen Traum (,auf nächtl. Lager träumte
ich' 3, 1); doch wohl wachend. Der Traum fcheint die
Portfetzung von 2, 8—17: fie hat den Geliebten für den
Abend beftellt, 2, 17, erwartet ihn aber vergebens; fo
macht fie fich auf, ihn zu fuchen und findet ihn endlich.

3,6 — 5, 8. Salomo, der in 2, 8 — 3, 5 abgetreten ift,
erfcheint in einem prächtigen Zuge zur Werbung und
Hochzeit 3, 6-11. In 3, io ift rott« nutl ßin offenbarer
Unfinn, die LXX führt auf das Richtige: erzog uAzov
'/.tiröozqtürov [äyt'mrjv and dryaztQiov 'legovaaXrju] ftvya-
ztgeg Sitbv egeX&aze /.tu l'dtze er zog ßaß. Die eingeklammerten
Worte find Correctur nach MT., die LXX
hat yr3£ m:a hinter WSH v. 11 nicht gelefen, dafür
cVoit m:a v. 10 als Vocativ zu v. 11 gezogen und das
präfigirte n des MT. mit dem vorhergehenden m~x verbunden
; Xid-otrzgonov ift a^:ax bix"). Lür c:ax fehreib
nach Ezech. 27, 15 tr;a-: ausgelegt mit Ebenholz.
Mit gemifchten Gefühlen erfehe ich aus K., dafs mir
Grätz in diefer Emendation zuvorgekommen ift. — In
Bez. auf 4, 1—7 (Anrede Salomo's an Sulamith) ift zu
bemerken, dafs der hier unpaffende v. 6 (vgl. 2, 17, in
LXX fehlt; f. Field. — In 4, 8 — 5, 1 fieht Ew. mit Recht
ein imaginäres Zwiegefpräch des Geliebten (nicht des
Königs) mit Sulamith; fie fcheint noch immer zu phan-
tafiren. In 4, 8 ift -nx mit der LXX tx auszufprechen.
Durch eins deiner Augen 4, 9 pafst nicht, K. überf.
durch einen deiner Blicke, viell. zuläffig. Für
TVB 4, 15 ift "pyn (K.) keine Verbefferung. — 5, 2—8
ift ein Gegenftück zu 3, 1—5. ri*©-1 13» 5, 2 eytb xa-
&Bvöto (LXX), doch hat man nothwendig das Präfens
präterital zu nehmen. In v. 4 1. -b» ftatt rfj». In v. 5
(13) ift -oy ")77a von felbft ausffiefsende Myrrhe, darum
e/.Xexztj, ngtozeta (Ag. Sym.); K.'s Erklärung des V. ift
abfurd.

5, 8 — 8, 4. In der Befchreibung des Geliebten 5,
9 — 6, 2 überfetzt K. v. I2b nach Conjectur ,deine
Zähne in Milch gebadet, wie Edelfteine in der Faffung'
— theilweife probabel. tt v. 14 = feine Arme. Die
Emendation Brüll's o^Daa mxA; ftatt '33a snb 6, 2 ift
weit plaufibler, als (die von K. hinzugefügte D,:xn ftatt
0*31231»; vgl. 6. 3, vielleicht ift hsn Aramaismus. — Die
lange Rede Salomo's an Sulamith 6, 4 — 7, 10 geftaltet
K. nach Willkür um ; zur Erklärung der Schwierigkeiten,
namentlich des Einfatzes 6, 10 — 7, 1, bringt er nichts
Triftiges bei. 6, 12 *3nni23 ryioggae iie Sym. 7, 2 "paya
= deine Füfse (phön.). 7, 5: deine Augen find klar
und tief wie der Teich von Hefbon. 7, 6 o>g 7i6gtpvgu
ßaöiXitog zreQLÖeöe/itevrj eiXyuaac (1, 17) Sym. 7, io
d,:i23"1 tie 123 yeiXeai f.tov xai odovotv LXX Aq. — Sulamiths
Antwort 7, 11 — 8, 4 ift bei K. ganz verfchwunden; er
hat die einzelnen Sätze überall hin verftreut.

8, 5—14. In v. 10 ift 01518 rxi:i7:D Anfpielung auf
den Namen Sulamith (eiQrjrevovaa Aq. 7, 1). ,Likc a
virgin fortress she has compelled her assaila?it to leave her
in peace1 — fagt Robertfon Smith in der neuen britifchen
Encyclopädie s. v. Canticles.

Was die Auffaffung des Ganzen betrifft, fo bemerkt
J K. mit Grund, dafs das HL. keine Schöpfung der Feder,
! fondern eine nachträgliche Aufzeichnung des Volksfpie-
j les fei, die fehr Vieles und Wichtiges nicht fixiren konnte.
Die Combination mit dem Fefte der Jünglinge und Jungfrauen
zu Kolonia bei Jerufalem am Schlufs des Ver-
föhnungstages (Kohler, nach Brüll) fcheint mir ebenfalls
höchft erwägenswerth. Denn mit Recht beftreitet K.
den nordifraelitifchen Urfprung des HL.; die Indicien
dafür find in der That äufserft fadenfeheinig. Die Ent-
ftehung des HL. fetzt er ins 7. Jahrhundert. Mir fcheint
die Gefchichte der Culturpflanzen (und auch der Technik
) einen weit fpäteren Anfatz rathfam zu machen:
Autoritäten auf diefem Gebiete müfsten die Entfchei-
dung geben.

Greifswald. Wellhaufen.

Witte, Doc. Dr. J. H., Salomon Maimon. Die merkwürdigen
Schickfale und die wiffenfehaftliche Bedeutung
eines jüdifchen Denkers aus der Kantifchen Schule.
Berlin 1876, H. R. Mecklenburg. (93 S. gr. 8.) M. 1. 50.

Die Pcrfönlichkeit des jüdifchen Philofophen Maimon
ift eine höchft beachtenswerthe, einmal weg-en feiner merkwürdigen
Lebensfchickfale, die ihn doch nicht hinderten,
feinen Dürft nach Wiffen zu ftillen und felbftändige philo-
fophifche Forfchungen zu treiben, fodann wegen der