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Ausgabe:

1879

Spalte:

427-428

Autor/Hrsg.:

Varnbüler, Thdr. von

Titel/Untertitel:

Acht Aufsätze zur Apologie der menschlichen Vernunft 1879

Rezensent:

Thoenes, Karl

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nf-

428

die erfteren zu Grunde. S. 21 wird behauptet, dafs die
Paläontologie nur fcharfe Sonderung der Arttypen zeige.
Auch dies ift doch nicht ganz richtig, wie die Thierfor- i
men: Ceratodus, Pterodactylus, Archaeopteryx zeigen
(vgl. K. E. von Baer, Studien u. f. w., 1876, II. S. 395 ff.).

Diefe Ausftellungen, welchen auch noch andere !
beigefügt werden könnten, follen aber den Werth der
Wigand'fchen Arbeit nicht fchmälern. Wigand iff unbefangen
genug, nur die Darwin'fche Selections-
theorie, nicht aber die Entwicklungslehre überhaupt
zu bekämpfen. Nur ift der Bogen der Kritik mitunter
etwas zu ftraff gefpannt, obwohl diefelbe im Wefent-
lichen zutreffend ift. Insbefondere ift auch die Anficht
zutreffend, dafs die Darwin'fche Theorie hauptfächlich
deshalb fo vielfeitigen und grofsen Beifall heb erworben,
weil man in ihr ftarke Stützen für die Pofitionen des I
Materialismus, befonders gegenüber Religion und Sittlichkeit
, zu finden glaubte, wie dies ja auch Straufs im
,alten (und neuen Glauben' (S. 175. 176) unverhohlen zu-
giebt. — Der Abfchnitt über die Zerfetzung des Darwinismus
ift in hohem Grade lehrreich und intereffant,
und durchaus angebracht ift auch die Lehre, die den
Lefern ertheilt wird, dafs die Vernunft in der Erkennt-
nifs der Wahrheit viel mehr leifte, als von den Gläubigen
in der Regel zugeftanden werde (S. 110).

Lennep. Lic. Dr. Thon es.

Varnbüler, Thdr. von, Acht Aufsätze zur Apologie der
menschlichen Vernunft. Leipzig 1878, T. O. Weigel.
(VII, 109 S. gr. 8.) M. 1. 80.

Der Verfaffer theilt im Vorworte mit, dafs er in
feinen Auffätzen die in Bezug auf einige wichtige Vorfragen
ausgearbeitete Ankündigung einer neuen Welt-
anfehauung gebe, und in Bezug auf diefe letztere hoffe
er im Lefer die Ueberzeugung hervorzurufen, dafs fie
frei und gründlich durchdacht fei und fich nicht voreilig
und unreif ans Licht dränge. Hiermit fchon verfpricht
er offenbar viel; aber unfere Erwartung mufs fich noch
fteigern, wenn wir hören, aus diefer Weltanfchauung ergebe
fich auf exaet wiffenfehaftlicher Grundlage und im
Einklänge mit der modernen Naturwiffenfchaft die Wahrheit
aller Fundamentalfätze des Chriftenthums. In diefer
Beziehung wird dann von vornherein fchon bemerkt, es
fei nur ein dreieiniger Gott möglich, weil kein Bewufst-
fein denkbar fei, das nicht dreieinig wäre. Befcheidener
wird freilich fogleich weiter hinzugefetzt, wenn die Auf-
fätze die volle Einficht darin, dafs die exaete Wiffen- j
fchaft künftig mit der nur ihr eigenen Schärfe und
Sicherheit zum Bewufstfein der Menfchen bringen werde,
was bisher die Tradition roh und unbeftimmt gelehrt,
noch nicht geben möchten, fo wolle der Verf. auch fchon
zufrieden fein, wenn fie nur die Möglichkeit einer voll-
ftändigen Ausföhnung von Wiffen und Glauben dargelegt
hätten.

Die 8 Auffätze haben die Ueberfchriften: I. Die Aufgabe
der Philofophie. II. Stoff und Geift. III. Vom
Princip der Unterfcheidung. IV. Wiffen, Sein und Glauben
. V. Die realiftifchc Abftraction. VI. Unfer Wiffen
apriori. VII. Die Einheit des Bewufstfeins. VIII. Theodicee.

