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Ausgabe:

1879 Nr. 18

Spalte:

421-422

Autor/Hrsg.:

Lebedew, A.

Titel/Untertitel:

Die allgemeinen Synoden des 4. u. 5. Jahrhunderts. Uebersicht über ihre dogmatische Thätigkeit im Zusammenhang mit den Bestrebungen der alexandrinischen und antiochenischen Schulen 1879

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 18.

422

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AaeBoanApücKofi 11 AaTioxiScRoB. Mockbb 1979.

;Lebedew, A., Die allgemeinen Synoden des 4. u. 5. Jahrhunderts
. Ueberficht über ihre dogmatifche Thätig-
keit im Zufammenhang mit den Beftrebungen der
alexandrinifchen und antiochenifchen Schulen. Moskau
1879, Deubner. (IV, 285 S. gr. 8.)]

Ref. hatte (diefe Ztfchr. 1877 Nr. 25) die Freude,
ein beachtenswerth.es Werk eines ruffifchen Gelehrten,
Iwanzow-Platonow's, zur Gefchichte des Gnofticismus
den Fachgenoffen empfehlen zu können. Auch die vorliegende
Leiftung des aufserordentlichen Prof. an der Moskauer
geiftlichen Akademie Lebedew darf als eine
tüchtige Leiftung bezeichnet werden. Allerdings fteht fie,
was Schärfe der Kritik und Selbftändigkeit des Urtheils
betrifft, weit hinter der von Iwanzow zurück; aber der
Fleifs, welchen der Verf. überall bekundet hat, und der
Umfang feiner Quellenftudien fichert ihr innerhalb der
kirchenhiftorifchen Arbeiten der ruffifchen Theologen
einen hervorragenden Platz. Der Verf. ift, foviel Ref.
weifs, der erfte ruffifche Gelehrte, welcher eine ausführliche
Gefchichte des trinitarifchen und chriftologifchen Dog-
ma's im 4. und 5. Jahrhundert gefchrieben hat. Dies ift
auch daraus zu fchliefsen, dafs L. in dem ganzen Werke
nur drei einfchlagende ruffifche Arbeiten citirt, nämlich
des Bifchofs Johannes Gefchichte der erften drei Con-
cilien (1871), Tfchelzow, Alte Symbolformen, und eine
Abhandlung aus den ,'lTenin 06m. jioO. ^yx. iipocn-twu,'. 1875
/. III: ,Das Concil von Nicäa nach einem koptifchen
Texte'. Aus erfterem Werke fcheint L. nicht viel gelernt
zu haben; denn er läfst es ziemlich bei Seite liegen
, dagegen fcheint das zweite eine werthvollere Leiftung
zu fein; und die zuletzt genannte Abhandlung be-
fchämt uns deutfehe Theologen; denn während bei uns
die von Revillout {Journ. Asiat. 1875 f. Ztfchr. f. KG.
Bd. I. S. 130. 140) veröffentlichten koptifchen Acten,
foviel Ref. weifs, noch immer keiner gründlichen Unter-
fuchung unterzogen worden find, haben ruffifche Theologen
bereits i. J. 1875 die Acten geprüft und gegen R.
auf die Unechtheit derfelben erkannt. Aufser diefen
drei ruffifchen Arbeiten und der franzöfifchen des Abbe
Martin über die Räuberfynode citirt der Verf. nur
deutfehe Werke und Abhandlungen und zwar kennt
er diefelben in einem beträchtlichen Umfange. Neben
Hefele, Neander, Baur, Dorner, Böhringer,
Möhler, Ullmann, Caspari, Hahn werden die Monographien
von Hergenröther und Kihn über die anti-
ochenifche Schule, wird Kölling's tendenziöfe Arbeit
über den Arianismus, Arnedt's Biographie Leo's I.
u. f. w. benutzt. Selbft über die Exiftenz einer Jenaer
Doctordiffertation von Schapper, die chriftologifchen
Sätze der Synode von Chalcedon (1878) werden wir belehrt
. Der Verf. aber hat aus diefen Büchern nicht
einfach ein neues zufammengefchrieben, fondern wirklich
die Quellen felbft gelefen und läfst auch diefe meiftens
allein zu Wort kommen. So anerkennenswerth nun
diefe Belefenheit ift, zumal da fie fich in dem Werke
nicht vordrängt, fo fehr mufs man es bedauern, dafs
der Verf. nicht die älteren Arbeiten zur Gefchichte des
4. und 5. Jahrhunderts ftudirt hat. Mit Baur und Dorner
kann fich der griechifche Theologe im Grunde
nicht minder befreunden als mit Hefele und Neander.
Sie können ihn in der Behauptung und Durchführung
feiner eigenen kirchlichen Anficht nicht eigentlich ftutzig
machen. Auseinanderfetzungen aber mit den Dogmen-und
Kirchenhiftorikern aus der vorhegelifchen Zeit hätten ihn
zu Erwägungen gezwungen, die er jetzt nicht einmal
ftreift. Seine dogmenhiftorifchen Ausführungen und
dogmatifchen Beurtheilungen bewegen fich deshalb ganz
in den feit den vierziger Jahren diefes Jahrhunderts ausgetretenen
Geleifen. Zum Unglück ift ihm noch die wichtige
Arbeit von Zahn über Marceil unbekannt geblieben
und fo kommt er auch in feinen Beftimmungen
•des Begriffes 6/nonvntag über die traditionellen Fehler
nicht hinaus. Neues ift überhaupt bei uns aus dem
Buche nicht zu lernen, fo gewifs der Verf. feinen Landsleuten
eine werthvolle Gabe gebracht hat.

