Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1879

Spalte:

388-389

Autor/Hrsg.:

Plitt, Herm.

Titel/Untertitel:

Theologische Bekenntnisse 1879

Rezensent:

Krauss, Alfred

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

3»7

388

blemftellung, aus der beide Erfcheinungen hervorgegangen
. Das Problem der Myftik, wie das, welches
Luther auf die Bahn des Reformators geführt hat, ift
das der Heilsgewifsheit. Die katholifche Lehre von der
Rechtfertigung ift der Art, dafs fie eine Heilsgewifsheit
des Individuums nicht zuläfst. Aber es ift ein unver-
äufserliches Bedürfnifs des Chriften, feines Heiles gewifs

wieder gekreuzt von katholifchen Reminiscenzen. Die
Myftik mufste ihm anziehend erfcheinen, weil die
Fragftellung derfelben feine eigene war. Das myftifche
Gedankenmaterial ift der Art, dafs es zum Theil evan-
gelifch umgedeutet werden kann. Die myltifchen Formen
können auch evangelifchen Inhalt bekommen. Unter den
nöthigen Reftrictionen können auch wir Proteftanten uns

zu fein. Nun ift die Myftik der Verfuch auf dem mit der ,Gelaffenheit', dem,Kreuzesfinne' etc. befreunden.
Boden des Katholicismus und mit katholifchen Mitteln 1 Kein Zweifel, dafs Luther hier oft nur die evangeli-

die Heilsgewifsheit zu gewinnen, die Reformation ift die
Löfung des Problems mit den neuen Mitteln des Rückgangs
auf die echten biblifchen Ideen. Um das Ver-
hältnifs der beiden richtig zu beurtheilen, bedarf es
freilich eines genaueren Mafsftabes zur Werthung reli-
giöfer Ideen, als der gemeinhin angewandt wird. Die

fchen Gedanken von der Demuth, Leidenswilligkeit
etc. hineingelefen hat. Aber er hat auch oft genug die
myftifchen Vorftellungcn als folche ftch angeeignet.
Das ift der alte Mönch, der fich da in ihm geregt hat!
— Hering erklärt im Vorworte, dafs er weit entfernt
fei, Luther zum Myftiker zu machen. In der That be-

Myftik operirt nur mit der Phantafie und dem Gefühl, j währt er im Detail mehrfach einen guten Tact für die
Die populäre Myftik verlief in lebendigen anfehaulichen J Grenzen beftimmter Ideen der Myftik. Aber er ftellt

Vifionen über die Herrlichkeit des Himmels, die theo
logifch gebildete Myftik erreichte ihr Ziel in der Form
contemplativer, fpeculativer Verfenkung in das Ge-
heimnifs des göttlichen Wefens. In beiden Fällen handelte
es fich darum, einen Vorgefchmack des Heiles zu

dann Luther's Ideen fo dar, als feien fie nur die volle
Entwickelung deffen, was in der Myftik gewiffermafsen
in der Knofpe erfcheine. In Wirklichkeit find Luther
's Theologie und die Myftik Bäume von ganz ver-
fchiedener Gattung. Die Reifer der Myftik auf dem

gewinnen, indem bald — im erfteren Falle — die Vifion Baume der Theologie Luther's find Pfröpflinge, die ihre
zugleich als genügender Gnadenerweis galt, um fich geringere Art nicht verleugnen können. Wenn Hering

der gefteigerten Hoffnung auf die definitive, ewige
Gnade zu ergeben, bald — im letzteren Falle — die
Einficht in die Mittel, durch welche jenes Vergeffen der
Schranken des creatürlichen Seins und die Empfindung
des unendlichen Lebens Gottes erreicht werden könne,

genauere Kenntnifs von dem Kampfe Luther's gegen die
,Schwärmer' genommen hätte, als fein letztes Capitel
v.erräth, würde er vielleicht auch erkannt haben, dafs
derfelbe nur deshalb fo hitzig geführt wurde, weil der
Reformator hier felbft zu der Empfindung gelangte, dafs

ls die Bürgfchaft für die fchliefsliche vollkommene Er- i das Mark feines religiöfen Denkens ein anderes war,

reichung des Heilsziels erfchien. Gewöhnlich wird nur
die fpeculative Myftik in Rechnung gezogen. Ein pro-
teftantifcher Theolog hat immer eine gewiffe Scheu vor
ihrem ,Pantheismus'. Aber es kommt darauf an zu bemerken
, dafs fie nur Ernftmacht mit der katholifchen
Vorftellung vom Wefen des Heiles, welches in der fruitio
Dci befteht. Die Vorwegnahme der Empfindung des unendlichen
göttlichen Lebens kann felbftverftändlich nur
gefchehen unter völliger Abtödtung des Intereffes für die
Dinge diefer Welt. Das ift die myftifche ,Gelaffenheit'.
Die Anftrengungen der Phantafie und des Gefühls ergeben
nothwendigerweife jene Rückfchläge, die als ,Anfechtungen
', Empfindungen ,geiftlicher Verlaffenhcit' bezeichnet
werden. Der ,Leidensfinn' der Myftik, ihre
,Kreuzesliebe', ihre Empfehlung der ,Nachfolge des armen
Lebens Jefu' find fo offenbar katholifche mönchi- kenntnifs ab. Der Ausgangspunkt ift die Idee des per
fche) Neigungen, dafs es keines Wortes darüber weiter fönlichen Abfoluten, Gottes als der abfoluten Perfön-

als das der Myftik.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Plitt, Sem.-Dir. Dr. Herrn., Theologische Bekenntnisse.

