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Ausgabe:

1879 Nr. 21

Spalte:

498-502

Autor/Hrsg.:

Dorner, J. A.

Titel/Untertitel:

System der christlichen Glaubenslehre. 1. Bd. Grundlegung der Apologetik 1879

Rezensent:

Schultz, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 21.

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Coligny's gelaffen haben, find nun faft alle ausgefüllt;
fpätere Forfchungen werden hier nur weniges hinzufügen
können. Wären die Mittheilungen des Verf.'s nur auch
fo vollftändig über Coligny's Verhalten zum Proteftan-
tismus! Aber hier ift es ihm, wie es fcheint, nicht möglich
gewefen, neue lichtbringende Documente aufzutreiben
, wir find vollftändig angewiefen auf Hotmann's Erzählung
über den während der Gefangenfchaft in Sluys
und Gent angebahnten Uebertritt; demfelben Gewährsmann
folgt er mit Wiedergabe des bekannten Gefpräches,
in welchem der Admiral fich der Zuftimmung feiner
Gattin verfichert, auch wenn die neue Religion ihm und
der Familie Tod und Schande bringe, ebenfo da, wo
Coligny als Chrift inmitten feiner Familie gefchildert
wird. Dafs Auffchlüffe über diefe entfeheidende Wendung
in Coligny's Leben ebenfo intereffant.als erwünfeht
gewefen wären, ift einleuchtend; möglich, dafs der Verf.
im II. Bande, als Einleitung zu den Religionskriegen, dies
nachholt, denn die pfychologifche Entwicklung, der Ein-
flufs, welchen der Calvinismus auf diefen ftrengen, innerlich
ihm verwandten Charakter ausübte, ift ziemlich kurz
abgehandelt; überhaupt wäre eine fcharfe Zeichnung des
Proteftantismus, feines Aufkommens in Frankreich, feiner
Verbreitung in den einzelnen Provinzen und unter den
verfchiedenen Ständen, feiner Eigentümlichkeit, feiner
Stellung zum Katholicismus wie zum franzöfifchen Nationalcharakter
angezeigt gewefen; Coligny ift ja einer der
edelften Repräfentanten desfelben und das tragifche Ge-
fchick, welches ihn ereilte und die Confeffion, der er
anhing, wäre um fo wirkungsvoller hervorgetreten. Die
Kenntnifs der franzöfifchen Reformationsgefchichte wird
offenbar bei den Lefern vorausgefetzt, aber etwas be-
tremdlich ift es doch, wenn S. 141, wo die Anfänge der
Reformation in Frankreich dargeftellt werden, Luthers
Name gar nicht genannt wird, wie wenn jene ganze Bewegung
in den Schriften von Faber Stapulensis ihren Ur-
fprung gehabt hätte! — Die Augen eines Jeden werden
gewifs mit Wohlgefallen ruhen auf Coligny, diefem wahren
Chriften und vorzüglichen Manne. Die Schilderung
feines Charakters, feines Thuns bedarf der erbaulichen
und rhetorifchen Phrafe nicht. Der Mann und fein Leben
reden für fich felbft. Aber auf fein Bild ift, was einem
Biographen, der fich mit voller Liebe in feinen Helden
vertieft, begegnen mag, fo viel Licht geftreut, dafs für
den Schatten kein Raum mehr übrig ift; und doch hat
er felbft einmal geklagt, wie er mit dem Ehrgeiz zu
kämpfen hätte. Brantöme endlich, der fo oft angeführt
wird, ift eben ein Anekdotenerzähler, unzuverläffig und
gefchwätzig. Aber dies find nur kleinere Mängel, welche
dem gediegenen und bedeutenden Werke keinen grofsen
Eintrag thun; denn auch der II. Theil, welcher den Admiral
als Anwalt der Hugenotten, feine Tliätigkcit bei
der Verfammlung der Notablen in Fontainebleau, bei
den Generalftaaten in Orleans, beim Religionsgefpräch
in Poiffy in gefchickter fliefsender und fpannender Dar-
ftellung erzählt, bekundet die Sach- und Literaturkennt-
nifs des Verfaffers. Freilich war es bei diefer oft be-
fchriebenen Epoche nicht leicht möglich, neue Gcfichts-
punkte aufzuftellen, aber mit kundiger Hand ift ein farbenreiches
Gemälde entworfen, in deffen Mittelpunkt
der Admiral lieht: ein loyaler Diener feines Herrfcher-
haufcs (von der Verfchwörung von Amboife hielt er fich
ferne, nur mit moralifchen Mitteln wollte er die Gewiffensfreiheit
erwerben), der Hort der bedrängten Re-
formirten, der, von welchem auswärtige und einheimifche
Proteftanten das Heil des Königreichs, die Förderung
des Evangeliums am meiften erwarteten. Der weitge-
fafste Rahmen bringt es mit fich, dafs auch auf die
übrigen Angehörigen feiner Familie, feine Mutter, Gattin
, Brüder, Schwefter etc., auf bedeutende Hugenotten,
Beza, Johanna d'Albret u. f. f. ein erwünfehtes Licht
fällt; und endlich darf der Anhang nicht unerwähnt bleiben
, welcher neben literarifchen Nachweifen und Auszügen
aus Büchern eine ftattliche Zahl von bisher un-
edirten Briefen Coligny's giebt. Sie legen den Wunfeh
nahe, der Verf. möchte einmal eine vollftändige Sammlung
von Coligny's Briefen herausgeben, als würdiges
Seitenftück zu Coligny's Leben; die Aufgabe könnte in
keine beffern Hände gelegt werden.