Das Werk, in welchem alle rein kirchengefchicht-
lichen Fragen bei Seite gelaffen find, zerfällt in 10 Ab-
fchnitte. Der erfte handelt nach einer Charakteriftik der

| Parteien von dem nieänifchen Concil, hauptfächlich von

I dem dort aufgehellten Symbol. Die Beurtheilung der
Parteien mag daraus erkannt werden, dafs der Verf.
die homooufianifche einfach als die confervative bezeich-

net, während er die Arianer die liberal-rationaliftifche
nennt. ,Sie entfernten fich' (S. 6) ,von dem rechten,
innerlichen Glauben; fie wollten die Fragen des Glaubens
derfelben Verftandesprüfung unterwerfen, wie alle
übrigen Fragen. Den Glauben wollten fie dem Wiffen

I unterwerfen. Sie beftanden in Bezug auf die Religion
auf dem Wiffen und achteten den einfältigen Glauben
nicht hoch. Mit Kritik und Analyfiren betraten fie
das Gebiet der religiöfen Fragen. . . . Die arianifirenden
Parteien wollten aber auch das Zeugnifs der Tradition
der Kritik unterziehen. Sie behaupteten, dafs auch den
älteften Anflehten auf dem Gebiete des Glaubens ohne

| Prüfung nicht zu folgen fei u. f. w.' Diefe Probe möge

; genügen. Der zweite Abfchnitt ift überfchrieben: ,Geo-
graphifche Verbreitung der Nicäner und Antinicäner'; in
dem dritten wird die dogmengefchichtlichc Entwicklung
des 4. Jahrhunderts an der Hand der Cappadocier
bis z. J. 381 dargeftellt. Der 4. Abfchnitt ift ganz dem
fog. conftantinopolitanifchen Symbole gewidmet. Ueber
die Echtheit desfelben hat der Verf. keine Scrupel.

| Selbft die Anficht, dafs es fchon früher in Gebrauch
war und zu Conftantinopel nur als allgemeines Symbol
proclamirt wurde, lehnt er ab. Er entfeheidet fich vielmehr
mit Neander dafür, das Symbol fei als eine in

I C/pel gemachte Erweiterung des Nicänums zu betrachten
. Bei diefer Auffaffung mufs nur befremden, dafs
aufser anderem ein fehr wichtiges Glied des Nicänums

! im Ctanum fehlt, nämlich die Worte: xovx soxiv ex xfig
ovalac xnv mtTQog. Diefe Schwierigkeit ift denn auch
dem Verf. (S. 113 f.) bei feiner fehr ausführlichen Ana-

1 lyfe des Symbols nicht entgangen. Er fucht fie unter

1 Ablehnung der bisherigen Erklärungsversuche, namentlich
des von Tfchelzow (die Phrafe fei als eine neben
'iiooi-oioQ überflüffige weggelaffen worden) auf einem
eigenthümlichen Wege zu löfen: ,Die Ausdrücke yevvrj-
irtvxa ex tnv naxQng, tobt eaxiv ex rf}c ovo/ctg xnv naxQÖg
und ouonvainv x<J> naxQi konnten auf den Gedanken
führen, dafs die Geburt des Sohnes Gottes vom Vater
und feine Seinsweife in Gleichwefenheit aufeinanderfolgende
Momente feien. Zuerft wird der Sohn geboren
aus dem Wefen des Vaters und dann wird er zum Inhaber
jener Gott gleichwefentlichen Eigenfchaften. Die
Ausdrücke des Nieänifchen Symbols konnten leicht zu
einem folchen Gedanken Anlafs geben u. f. w.'. Diefe
Auskunft ift zwar ganz fcharffinnig, aber fie hat an
keiner wirklichen Ueberlieferung einen Anhalt und vor
Allem — das C/litanum ift eben überhaupt nicht als
ein erweitertes Nicänum zu begreifen.

In den 6 letzten Abfchnitten wird die Gefchichte
des chriftologifchen Dogma's dargeftellt. Der Verf. hat
für das Ephefinum auch die Publication von Hoffmann
herangezogen. Ueberall ift er bemüht die Gegenfätze
auf tiefer liegende Differenzen zwifchen der antiochenifchen
und alexandrinifchen Schule zurückzuführen; der
letzteren gelten feine Sympathien; aber natürlich mufs
auch er ihr unmittelbar vor dem Chalcedonenfe feine

: Gunft faft ganz entziehen.

Giefsen. Ad. Harnack.