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Ausgabe:

1879 Nr. 20

Spalte:

475-478

Autor/Hrsg.:

Merk, Carl

Titel/Untertitel:

Clemens Alexandrinus in seiner Abhängigkeit von der griechischen Philosophie 1879

Rezensent:

Overbeck, Franz

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 20.

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ohne hiftorifche Bedeutung, und die Varianten der grofsen
Kritiker find in einem Anhange regiftrirt, während fie
bei Scrivener (ich unter dem Texte finden, in welchem
der Stephanus-Text überall mit fetter Schrift gedruckt
ift, wo der Beza's oder Elzevir's davon abweicht oder
wo das gegenwärtig ermöglichte Zeugenverhör ihm
widerfpricht.

Leipzig. Caspar Rene Gregory.

Merk, Carl, Clemens Alexandrinus in seiner Abhängigkeit
von der griechischen Philosophie. Leipzig 1879, Böhme.
(IV, 90 S. gr. 8.) M. 1. 80.

Diefe Arbeit ift mit allen ihren ftarken Mängeln
immerhin nicht von der Art, dafs fie die Vorftellung
nicht geblattete, es hätte dem Verfaffer eine nützlichere
Leiftung gelingen mögen, wenn er nur in der Wahl feines
Themas glücklicher gewefen wäre. Infofern mag er
fich nicht über Gebühr durch die geringe Gunft des
Urtheils, das hier über feine Arbeit gefällt werden foll,
entmuthigen laffen. In fechs Capiteln werden darin die
Anflehten des Clemens über den Urfprung der griechi-
fchen Philofophie, über Glauben und Wiffen, über die 1
Lehre von Gott und vom Logos, über Wiffen und Han- j
dein und über moralifches Verhalten vorgeführt. Schliefs-
lich gelangt der Verf. zum Refultat, dafs ,die clemen-
tinifche Weltanfchauung formell eine chriftliche, aber
materiell von griechifcher Philofophie abhängig ift, zu-
nächft von der Stoa, in zweiter Linie von Plato, beides
vielfach vermittelt durch Philon' (S. 90). Damit hat
aber der Verf. Niemandem, der Clemens Alexandrinus
auch nur oberflächlich kennt, etwas fonderlich Belehrendes
gefagt, und wer feine Darftellung gelefen hat, wird
in der That nichts erfahren haben, wovon ihm nicht die
Leetüre von auch nur 90 Seiten der Stromata einen
mindeftens lebendigeren Eindruck verfchafft hätte. Clemens
Alexandrinus ift zur Zeit durchaus noch kein
Schriftfteller, über welchen es fo leicht fein wird, der
Beachtung werthe allgemeine Anflehten aufzuftellen, und
insbefondere jeder Anfänger in der Wiffenfchaft kann
nur davor gewarnt werden, zwar nicht fich mit ihm
überhaupt zu befaffen, aber doch fich mit ihm dem
wiffenfehaftlichen Publicum vorzuftellen, es fei denn,
dafs er die Fragen, die er beantworten will, fich fehr
eng und beftimmt abgefteckt hätte. Sonft wird er Gefahr
laufen, entweder völlig irre zu gehen oder trivial
zu werden. Der zweiten diefer Gefahren wenigftens ift
der Verf. der vorliegenden Arbeit erlegen, welche im
Grunde ohne Vorftellung von ihrer Schwierigkeit unternommen
ift. Niemandem braucht man zu Tagen, dafs
Clemens von Alexandrien von der griechifchen Philofophie
abhängig ift, aber in welcher Weife er es ift, in
welcher Geftalt die Philofophie auf ihn von Einflufs
und welches die Quellen feiner Kenntnifs derfelben gewefen
find, das in klarer, belehrender und richtiger Weife
zu beantworten ift gegenwärtig bei dem Stande der Vorarbeiten
für das allgemeine Problem diefer Fragen eben
noch fehr fchwer. Damit wird es jedenfalls nicht ge-
than fein, dafs man den Clemens auf gewiffe Capitel hin
durchlieft und nun mit Hülfe deffen, was man durch !
Clemens felbft ausdrücklich erfährt und aufserdem
etwa aus Zeller's ,Philofophie der Griechen' weifs, aufs
Gerathewohl hier die Stoiker, dort Plato und dort wieder
Philo herauszuhören erklärt. Das ift es aber, worauf
die Arbeit des Verf.'s fich ungefähr befchränkt. Von
der Naivetät, mit der er die Sache angefafst hat, find j
ein bedenklich anfehauliches Beifpiel die Bemerkungen,
mit welchen er fich nach gethaner Arbeit fchliefslich
anfehickt uns zu fagen, wie er fich etwa die Entfteh-
ung des Gemifches von Denkfyftemen, das er bei Clemens
findet, bei diefem vorftelle (S. 89), ohne nur zu
fragen, ob aufser Clemens felbft nicht fchon andere
Leute vor ihm an diefem Gemifch gearbeitet haben, und

