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Ausgabe:

1879 Nr. 15

Spalte:

361

Autor/Hrsg.:

Sicherer, Herm. v.

Titel/Untertitel:

Personenstand und Eheschliessung in Deutschland. Erläuterung des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliessung 1879

Rezensent:

Köhler, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 15.

362

Sicherer, Prof. Dr. Herrn, v., Personenstand und Eheschliessung
in Deutschland. Erläuterung des Reichs-
gefetzes vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung
des Perfonenftandes und die Ehefchliefsung. Erlangen
1879, Palm & Enke. (XVIII, 537 S. gr. 8.) M. 12. -

Obwohl die Standesbuchführung und die Ehefchliefsung
im rechtlichen Sinne nicht mehr zu den Aufgaben
des praktifchen Theologen gehören, verdient ein Com-
mentar zu dem Reichsgefetz über die Beurkundung des
Perfonenftandes und die Ehefchliefsung immerhin auch
in einem theologifchen Literaturblatte der Erwähnung.
Es find noch Berührungspunkte genug vorhanden. Bei-
fpielsweife fei auf die [Ausführungen des Verf.'s über
die Qualität der Kirchenbücher als öffentliche Urkunden,
dieQualification von Geiftlichen aufser Dienft zur Function
als Standesbeamte, die Namengebung im Verhältnifs
zur Taufe, das Cölibat als Ehehindernifs u. A. aufmerk -
fam gemacht. Manches, wie die Beftimmungen über
die Ehehindernifse, die Trauerzeit verwittweter Perfonen,
erweift fich leider als fittlich recht bedenklich und läfst
die Gefahr von Conflicten mit den ernftcren fittlichen
Forderungen, welche die Kirche ftellen mufs, um ihre
Trauungshandlung gewähren zu können, erkennen. Von
theologifch wiffenfehaftlichem Intereffe ift der durch das
Reichsgefetz gefchaffene Zuftand namentlich auch durch
die theilweife noch fortdauernde Geltung des kirchlichen
Eherechts: das Gefetz hat zwar formell für Ehefachen
einen für manche Rechtsgebiete neuen, nämlich aus-
fchliefslich ftaatlichen Gerichtsftand gefchaffen, jedoch
materiell das beftehende Eherecht, alfo auch das ka-
nonifche und das gemeine proteftantifche, wo dasfelbe
in Uebung war, unberührt gelaffen — abgefehen von
der allgemeinen Zulaffung der Ehefcheidung, -— wodurch
denn zahlreiche eigenthümliche Complicationen entftehen.
Für den proteftantifchen Theil ift hier befonders die
Frage über die Natur des feitherigen Ehefcheidungs-
rechts des Landesherrn von Bedeutung. Beachtenswerth
ift auch die Unterfuchung des Verf.'s über die Frage,
ob durch das Reichsgefetz die tridentinifche Ehefchliefs-
ungsform (coram paroclw et testibus) nur einfach auf das
bürgerliche Gebiet übertragen fei: fie wird von ihm u.
E. mit Recht verneint. Zu $ 82 hat der Verf. die
neuerdings von Sohm ausgefprochene Auffaffung des-
felben leider nicht befprochen, wohl weil fie ihm noch
nicht bekannt geworden war. Es wäre von Intereffe
gewefen, das Urtheil einer fo competenten Autorität zu
vernehmen; Ref. glaubt kaum, dafs es mit Sohm's Anficht
übereinftimmend gelautet haben würde. Näher auf
den Inhalt des Buches einzugehen, dürfen wir uns an
diefer Stelle nicht geftatten; es mufs genügen zu fagen,
dafs die Erörterungen des Verf.'s durchweg reiche Sach-
kenntnifs und ein fcharffinniges Urtheil zeigen. Die
einzige Stelle, wo Ref. Einfprache erheben möchte, ift
die, wo von dem ,Nachweis' der bürgerlichen Ehefchliefsung
als Bedingung der kirchl. Trauung die Rede
ift: der Wortlaut des Gefetzes wenigftens begründet die
Forderung nicht, dafs diefer Nachweis gerade durch
Vorlage der ftandesamtlichen Befcheinigung geführt
werden müffe.

Friedberg. K. Koehler.

I 1. Du Bois-Reymond, Emil, Darwin versus Galiani.

Rede, in der öffentlichen Sitzung der königl. preufs.
Akademie der Wiffenfchaften zur Feier des Leibnizi-
fchen Jahrestages am 6. Juli 1876 gehalten. Berlin
1876, Hirfchwald. (32 S. gr. 8.) M. — 80.
2. Wigand, Albert, Die Alternative Teleologie oder Zufall
vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin. Caffel 1877, Kay. (36 S. gr. 8.) M. — 50.