Gotha 1878, F. A. Perthes. (IX, 173 S. gr. 8.) M. 3. —

Nachdem fchon vor 15 Jahren eine ausführliche Glaubenslehre
das Syftem des Verfaffers dargelegt, will derfelbe
nunmehr in kurzen Zügen Zeugnifs ablegen von
feiner theonomen Weltanfchauung. Es follen Grundlinien
fein einer chriftlichen Philofophie oder Theofophie.
Auf Grund theonomer Geiftesintuition, die fich an der
h. Schrift, an der kirchlichen Gemeinerkenntnifs und am
chriftlichen Bewufstfein orientirt, legt der Theofoph fein
logifch-dialektifch und empirifch-logifch vermitteltes Bebedürfen
follte. — Luther erreichte die Heilsgewifsheit
, indem er den Glauben gewann an die unverrückbare
Thatfache der in Chrifto offenbaren ewigen
Liebe Gottes, die immer fchon da ift, ehe der Menfch

lichkeit. Die Betrachtung der unorganifchen und der
organifchen Natur lehrt uns, dafs der Gefammtorganis-
mus, der Kosmos der Natur in Gott wurzelt. Als Krone
des organifchen Kosmos tritt der Menfch auf und in ihm

überhaupt zum Leben erwacht. Er wendet fich an den der überfinnliche Praetor in der Natur als frei-immanen-

Willen, dem er zumuthet, auf diefe Liebe Gottes zu
vertrauen, fich ihr zu ergeben, von ihr fich führen zu
laffen in der Gewifsheit, von ihr nur zum Heile geführt
zu werden. Er verlieht freilich auch unter dem Heile
etwas Anderes als der Katholicismus. Ihm ift das Heil
unmittelbar mit der (Etlichen Erneuerung gegeben. Die
.Gerechtigkeit' ift ihm nicht mehr nur die Bedingung,
fondern der Gegenftand derjenigen Freude, welche die
.Seligkeit', das ,Heil' ausmacht, einer Freude, die allerdings
erft im Jenfeits nach der völligen Erlöfung von der
Sünde vollkommen werden kann. Als das ,Gute', als den
Gotteswillen, betrachtet er nun auch nicht mehr die Entfremdung
von der Welt, fondern diejenige pofitive Verwendung
der Welt, die in dem Gebote der .Liebe' gefordert
ift. Luther hat einen ganz anderen Gefichtskreis als die
Myftik. Seine Reformation war die Ablöfung der Myftik!

ter oder als immanent-transfeendenter. Erft in der Ge-
meinfehaft vollendet fich das Wefen der Menfchheit. Das
Leben fordert alle drei Dimenfionen. S. 65: ,Die kreisförmige
oder elliptifche Signatur des organifchen Lebens
kommt zu ihrer ganzen Plerofis doch erft in der Kugel
oder dem Ei, der Muttergeftalt alles phyfifch-organifchen
Lebens, der Gefammtform auch des kosmifch-aftralen
Bewegungsgebietes. Was vermag aufgeblafener und
blinder Menfchenwitz gegen folche allbeftimmende Grundfläche
des Schöpfers im Gefammtbilde des Kosmos? So
erft kommt in der ehelichen Liebesgemeinfchaft nicht
blofs im Allgemeinen die Selbfthingebung zum Ausdruck,
fondern auch die befonderen Formen derfelben'. Das
Ethifche ift das organifch beftimmte Perfönliche. Gottes
Dreieinigkeit ift fpeculativ zu conftruiren und nicht blofs
als Offenbarungstrinität, fondern als ontologifche zu

Nun ift hiermit noch nicht ausgefchloffcn, was Hering ; faffen. Sie befteht metaphyfifch-organifch, ferner noe-

gezeigt hat, dafs die Myftik Luthern dennoch recht
kräftig beeinflufst hat. Wer Luther kennt, weifs, dafs
feine Anfchauungen immer auf- und niedergehen. Die
evangelifchen Gedanken werden bei ihm nur zu oft

tifch, endlich auch ethifch. In allen diefen drei Beftimmt-
heiten ift das Leben der abfoluten Perfönlichkeit trini-
tarifche Gemeinfchaft. S. 126 f.: ,Es erhellt aber leicht,
wie unter diefem ontologifchen Gefichtspunkte die zu-