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Ausgabe:

1879 Nr. 19

Spalte:

452-455

Autor/Hrsg.:

Wuttke, Heinr.

Titel/Untertitel:

Zur Vorgeschichte der Bartholomäusnacht. Historisch-kritische Studie. Herausgegeben aus dessen Nachlasse von Georg Müller-Frauenstein 1879

Rezensent:

Schott, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 19.

452

wie fehr dies oft fogar auf Korten der Wahrheit ge-
fchieht. Ref. hatte {De M. Serveti doctrina p. 97) darauf
hingewiefen, wie viele Syrteme es gebe, aus denen Ser-
vet einzelne feiner Anfchauungen habe entlehnen können,
denn Dionyfius Areopagita, Scotus Erigena, Hugo a St.
Victor u. A. hätten ähnliche Lehren aufgertellt, doch
fei ungewifs, ob Servet deren Schriften gelefen habe.
Der Verf. (Bd. III, p. VIII) macht daraus: Nach Pünjer
hat Dionyfius Areopagita ihm die Lehre vom Licht,
Scotus Erigena die Lehre von der Schöpfung, Hugo von
St. Victor die Lehre von den Ideen geliefert. Ein derartiges
Verfahren erfchwert nothwendig die Verrtän-
digung über die zwifchen uns obwaltenden Differenzen
betreffs einiger Punkte des Servetifchen Lehrfyrtems.

Diefe Differenzen aber beliehen gegenüber der vorliegenden
Arbeit ebenfo, wie betreffs der früheren (vgl.
Jahrg. 1876 Nr. n, Jahrg. 1877 Nr- 8)- Weil die wiederholte
Leetüre der Schriften Servet's mich nur bertärkt
hat in dem Urtheil, dafs der Verf. in einigen Punkten
Servet zu fehr durch das Medium feiner eigenen theolo-
gifchen Ueberzeugung anfehaut, kann ich die vorliegende
Darfteilung trotz ihrer grofsen Verdienrte nicht als endgültig
abfchliefsend betrachten. Es würde jedoch für
die meirten Lefer diefer Blätter zu weit führen, wollte
ich hier wiederum wie früher diefe Punkte einzeln aufführen
und durch den Wortlaut der Ausfagen Ser-
vets meine Auffaffung begründen. Im Allgemeinen
daher auf die früheren Befprechungen verweifend, bemerke
ich hier nur Folgendes. Zu der immer wiederkehrenden
Behauptung, Servet fei ,Bibeltheolog' oder
gar ,Bibelradicaler', giebt der Verf. (Bd. II S. 4) die be-
achtenswerthe Erklärung: ,Weil Servet den Geift der
aportolifchen Urkunden beffer erkannt, den Buch-
ftaben richtiger interpretirt und das im aportolifchen
Zeitalter Ewige in zeitgemäfser Form geboten hat,
darum nenne ich feine Lehre ,Bibellehre': nicht weil
fie ein Abklatfch wäre des aportolifchen Denkens über
Chrirtum'. Damit ift ja zugeftanden, dafs Servet nicht
feine Lehre aus dem Wortlaut der Schrift fchöpft, fondern
fie in denfelben hineinlegt, um fie durch ihn zu
rtützen. — Der bis zu einem gewiffen Grade unleugbare
chriftocentrifche Charakter des Servet'fchen Syftems
wird fowohl übertrieben als fchief gefafst. Ueberfpannt,
indem nicht blofs der Gottesbegriff als durch den Chrirtus-
begriff beftimmt erfcheint, fondern auch auf Himmel
und Engel , auf Welt und menfehliche FYeiheit u. v. A.
von der ,Chriftocentrik' aus ein befonderes Licht fallen
fort, ganz abgefehen von Phrafen, wie diefe: ,Bei Servet
glänzen Sonne, Mond und Sterne nur mit dem Lichte
Chrifti', oder: ,Dem Servet ift Chriftus das wahre Ozon
für Seele und Leib'. Schief gefafst, indem als diefer
allbeherrfchende Chriftus der ,hiftorifche' bezeichnet
wird, was richtig ift, wenn ,hiftorifch' nur fo viel heifst,
als ,Menfch geworden', falfch , wenn es im modernen
Sinn genommen wird, als Chriftus nach feiner gefchicht-
lichen Erfcheinung und Wirkfamkeit. — Die angeführten
Stellen (Bd. III, S. 28. 73) zum Beweis, dafs Servet ein
Angelegtfein des Menfchen auf Gott lehre, find faft
fämmtlich höchft willkürlich ausgelegt.

