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Ausgabe:

1879 Nr. 17

Spalte:

406-407

Autor/Hrsg.:

Drei Abhandlungen über Religion, Staat

Titel/Untertitel:

Moral 1879

Rezensent:

Thoenes, Karl

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Seite 1, Seite 2

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 17.

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Identität der chriftlichen und jeder fonftigtn gefunden lieh möglichft genaue Faffung und möglichft charakteri-
Moral getagt ift, und auch darin kann nur ein anzuer- ftifche Befchreibung des fpeeififeh Chriftlichen im Unter-
kennendes Urtheil gefunden werden, dafs die Bedeutung fchiede von allem Aufserchriftlichen an. Die Relimons-
Jefu als Lehrers der Moral in feiner perfönlichen Ver- j philofophen und die Culturhiftoriker werden fich aks die
wirklichung des durch ihn gepredigten Ideals gefunden j Sachverftändigen betrachten, und der Werth der Arbeit
wird. Allein wie unbefangen und wie richtig auch diefe j wird von der Verbindung durchdringenden Scharffinns,
Apologie der Originalität der chriftlichen Moral ausfällt, grofsartiger Gefammtanficht und eingehender Detailkennt-
fo lange die eudämoniftifche Grundlegung bleibt, wird j nifs abhangen. Wird hingegen das Chriftenthum als ein
auch der Peffimismus das letzte Wort behalten., Man [ Syltem von Wahrheiten (feien fie ethifcher oder meta-
wird die Moral auf anderer Grundlage fuchen muffen, , phyfifcher Natur) betrachtet, fo find wir als Apologeten
wenn man nicht bei der Erlöfung vom Dafein anlangen fofort in praxi nur noch Populärdogmatiker, refp. Popu-
will. Der Peffimismus ift ja nur der ehrliche Schlufs aus lärphilofophen, und hieran krankt die gefammte moderne
der Betrachtung der Wirklichkeit von eudämoniftifchem Apologetik. Gefleht man fich ein, dafs die Ausbreitung
Gefichtspunkte aus. j des chriftlichen Princips in ein Syltem von Wahrheiten

Parallel mit den Aeufserungen über die Ethik geht nur durch die Einkleidung in die zu einer beltimmten

eine Aeufserung S. 347 über den Idealismus, die eine
dem letzteren diametral entgegengefetzte Auffaffung ver-
muthen liefse und fich fchliefslich nur als eine VerZeit
im allgemeinen Bewufstfein lebenden philofophifchen
Kategorien möglich ift — ein Eingeftändnifs, dem fich
doch kein Kenner der Dogmengefchichte entziehen kann

kennung des in fremdartiges Gewand gehüllten Bruders J — fo hat man fich auch zugeftanden, dafs eine jede Apo
begreifen läfst. Baumftark polemifirt gegen den einfei- j logetik des Chriftenthums als Syftems nur Apologie eines
tigen Idealismus eines Renan, Straufs, Schiller, die im beltimmten Syftems über das Chriftenthum, aber nicht
biblifchen Monotheismus eine Verkümmerung gegenüber Apologetik des Chriftenthums fclber und als folchen
dem farbenreichen polytheiftifchcn Olymp erblicken, werden kann. Die wahre wiffenfehaftliche Vertheidigung
,Wird der Idealismus', fchreibt er, ,dem die Dinge nicht des Chriftenthums ift dann aber die Dogmatik, und neben
wirklich exiftiren, fondern die Gcfchöpfe unferes Geiftes derfelben, fofern fie nur confequent durchgearbeitet ift,
find, auf die Erklärung der Religion angewendet, fo wird befteht kein Raum mehr für eine befondere Apologetik,
diefer alle objective Wahrheit genommen; es giebt nichts Freilich hört deshalb das Bedürfnifs nicht auf, fich folide
Objectives, das den religiöfen Vorftcllungcn entfpricht; wiffenfehaftliche Grundlagen für die Annahme einer an-
diefe find nur Erzeugnifse des idealen Zuges der menfeh- deren als der materialiftifchen.derpcffimiftifchen, der fkep-
lichen Natur, Gebilde unfercr Phantafie'. Mit welchem tifchen Weltanfchauung zu verfchaffen. Aber es ift
Rechte fchiebt hier Baumftark dem Begriffe ,Idealismus' ein Irrthum, wenn man diefem Bedürfnifs durch eine beplötzlich
den fo ganz anderen Begriff .idealer Zug der fondere Wiffenfchaft, durch die Apologetik abhelfen zu
menfehlichen Natur' unter? mit welchem Rechte iden- müffen glaubt. Der Stoff, den diefe zufammenträgt, ver-
tificirt er den Begriff, Gefchöpfe unferes Geiftes' mit dem theilt fich wiffenfehaftlich auf eine ganze Reihe von DisBegriffe
,Gebilde unferer Phantafie'? Sind dem Idealis- eiplinen und zwar fowohl philofophifchen als theologifchen,
mus die Dinge Gefchöpfe feines refp. unferes Geiftes, fo die auch allein den Raum bieten, fo ins Einzelne zu
find fie ihm nicht blofs Erzeugnifse der Phantafie. Spe- gehen, wie es gegenwärtig die wiffenfehaftliche Debatte
ciell ein chriftlicher Apologetiker darf aber am Aller- < und zu allen Zeiten praktifch der Zweifel fordert,
weniglten Geilt und Phantafie fchlechthin identificiren. m-^rcK,,-™ i/TJ Air j ir r
Gott ift Geilt. Es bedarf nur des Hinweifes auf diefes j ^rafsburg i;E. Alfred Kraufs.