Stuttgart. Th. Schott.

Dorner, Dr. J. A., System der christlichen Glaubenslehre.

(In 2 Bdn.) 1. Bd. Grundlegung oder Apologetik.
Berlin 1879, Hertz. (VIII, 749 S. gr. 8.) M. 12. —

Das Buch, deffen erfter Theil vor uns liegt, tritt in
die Reihe der zahlreichen und bedeutfamen neueren
Verfuche, das Syftem der chriftlichen Dogmatik darzu-
ftellen, als Vertreter derjenigen Methode und Auffaffung
der Dogmatik, welcher vor einigen Jahrzehnten die
bedeutendften Namen der nicht im eigentlichen Sinne
confeffionellen ,gläubigen' Theologie zugethan waren,
— der Methode, welche auf Grund der chriftlichen Heilserfahrung
den wefentlichen Inhalt der evangelifchen
Glaubenslehre als ein Ergebnifs des Denkens in feiner
Nothwendigkeit zu entfalten unternimmt. Das Buch hat
durchweg den Charakter der Zuverficht und Freudigkeit,
welcher mit diefer Methode an fich verbunden ift, und
naturgemäfs kann es im Ganzen weniger durch Polemik
gegen andersgerichtete Arbeiten als durch fein eignes
pofitives Gewicht zu wirken beabfichtigen. Dabei hat
es übrigens, vor Allem in den grundlegenden Erörterungen
, fich forgfältig mit den neueren einfchlagenden
Arbeiten auseinandergefetzt, vorzüglich mit denen von
Lipfius, Biedermann, Schweizer, Frank, Beck, Reiff, Köft-
lin. Auffallend aber ift das geringe Eingehen auf die
von Ritfehl und aus deffen Anregungen (lammende
Auffaffung der dogmatifchen Aufgabe, — wie auch
z. B. S. 9 diefes Gelehrten ,Unterricht' ganz übergangen
ift; — gerade diefer Richtung gegenüber hätte
das Recht der Methode des Verf.'s am meiften fich zu
bewähren die Pflicht gehabt.

Ref. würde es für eine Unbefcheidenheit feinerfeits
halten, wenn er dem Buche eines Gelehrten von dem
Namen und bewährten Anfehen des Hrn. Dr. Dorner
noch befonders das Zeugnifs ausftellen wollte, dafs es
reich an fchönen und anregenden Abfchnitten ift, an
welchen auch anders gerichtete Theologen Freude und
Förderung finden müffen. Er begnügt fich deshalb,
auf ^ 6—11 (Lehre vom Glauben), auf § 15 (Wefen und
Eigenfchaften Gottes) und auf g 46 (Religion) hinzu-
1 weifen, als auf folche Ausführungen, von welchen er
j befonders fich angezogen gefühlt hat. Was im Folgen-
: den gegen diefes Buch einzuwenden ift, foll felbftver-
ftändlich nur unter Vorausfetzung diefer Anerkennung
gefagt werden.

Neue und für die gegenwärtigen Verhandlungen in
der Dogmatik überrafenende Gefichtspunkte bietet die
Dogmatik eines feit langer Zeit öffentlich lehrenden und
feinem früheren Standpunkte treu gebliebenen Theologen
der Natur der Sache nach nicht. Die Frage nach den Wirkungen
, welche das Buch hervorzurufen beftimmt ift, wird
fich im Wefentlichen nach dem Urtheile über den Werth
fei ner Methode und nach der Ueberzeugungskraft feiner
Schriftbenutzung beantworten. In erfterer Beziehung
nun hat dem Ref. das Buch nicht den hlindruck gemacht,
gegenüber feinen neueren Vorgängern in überzeugender
Weife die Richtigkeit des eingefchlagenen Weges dar-
gethan zu haben, — fo richtig auch manche Prämiffen
feines Verfahrens find.

Herr Dr. Dorner verfchmäht mit vollem Rechte die
vielfach gebräuchliche Voranftellung von aufserhalb der
dogmatifchen Behandlungsweife gehaltenen Prolegome-
nen. Die Lehren von Religion, Offenbarung und heiliger
Schrift behandelt er dogmatifch auf Grundlage der
Ausfagen über Gott und den Menfchen. Er führt nach

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