Da es doch unmöglich und wohl auch ziemlich
fruchtlos ift, hier alle Stellen aufzuführen, in deren
Deutung der Ref. vom Verf. abweicht, zieht derfelbe
vor, hier nur noch auf einen Punkt aufmerkfam zu
machen, betreffs deffen er glaubt, etwas Neues beibringen
zu können. Der Verf. liebt es, den etwaigen Einwirkungen
Servet's überall nachzugehen und folche zu
behaupten, auch wo fie mehr als zweifelhaft find. Dem würde
entfprechen, dafs er auch den Einwirkungen Anderer auf
Servet nachginge. Statt deffen hütet er faft eiferfüchtig
feines Helden Originalität. In dem Abfchnitt ,Ueber
die Quellen der Restitutio1 wird allerdings die Neu-Pla-
tonifche Philofophie des 16. Jahrhunderts genannt; aber
wie fie hinter der Bibel ftark zurücktritt, fo erfahren

wir auch Näheres über fie nicht. Später (Bd. II, S. 167)
wird einmal auf Paracelfus hingewiefen. Das ift alles.
Ref. dagegen, durch Studien anderer Art zu einem Eingehen
auf die Speculationen des 15. und 16. Jahrh. ge-
nöthigt, glaubt hier, befonders in der platonifirenden
Metaphyfik des Nicolaus Cufanus und in der Naturphi-
lofophie des Telefius die Wurzeln der wichtigften Anfchauungen
des Servet entdeckt zu haben. Freilich fo,
dafs der eignen Geiftesarbeit Servets noch genug übrig
bleibt, aber doch fo, dafs Servet damit aufhört, als völlig
ifolirter Denker uns unbegreiflich zu fein. Betreffs des
Näheren verweift Ref. auf den erften Abfchnitt feiner
demnächft erfcheinenden ,Gefchichte der chriftlichen
Religionsphilofophie', wo die Gedanken jener Speculation
kurz gefchildert find.

Jena. Bernhard Pünjer.

Dühne, Lehr. H , Geschichte der Kirchen und der Reformation
im Fürstenthume Osnabrück. Osnabrück 1879,
(Meinders). (187 S. gr. 8.) M. 3.50.

Ueber die fclntftehung der fämmtlichen Kirchen im
vormaligen Purftenthum Osnabrück und über die Aufnahme
der Reformation in den betreffenden Gemeinden
ftellt diefe Schrift Nachrichten zufammen; mehrfach find
Angaben über einzelne Prediger felbft bis in die neuefte
Zeit hinein und andere hiftorifche Mittheilungen hinzugefügt
. Da es dem Buche an Vorrede und Einleitung
fehlt, fo ift die Veranlaffung zu demfelben und die Art
feiner Entftehung nicht zu erfehen. Wahrfcheinlich hat
der Verf. die einzelnen Notizen mühfam und vielleicht
in jahrelangem Fleifs zufammengefucht; mitunter nennt
er feine Quellen, welche mehrfach handfehriftliche,
einige Male auch Mittheilungen der jetzt in den betreffenden
Gemeinden flehenden Geiftlichcn find. Der
Verf. fcheint alles das, was ihm zugänglich war, zufam-
mengeftellt zu haben. An intereffanten Angaben im
einzelnen fehlt es nicht: namentlich was über die Einführung
und Bekämpfung der Reformation, die Art und
Weife, wie die Beftimmung des weftphälifchen Friedens,
dafs für die confeffionelle Stellung das Jahr 1624 als
Normaljahr entfeheidend fein folle, ausgeführt ward, auch
ab und an über kirchliche Sitten beigebracht wird, ift
lehrreich. Das Ganze macht den Eindruck der Zuver-
läfslichkeit, auch wo die Angabe der Quellen fehlt. Doch
bleibt es zu fehr bei einer Zufammenftellung einzelner
Notizen, die den Eindruck des Zufälligen hinterläfst und
der jede überfichtliche Zufammenfaffung fehlt, als dafs
das Werk eine allgemeinere Bedeutung beanfpruchen
könnte; als Chronik mag es für die Gemeinden, von
denen es erzählt, einen bleibenden Werth haben.

Hamburg. Carl Bertheau.

Wuttke, Heinr., Zur Vorgeschichte der Bartholomäusnacht.

Hiftorifch-kritifche Studie. Herausgegeben aus deffen
Nachlaffe von Dr. Georg Müller-Frauenftein. Leipzig
1879, T. O. Weigel. (XII, 216 S. gr. 89 M. 3. —

Aus dem reichen handfehriftlichen Nachlaffe Wuttke's
wird hier eine intereffante Studie geboten; fie bildete
einen Theil eines unvollendet gebliebenen Werkes: Propädeutik
der Gefchichte, und folltc als Mufter einer hifto-
rifchen Specialunterfuchung dienen; fie darf auch wohl
als eine folche betrachtet werden, denn wie der Verf.
im Sammeln des Materials über diefes vielbehandclte
hiftorifche Problem feinen raftlofen Bienenfleifs im fchön-
ften Lichte zeigt, fo kann auch die Methode der Unter-
fuchung nur Anerkennung finden, Ruhe und Objectivität
des Urtheils find auch da zu loben, wo eine andere
Anficht möglich ift. Ganz druckreif ift die Arbeit von
Wuttke nicht hinterlaffcn worden, eine Reife nach Paris
follte die letzte Ausbeute aus nur dort zugänglichem