Im erften Auffatze geht der Verf. davon aus, dafs
das gegenwärtige Bewufstfein der Menfchen zweifpältig
fei. In demfelben fei der Widerfpruch vorhanden zwi-
fchen den Anforderungen, die wir in Bezug auf die Verwirklichung
der Ideale der Gerechtigkeit, der Schönheit
und des Glückes an die Vorfehung ftellen, und dem
thatfächlichen Beftehcn einer Welt voll Ungerechtigkeit
, Abfcheu und Elend, wie fie unferen Sinnen entgegentrete
und durch die pofitive Kenntnifs der Natur
uns immer mehr bewufst werde. Diefer Widerfpruch
müffe gelöft werden. Die Religion, welche bisher diefe
Aufgabe erfüllt habe, fei einer feindlichen Wiffenfchaft
gegenüber waffenlos geworden. So müffe fie auf das

freie Denken fich ftützen, um ihren alten Sitz wieder in
Geift und Herz des Menfchen aufzufchlagen. Das erforderliche
freie Denken aber müffe zur Metaphyfik fich
ausgeftaltet haben, um uns Gewifsheit auch über unferen
Urfprung und über den endlichen Zweck und Ausgang
unferes Lebens zu geben. Mit unferem Denken
nun fei untrennbar ein Streben verbunden, und zwar
ein Streben nach Gewinn. So müffe auch unferem
Leben thatfächlich ein Gewinn als Zweck gegeben
fein; denn unfere Vernunft könne uns nicht immer und
überall belügen und betrügen. Darum müffe es nicht
nur im Walten der Naturkräfte, fondern auch in demjenigen
der geiftigen Kräfte eine befriedigende Weltordnung
geben. Dafs es nicht blofs eine Naturnotwendigkeit
, fondern auch eine Vernunftnothwendigkeit gebe,
welche mit jener in beftimmtem Zufammenhange flehe,
müffe die Philofophie nachweifen. Zwar fei eine Weltanfchauung
vom Standpunkte der Naturwiffenfchaft, zu
deren Objecten der ftrebende Gedanke nicht gehöre,
auch ohne Zweckbegriff correet , aber von demjenigen
Standpunkte aus, von welchem wir die geiftigen
Erfcheinungen unferes Bewufstfeins betrachten, fei eine
folche abfurd. Die Philofophie habe darum das Höhere,
die Lehre von den Gefetzen des Bewufstfeins, der Naturwiffenfchaft
voranzuftellen. Die kosmifche Welt fei
nur Ein Element des menfehlichen Bewufstfeins und von
letzterem a priori in ihrer Totalität umfafst. Das Bewufstfein
erzeuge in fich felbft die Erfcheinung der Welt,
aber ebenfo gebäre es auch die Begriffe des Guten und
Böfen, Begriffe, welche der reinen Natur ganz fremd
feien und dem Leben ausfchliefslich erft feinen Zweck
und Gewinn gäben. Aber eben, weil diefe Begriffe der
Natur fremd feien, fo müffe ein ewiges, dem logifchen,
ethifchen und äfthetifchen Bewufstfein ganz entfprechen-
des Leben gefordert werden. Dafs diefes letztere möglich
fei, müffe die Philofophie nachweifen. Diefelbe habe
alles Sein unferem Geilte in harmonifchem Zufammen-
hang einzufügen. Diefer eigene Geift aber fei freilich
nicht das perfönliche Ich (S. 14). Die Wiffenfchaft vom
Bewufstfein habe vielmehr mit dem Satze zu beginnen:
,alle Ewigkeiten und Unendlichkeiten der Zeit und des
Raumes und der in ihnen gegebenen Dinge kommen nur
unferer Vernunft zu, in welcher allein deren Dafein fich
kundgiebt' (S. 14).

In den weiteren 7 Auffätzen wird nun diefe Wiffenfchaft
vom Bewufstfein pofitiv entwickelt. Die gegebene
Skizze des erften Capitcls nebft den erwähnten Ueberfchriften
der folgenden giebt eine ungefähre Vorftellung,
wie diefe Entwickelung vollzogen wird. Es kann natürlich
nur die Aufgabe der Fachphilofophie fein, das
Einzelne mit ihren Mitteln zu beleuchten. Was die
Theologie betrifft, fo müfste fie es ja als ein dankenswertes
Gcfchenk begrüfsen, wenn der von F. A. Lange
fo klaffend dargeftellte Rifs zwifchen der Idealwelt in
uns und der wirklichen Welt aufser uns glücklich überbrückt
und aufserdem noch die chriftliche Wahrheit phi-
lofophifch neu begründet werden könnte. Aber dem
Unterzeichneter* ift bei der Leetüre der Varnbüler'fchen
Schrift wiederholt der Eindruck geworden, dafs die Wege
Hegel's fich in derfelben neu aufgethan haben, und:
vestigia terrent! Es ift ja begreiflich, dafs der Verf. in
dem gegenwärtig brennenden Kampfe der Geifter um
religiöfe Fragen die Philofophie zur Schiedsrichterin berufen
glaubt; aber wie immer, wird fich wohl auch jetzt
die Religion felbft helfen müffen.

Lennep. Lic. Dr. Thon es.

Mariano, Raffaele, Cristianesimo Cattolicismo e Civiltä.

Bologna 1879, Zanichelli. (586 S. 8). L. 6.

Der politifche Umfchwung Italiens hat fich vor
unferen Augen mit überrafchender Schnelligkeit vollzogen
. Die Baufteine lagen bereit, es bedurfte nur des