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Ausgabe:

1879 Nr. 17

Spalte:

410

Autor/Hrsg.:

Bassermann, H.

Titel/Untertitel:

Bilder aus der Geschichte der deutschen Volksschule. Vortrag 1879

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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409 Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 17. 410

hochdeutfche Ueberfetzung oder Bearbeitung hinzuge- I fich berichtigen laffen. Hier kann auf Einzelnes nicht
fügt. Beigegeben ift als Anhang ein .Gang durch das weiter eingegangen werden.

katholifche Kirchenjahr an der Hand des Kirchenliedes',
der eine Sammlung neuerer deutfcher katholifcher Ge-
fänge enthält, deren Verfaffer, foviel wir fehen, nicht
genannt ift, und ein .Regifter'.

Sehen wir von dem .erften Zeitraum' ab, defferf Behandlung
eine, durchaus ungenügende ift, der aber auch
gar nicht in eine .Gefchichte des katholifchen Kirchenliedes
' gehört, fo wird man im Allgemeinen der Arbeit
nachrühmen dürfen, dafs fte für den Zweck, den der
Verf. zunächft bei ihr im Auge hatte, brauchbar ift;
Seminariften und Lehrer werden bei ihren Studien über
,das gciftliche Lied in Deutfchland', wie etwa der Titel
lauten müfste, aus diefem Buche fich über die Hauptfache
belehren können; und mit Rückficht auf diefen
Zweck mag die reiche Auswahl von Liedern und dafs
der Text mehr eine Gefchichte der Dichter als des Liedes
enthält, ganz paffend fein. Dafs der Verf. fo unbefangen
die Verdienfte lutherifcher Sänger um das Kirchenlied
anerkennt und dafs er auch für die katholifche
Kirche das deutfehe Kirchenlied im Gottesdienft beibehalten
, refp. eingeführt wiffen will, ift befonders hervorzuheben
; in der letztern Hinficht wendet er fich S. 271 f.
gegen die Beftrebungen des von Dr. Franz Witt i. J.
1867 gegründeten Cäcilicnvereins, der ,dem deutfehen
Kirchenliede keine Stellung mehr im Hochamte gönnt'.

Dafs im Einzelnen mancherlei Verfehen vorkommen,
ift bei einem Werke diefer Art wohl nicht zu verwundern,

Hamburg. Carl Bert he au.

Bassermann, Prof. H., Bilder aus der Geschichte der
deutschen Volksschule. Ein Vortrag, gehalten am
11. Jan. 1879 im Mufeum zu Heidelberg. Heidelberg
1879, Koefter. (27 S. gr. 8.) M. — 60.

Das Intereffe für die Volksfchule ift in der Gegenwart
ein allgemein verbreitetes, die Kenntnifs ihrer Gefchichte
daher nicht nur für die Fachmänner, fondern
für Jedermann nothwendig. Wer diefe fördert, fördert
die Sache felbft! Und das ift dem Zeichner diefer Bilder
aus der Gefchichte der deutfehen Volksfchule
' vortrefflich gelungen. Man fieht es ihnen an,
dafs fie auf gründlichen Vorftudien beruhen, man freut
fich über die Correctheit und Schönheit der Linienführung
, man ergötzt fich an der forgfältigen Ausführung im
Einzelnen und gewinnt fie bei wiederholter Betrachtung
mehr und mehr lieb.

Das erfte derfelben zeigt uns ,eine Volksfchule am
Ende des 16. Jahrhunderts, etwa in Churfachfcn, welches
im Jahre 1580 eine neue Kirchenordnung erhalten hatte'.
Das zweite führt uns die Schule des Waifenhaufes zu
Halle vor Augen, ,um die Volks- und Armenfchule des
Pietismus kennen zu lernen'. Auf dem dritten fehen
wir die Dorffchule von Rochow's vor uns und erkennen
an dem von den Kindern gebrauchten ,Kinder-
doch hätte der Verf. bei genauerer Durcharbeitung feines I freund' die Schule der Aufklärung des 18. Jahrhunderts,

Stoffes wohl eine Anzahl derfelben vermeiden können, j der von Rochow felbft in feinem Kinderfreunde das
So hat er S. 146 oben einige Versreihen von Conrad ,erfte Lefebuch' gegeben hatte, beftimmt, wie er

