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Ausgabe:

1879 Nr. 20

Spalte:

479-481

Autor/Hrsg.:

Guttmann, J.

Titel/Untertitel:

Die Religionsphilosophie des Abraham ibn Daud aus Toledo. Ein Beitrag zur Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie und der Philosophie der Araber 1879

Rezensent:

Möller, Wilhelm

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479

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 20.

480

enthält er fich leider jeder Mittheilung, auch über die
von ihm zu Grunde gelegte Ausgabe von Hussey. Ueber
deren Werth ift Ref., da fie ihm nicht zugänglich ge-
wefen ift, nur aus der Anzeige von Nolte in der theo-
logifchen Quartalfchrift 1859 Heft 3 S. 518 ff. unterrichtet
. Darnach find für Hussey, von zwei Capiteln des
7. Buches, für welche ein Bodleianus herangezogen ift,
abgefehen, nur zwei Florentiner Manufcripte neu verglichen
worden, von welchen das eine fchon von du
Valois benutzt und das andere, wie eine fchon von
Jak. Gronov unternommene und zu Heyden aufbe- ;
wahrte Collation beweift, ziemlich unvollkommen col-
lationirt und von Hussey wie es fcheint auch ungenügend
ausgebeutet worden ift. Ref. hat den Bright-
fchen mit dem Oxforder Text von 1844 für das erfte
Buch verglichen. Die etwa fechzig Varianten, die er
notirt hat, haben ihn davon überzeugt, dafs Hussey den
Text des Socrates, ohne ihn irgendwie bedeutfam zu
revolutioniren, doch unzweifelhaft verbeffert hat. Selten
wird man in den bezeichneten Fällen dem alten Text
den Vorzug zu geben vcranlafst fein. ovSs für ovdev
I, 9, 24 (p. 40 letzte Zeile bei Bright) ift vielleicht Druckfehler
. Nolte's Anzeige, fo viel ihre Mittheilungen zu
wünfchen übrig laffen, hätte dem Herausgeber doch von j
Nutzen fein mögen. Sie hätte ihn wohl gleich I, 1 ver-
anlaffen können, oaa rj iyyQacptog evQopev /; nctqu toiv
'tOTOQrjadvTav ly/.ovaapsv 8 irj y ovf.i svo t (ftatt des immer
noch feftgehaltenen dirjyovf.th'cov) zu drucken.

Bafel. Franz Overbeck.

Guttmann, Landrabb. Dr. J., Die Religionsphilosophie des
Abraham ibn Daud aus Toledo. Ein Beitrag zur Ge-
fchichte der jüdifchen Religionsphilofophie und der
Philofophie der Araber. Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht. (VIII, 240 S. gr. 8.) M. 4. —

Durch diefe Monographie wird in der That in will- '
kommener Weife eine Lücke ausgefüllt. Der jüdifche
Religionsphilofoph, mit welchem fie fich befchäftigt, gehört
zwar nicht zu den originalen Geiftern, bildet aber !
ein refpectables Mittelglied in der Kette der arabifch- j
jüdifchen Philofophen des Mittelalters. Es wird wohl j
richtig fein, dafs, wie der Verf. fagt, der dem Ibn Daud
auf dem Fufse nachfolgende gröfsere Mofes ben Maimun
ihn in den Schatten geftellt hat und die Urfache geworden
ift, dafs er minder beachtet wurde, als es fonft
wohl gefchehen fein würde. Ibn Daud ift der Erlte, welcher
in gröfserem Umfang und methodifcherer Weife I
den (allerdings mit Neuplatonifchem mehr als er felbft
weifs verfetzten) Ariftotelismus der arabifchen Philofo- j
phie, wie er von Alfarabi und Avicenna (Ibn Sina) vertreten
wurde, in die jüdifche Religionsphilofophie einführte
und fich damit über den Standpunkt des von ihm
übrigens hochgefchätzten und in den eigentlich theolo-
gifch - dogmatischen Fragen beftens benutzten Saadja
erhaben weifs, während er zugleich gegen den eigen- I
thümlichen Neuplatonismus Gebirol's nachdrücklich Front
macht, ohne fich doch eines ftarken Einfluffes von diefer
Seite erwehren zu können. Das Werk des jüdifchen
Religionsphilofophen, Emunah Ramah (der erhabene
Glaube;, deffen Ideen Guttmann entwickelt, ift zwar
durch Simfon Weil's Ueberfetzung (Frankf. a. M. 1852)
allgemein zugänglich, indeffen die Darfteilung des Verf.'s
dient vielfach zu wünfehenswerther Erläuterung und
Förderung des Verftändnifses, abgefehen davon, dafs
der Verf. fich öfter zu Berichtigungen der Weil'fchen
Ueberfetzung veranlafst fieht, über deren fprachliche
Berechtigung Ref. nicht urtheilen kann. Jedenfalls macht
der Verf. den Eindruck eines kundigen und zuverläffigen
Berichtcrhatters und Führers. Charakteriftifch für den
Standpunkt der vorliegenden Philofophie find fowohl die
allgemeinen Erörterungen über Philofophie und Religion, I