als ob die Lehre des Clemens eine ebenfo willkürliche
Zufammenklitterung aus der Leetüre diefes Kirchenlehrers
— etwa der Bibel und einem Dutzend verfchiedener
philofophifcher Tractate — wäre/wie etwa die Differ-
tation des Verfaffers entftanden ift. Wie äufserlich und
zufällig denkt fich auch der Verf. in den Bemerkungen,
die darüber S. 25 fallen, das Verhältnifs der Theologie
des Clemens zur allegorifchen Interpretationsmethode!
Nichts beweift aber fchlimmer, wie wenig der Verf. an
Vorbereitung für fein Thema gedacht hat, als die Behandlung
, welche das Verhältnifs des Clemens zu Philo
bei ihm erfährt, d. h. die wichtigfte Vorfrage für fein
Thema. Was die Commentare zu Clemens dafür an die
Hand geben, reicht entfernt nicht aus, und fonft giebt
es — zum fprechendften Beweife dafür, wie es gegenwärtig
noch mit der wiffenfehaftlichen Behandlung der
Patriftik fleht •— keine fyftematifch angeflehte und ab-
fchliefsendeUnterfuchung darüber. Das berechtigte jedoch
den Verf. der vorliegenden Abhandlung nicht, nun auch
nur ganz zufällig und ungefähr von der Sache zu reden.
Mit wie oberflächlicher Einficht kann man fich denken,
wenn man erfährt, dafs der Verf. fich von den Thatfachen
einmal das Geftändnifs fo zu fagen eben nur abringen
läfst, dafs Clemens in den grofsen Hauptzügen feiner
Weltanfchauung eine ,unverkennbare Aehnlichkeit' mit
Philo zeige (S. 28). Diefe ,Unverkennbarkeit' fucht aber
der Verf. feinen Lefern in einer einigermafsen durchgeführten
Vergleichung nur in Hinficht auf die Lehre von
Gott klar zu machen (S. 28 ff.). Sonft bleibt es bei gelegentlichen
, flüchtigen und oft höchft unbeftimmten Andeutungen
. Eine Reihe fehr zufällig aufgelefener Parallelen
findet fich S. 25 f., wo die wirklichen gar nicht einmal
getroffen find (z. B. Strom. V. 1, 8) und zu Strom. VI,
11, 84 auf Philo überhaupt mit Unrecht (ftatt auf Barn.
Ep. 9, 8) hingewiefen wird. So kommt es denn, dafs
der Verf. v/ohl hier und da die Frage der Unmittelbarkeit
des Einfluffes gewiffer Schulen auf Clemens ftreift
(vgl. S. 43, 44), aber eben nur dies, und insbefondere
für die Unterfcheidung deffen, was von Piatonismus und
Stoicismus direct und was nur durch den Canal des Philo
zu Clemens gelangt ift, bei den beiläufigften und unbe-
ftimmteften, nirgends durch die Grundlage einer wirklichen
Unterfuchung geficherten Behauptungen flehen
bleibt (S. 46 f. 67. 69 u. ö.). Die Begründung des ,pla-
tonifch-pythagoreifchen Einfluffes' auf Clemens mit dem
Gebrauch von /novüg (S. 44) macht fich nur desfelben
Ueberfehens des Philo fchuldig, welches der Verf. felblt
mit Recht Daehne vorwirft (S. 35 f.). S. 56 wird eine
Stelle (Strom. I, 5> 31) ohne Weiteres als clementinifch
citirt, wo nur Philo abgefchrieben wird. Kurz man wird
nicht einmal über das Verhältnifs des Clemens zu Philo
durch den Verf. wirklich aufgeklärt, gefchweige denn
über fein Verhältnifs zur griechifchen Philofophie überhaupt
. Wie fehr vielmehr hier Alles dem Zufall der
erften beften Beobachtungen, die jeder auch ganz un-
gefchulte Lefer des Clemens machen kann, überlaffen
ift, kann man z. B. auch daran fehen, dafs der Verf.
durch Strom. V, 2, 15 fich ohne Weiteres für berechtigt
hält, von einem ,Einflufs des Flleaten Parmenides' auf
Clemens zu reden (S. 31). Bei alledem foll nicht verkannt
werden, dafs der Verf. feinen Clemens fleifsig
gelefen hat, doch fpricht bei dem gegenwärtigen Stande
der Interpretation diefes Schriftftellers nicht eben für
die Gründlichkeit diefer Leetüre, dafs der Verf. kaum
jemals eine einzelne Stelle ausführlicher zu erörtern fich
veranlafst ficht. Und doch ift auch die von ihm vorausgefetzte
Auslegung oft zweifelhaft genug. Mit Unrecht
wird Strom. II, 16, 74 die Meinung gefunden, dafs die
Seele ,keine natürliche Beziehung zu Gott habe' (S. 42;
und hierauf die Behauptung eines Unterfclüeds zwifchen
Clemens und Philo gegründet. Protr. 5, 66 foll Clemens
die Annahme einer Weltfeele beftreiten (S. 43). Allein er
beftreitet doch nur die Verträglichkeit diefer Annahme mit