von Queinfurt angeführt, ohne zu merken, dafs diefe
Reihen aus dem S. 123 f. abgedruckten Liede desfelben
find, und zwar ift der Text an der erften Stelle (S. 124
oben) ein viel richtigerer als an der zweiten; noch beffer
ift freilich der Text in Hoff mann von Fallersleben, Gefch.
des deutfeh. Kirchenliedes, 2. Aufl. S. 80; da der Verf.
fich fonft auf diefes Werk beruft, fo ift nicht deutlich,
warum er bei diefem und einigen andern Liedern nicht
die hier gegebene kritifche Textbearbeitung benutzt.
Beim Mönch von Salzburg S. 124 war zurückzuverwei-
fen auf S. 68 und S. 77 f., wo fchon Lieder von ihm
mitgetheilt find. Das S. 152 unter Liedern von Luther
abgedruckte ,Nu bitten wir den heyligen Geyft' ift
nicht das lutherfche Lied, fondern das katholifche
mit derfelben aus dem Mittelalter flammenden Anfangs-
ftrophe; es findet fich zuerft fo in dem unferm Verf.
nicht unbekannten Gefangbuch von Michael Vehe, Leipzig
1537 (in dem von Hoffm. v. Fallersleben Hannover
1853 beforgten Abdruck desfelben S. 64 f.) Dafs Joa-

fagt, ,die Lücke zwifchen Bibel und Fibel auszufüllen'
Auf dem letzten Bilde aber feffelt uns die Geftalt eines
Mannes, der mitten in einem Haufen von etwa 60 Knaben
und Mädchen fleht, ,ohne Halstuch, ohne Rock, in
blofsen langen Hemdärmeln, die ihm über die nachläffig
herumfehwenkenden Arme und Hände herunterhängen'.
,Er ift häfslich, aber doch liegt etwas ungemein Gewinnendes
in feinen Zügen, welche die deutlich erkennbare
Spur einer fchweren Vergangenheit, durchlebter
Leiden und Kämpfe, einer gedrückten Lage aufweifen.
Vor Allem leuchtet aus feinen Augen, aus allen feinen
rafchen Bewegungen ein heiliger Eifer, eine warme, fich
felbft und die ganze Welt über dem Einen, was er trieb,
vergeffende Liebe. Es ift Johann Heinrich Peftalozzi'.

Es ift das letzte und fchönfte Bild, das uns vorgeführt
wird. Eine Volksfchule in Peftalozzi's Sinn braucht
nicht gezeigt zu werden (S. 25). ,Es ift unfere heutige
Volksfchule'. Ihr Gedeihen erblickt Baffermann darin,
wenn der Staat, den er dem Vater vergleicht, und die

chim Ncander und Gerhard Terfteegen S. 186 unter der j Kirche, in der er die Mutter erblickt, fich vertragen
Uebcrfchrift ,der Pietismus in der lutherifchen Kirche' I ,Es mufs', heifst es mit gerechter Erwägung der beider-
behandelt werden, ift bei dem kath. Verfaffer verzeihlich, feitigen Intercffcn, ,der Kirche als Pflegerin der Religion

Auch dafs er erzählt, Paul Gerhardt habe ,das Land
verlaffcn' müffen, da das auch evang. Schriftfteller noch
fagen. Ganz auffällig ift S. 192 im Anfang von Alinea
1 ein Bericht aus dem Leben Friedrich Spe's, der fich
faft mit denfelben Worten in Koch's Gefch. des Kirchenlieds
u. f. f. 3. Aufl. Bd. 4, S. 186, findet und vielleicht
an beiden Orten aus derfelben Quelle flammt;

ein geordneter Antheil an der Volksfchule gewahrt
bleiben. Und wer wollte dem Vater, dem Hausherrn,
die oberfte Leitung der Erziehung aus der Hand nehmen
? So mufs der Staat feine ftarke, ordnende Hand
halten über die Volksfchule. Das Kind aber darf weder
für die Wünfche der Mutter, noch für die Bedürfnifse
des Vaters erzogen werden: feine eigene Individualität

hier wird u. a. vorausgefetzt, dafs Peine bei Rinteln will und foll es entfalten: dies mufs der Pädagog die

liegt! Dafs im Ganzen der Lebensbefchreibung katho
lifcher Dichter mehr Raum gewidmet ift, als derjenigen
derevangelifchen, wird man begreiflich finden; doch fcheint
die Ungleichheit in der Behandlung wohl oft mehr zufällig
zu fein, als dafs fie durch den Plan des Werkes
gefordert wäre. Sollte das Buch eine zweite Auflage
erleben, fo wäre dem Verf. zu rathen, dafs er diejenigen
Abfchnitte, in welchen ,das lutherifche Kirchenlied' behandelt
wird, einem fachkundigen evang. Theologen
vorher zur Durchficht vorlegte ; dann würden auch
eine grofse Anzahl kleinerer Verfehen in Daten u. dgl.

Eltern lehren, damit fie in nichts Unvernünftigem fich
einigen. Wünfchen wir dem Bunde Eintracht und Gedeihen
: auf ihm ruht die Zukunft unferes Vaterlandes,
das Heil unferes Volkes'. In diefen Wunfeh ftimmt
auch Ref. von ganzem Herzen mit ein.

Crefeld. F. R. Fay.