durch welche ein ftarkes Gefühl davon hindurchgeht,
dafs die Philofophie, und zwar als fpeculative Gottes-
erkenntnifs, Königin der Wiffenfchaften und Höhepunkt
aller menfehenwürdigen Beftrebungen fei, und dafs nicht
die Philofophie an fich, fondern nur die philosoplua
obiter libata mit der Religion in Conflict gerathe, die
Philofophie aber die Aufgabe habe, über die fchein-
baren Anftöfse der Religionsvorftellungen zu höherer
und reinerer Auffaffung zu erheben, als auch die zuver-
fichtliche Combination ariftotelifcher (logifcher, meta-
phyfifcher, pfychologifcher) Begriffe mit den Grundlehren
des Judenthums, die in der That der Philofoph fchlechter-
dings nicht gewillt ift aufzugeben. Indem Guttmann
durchaus nicht die im Ganzen geringe Originalität feines
Autors verhehlt, fcheint mir ein Hauptverdienft feiner
Darfteilung darin zu liegen, dafs er den Zufammenhang
Ibn Daud's befonders mit Avicenna fleifsig aufdeckt, was
an mehr als einem Punkte auch zur Aufhellung deffen
dient, was wir fonft über letztern wiffen, befonders auch
der Mittheilungen bei Schahrestani. Dabei hat allerdings
G. nur noch im Nachtrag die Arbeit Landauer's über
die Pfychologie Avicenna's (Z. d. DMG. 29. 60) be-
rückfichtigen können. — Die ganze Arbeit Ibn Daud's
ift angeblich unternommen um der Löfung des einen
Problems willen, welches in der gefliehten Zufammen-
ftimmung der menfehlichen Willensfreiheit mit der göttlichen
allmächtigen Beftimmung der Dinge liegt. Allein
die Beantwortung diefer P'rage, welche auf Theodicee
hinausläuft, bildet in Wirklichkeit weder dem Umfang,
noch der innern Bedeutung nach den Hauptgegenftand.
Um fchliefslich zu ihr und dann anhangsweife von der
Willensfreiheit zu ethifchen Betrachtungen zu gelangen,
nimmt der Verf. den weiten Weg von den Kategorien
(nebenbei mit einer Exegefe, welche die ariltotclifchcn
Kategorien aus dem 139. Pfalm entwickelt) und den arifto-
telifchen Grundbegriffen Stoff, Form, Bewegung, deren
kosmologifchen Grundlinien fich die biblifche Schöpfungslehre
wohl'oder übel einfügen mufs, und kommt dann
zu fehr eingehenden pfychologifchen Untcrfuchungen,
die es freilich am allerwenigften zu einer widerfpruchs-
lofen Vereinigung der heterogenen Elemente bringen
■—■ was aber auch fchon von feinen arabifchen Vorgängern
gilt. Bemerkenswerth ift dabei die Beftreitung der
Präexiftenz einerfeits, das Schweigen von der leiblichen
Auferftehung anderfeits. Erft hierauf kommt es zu
den eigentlichen Glaubenslehren, von Dafcin und Eigen-
fchaften Gottes, von den Engeln und der Weltwirkfam-
keit Gottes, ein Abfchnitt, welcher für die ftarke Amal-
gamation ariftotelifcher Vorftellungen mit fpeeififeh neu-
platonifch-emanatiftifchen ebenfo inftruetiv ift, wie der
folgende über Prophetie und Offenbarung für die Benutzung
diefer Ideen zu einer Art philofophifcher Funda-
mentirung des pofitiven Offenbarungsglaubens. Hieran
fchliefst (ich dann das Problem von der göttlichen Vor-
fehung u. f. w. Wir verzichten auf ein Eingehen in
eine Menge von einzelnen Fragen und befchränken uns
auf zwei kurze Bemerkungen. Der Verf. hat Recht,
wenn er in der Schöpfungslehre auf einen Einflufs Gebirol
's hinweift, dem Ibn Daud trotz feiner abweichenden
ariftotelifchen Stellung fich hingegeben hat. Er geht
aber zu weit in feiner Behauptung, wenn er (S. 46)
die erfte bcftimmungslofe Materie bei Ibn Daud (die ja
felbftverftändlich felbft noch nicht Körper ift) der via-
tcria universalis spiritualis des Ibn Gebirol gleich fetzt,
zu welcher diefer noch über die mat. univ. corporalis
auffteigt. Denn bei letzterem handelt es fich hier um
die Vorftellung, welche durch ihn auch in die chrift-
liche Scholaftik hineingeworfen und da zum Gegen-
ftand des Streites geworden ift, dafs auch den Geiftern
mit den körperlichen Wefen gemeinfam fei das Subftrat
der allgemeinen Materie, eine Vorftellung, welche Ibn
Daud aufs entfehiedenfte zurückweifen mufs, wie feine
Polemik gegen Gebirol's Lehre zeigt, dafs auch die En-