Es ift lediglich die Schuld des Referenten, dafs die
beiden obigen Schriften erft jetzt an diefem Orte zur
Befprechung kommen. Indeffen dürfte durch die Bedeutung
ihrer Verfaffer, fowie durch diejenige ihres Streitpunkts
eine Nachholung des Verfäumten noch immer als

j gerechtfertigt erfcheinen.

Titel und Motto der erften Rede hat Bezug auf eine

I Anekdote, welche deren Ausgangspunkt bildet. Als im

1 Diderot-Holbachifchen Kreife der franzöfifchen Encyklo-
pädiften im Gegenfatz zu dem zurückgebliebenen kindlichen
Deiften Voltaire' die Sprache auf das blindmecha-
nifche Selbftarrangement der Atome zu unterer jetzigen,
factifch zweckmäfsigen Welt kam, fuchtc der mitanwefende
Abbe Galiani durch die Erzählung von einem tafchenfpiel-
erifchen Würfeler, der mit gefälfehten Würfeln den Zufall
regierte, die extrem materialiftifchen Freidenker ad absurdum
zu führen. Holbach's fpätere fchriftliche Entgegnung
, welche er im Systeme de la naturc auf diefen
Einwand giebt, mufs nun Reymond als herzlich fchwach
und ungefchickt anerkennen, glaubt aber dafür im Darwinismus
endlich die wahre Antwort für den fupranatura-
liftifchen Abbe gefunden zu haben. Daher ,Darwin versus
Galiani'. Seine Ausführung hat die nächfte Ver-
wandtfehaft mit der Art, wie Straufs im ,alten und
neuen Glauben' den Darwinismus zur hoffentlich definitiven
Befeitigung des ,alten Wundermannes Zweck' ver-
werthet. Deshalb bedauert es Reymond ernftlich, dafs
in immer weiteren Kreifen die Meinung um fich greife,

j welche wohl die Dcfcendenzlehre aeeeptirt, dagegen
von der natürlichen Zuchtwahl als von einem lediglich

[ willkürlichen Einfall fchon nichts mehr wiffen will.
,Diefe Auffaffung Gellt meines Erachtens gerade den
bellen Theil der neuen Errungcnfchaft, diefer wiffen-
fchaftlichen That ohne Gleichen, wieder in Frage' S. t*.

i Denn man gebe damit das einzige Mittel auf, welches

j endlich winkend verheifsen habe, die dräuende Sphinx der
Transfcendenz, des Aberglaubens und der Teleologie vom
Throne zu ftofsen. Kurz werden nun die verfchiedenen
Einwände Anderer und Reymond's felber gegen die
Zuchtwahl beleuchtet, um rafch zu der Hauptfache zu
kommen. ,Die Abficht des theoretifchen Naturforfchers
ift, die Natur zu begreifen. Soll nicht diefe Abficht
finnlos fein, fo mufs er die Begreiflichkeit der Natur
vorausfetzen. Die Zweckmäfsigkeit der Natur verträgt
fich nicht mit ihref Begreiflichkeit; bietet fich alfo ein
Ausweg, die Zweckmäfsigkeit aus der Natur zu verbannen
, fo mufs der Naturforfcher ihn einfchlagen. Solch
ein Ausweg ift die Lehre von der natürlichen Zuchtwahl
. Mögen wir immerhin, indem wir an diefe Lehre
uns halten , die Empfindung des fonft rettungslos Ver-
finkenden haben, der an eine nur eben über Waffer ihn
tragende Planke fich klammert. Bei der Wahl zwifchen
Planke und Untergang ift der Vortheil entfehieden zu
Gunften der Planke' S. 22 f. Schliefslich zieht er fich

•■ darauf zurück, dafs der Standpunkt des heutigen Naturforfchers
den letzten Gründen der Dinge gegenüber nur
P.ntfagung fein könne. ,Es giebt für uns kein anderes
Erkennen, als das mechanifche oder phyfikalifch-mathe-
matifche; und diejenigen, welche unfere Verblendung
beklagen, bei Erklärung der Welt ohne Endurfachen auskommen
zu wollen, zeigen nur, dafs fie im Grunde nicht
wiffen, was Erkennen ift'. In Anbetracht deffen gehört
Alles aufser Stoff und Kraft und der Frage, wie diefe