eine Wort Wenn wir aber von Idealismus als einer Drei Abhandlungen über Religion, Staat, Moral. Von einem

»hi ofophifchen Richtung oder einer beltimmten Weltan- »„„„______. -n 0_ r ,„„ ~ „

ficht fprechen, fo handelt es fich nicht um das Sein oder Ungenannten. Bern 1879, Wyfs. (VII, 193 S. 8.)
Nichtlein der Dinge, fondern um unfere Berechtigung 2" 4°-

Etwas als feiend oder nichtfeiend anzunehmen, und dies Der ungenannte Verfaffer hat offenbar eine ziem-

mufs doch auseinandergehalten werden. Der Idealismus lieh hohe Meinung von der in feinen drei Abhandlungen

behauptet nur, dafs wir blofs dann berechtigt feien, die niedergelegten geiftigen Arbeit. Dies geht hervor fowohl

Realität deffen, was wir für real halten, anzunehmen, aus dem Motto der Schrift: ,Non ovinis moriar als

wann die Nothwendigkeit zur Bildung der betreffenden auch aus dem Ton, der fich durch diefelbe hindürch-

Vorftellungen fich aus der fich felbft verftehenden Ver- zieht. Ueberdies wird gleich Eingangs der Leier noch

nunft ergebe. Gerade darin aber zeigt er fich als der befonders darauf hingewiefen, dafs er die Ergebnifse

Zwillingsbruder des Glaubens, der nichts Anderes als 4ojähriger Mannesarbeit empfange, und gebeten, nach

der praktifche Idealismus ift. einmaliger flüchtiger Durchficht nicht zu urtheilen.

Die Arbeit von Baumftark gewährt eben fo viel In- Sollen wir nun ganz kurz fagen, was die Schrift

tereffe als Belehrung. Sie zeugt ven mancherlei und bietet, fo wird diefelbe wohl am heften mit dem Namen

eindringenden Studien und geht den Schwierigkeiten eines .Katechismus' bezeichnet. Zwar find die Abhand-

nicht aus dem Wege. Dabei ift fie von einem frifchen lungen nicht in Frage und Antwort abgefafst, aber die

und freien Geilt durchweht. Die Fenfter werden nicht Art der Darfteilung im Uebrigen läfst fich wohl nicht

ängftlich vor dem Zugwind moderner Kritik verfchloffen, beffer vergleichen. Auf möglichft kleinem Raum finden

aus Furcht, man könnte eine Firkältung bekommen. Wenn wir eine grofse Fülle von Stoff in einer Art Syftematik

ich dem ungeachtet mich nicht völlig zuttimmend ver- behandelt, und der Ton ift ficher, lehrhaft und populär,

halten kann, fo liegt die Urfache tiefer als nur an ein- Der wiffenfehaftliche Werth der Abhandlungen aber ift

zelnen Punkten ungleicher Anficht. „ gering.

Das Chriftenthum kann entweder als ein Princip Die erfte ift eine populäre Dogmatik. Diefelbe

oder als ein Syftem aufgefafst werden. Im erfteren Falle enthält aber auch Bemerkungen über Kritik der Evan-

wird die Apologetik durch Vergleichung mit anderen ge- gehen und die Gefchichte der Kirche. Im Allgemeinen

fchichtlich bemerkenswerthen Principien den Nachweis wird die orthodoxe kirchliche Lehre reproducirt. Nur

zu liefern haben, dafs das chriftliche Princip um feiner über die Dreieinigkeitslehre und die Sacramente kommen

metaphyfifchen und pfychologifchen Begründung willen wefentlich abweichende Anflehten zu Tage (vgl. S s.a. fij

und eben fo wegen feiner ethifchen Folgen und cultur- Eigenthümlich ift die Ableitung des Begriffs der Offen

gefchichtheh zu Tage getretenen Wirkungen den Vorzug barung. Indem der Verf. das Wiffen auf die Kenntnifs

vor allen anderen religiöfen Principien verdient. Hier aus finnlicher Wahrnehmung befchränkt (S 4) urtheilt

kommt es vor Allem auf die begrifflich und gefchicht- er, der Menfeh könne zum Begriff des Äufser oder