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Ausgabe:

1879 Nr. 15

Spalte:

357

Autor/Hrsg.:

Wenger, R.

Titel/Untertitel:

Das Evangelium des Marcus der Hausgemeinde ausgelegt 1879

Rezensent:

Wetzel, Paul

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357

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 15.

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ftändnifs nicht völlig angemeffen. Wenn der Verf. die
für die Auflöfung in Frage und Antwort beftimmten Gedanken
von den für den Zwifchenvortrag des Lehrers
geeigneten unterfcheidet, fo ift den letzteren eine zu
grofse Ausdehnung gegeben, bei den erfteren aber auf
die beim Unterricht nöthige Entwickelung noch zu wenig
Rückficht genommen. Freilich war dies bei der feftge-
haltenen Anlage feines Buches nicht wohl zu vermeiden.
Eine umfaffende, für die eigene Belehrung und Erbauung
geeignete Gleichnifsauslegung kann nicht zugleich
eine praktifche Anleitung für Anfänger in der fchwieri-
gen Kunft des Katcchifirens fein. Und fo hat auch der
Verf. nur nach der erfteren Seite hin feiner Aufgabe
völlig zu genügen vermocht.

Weniger Auslegung als praktifche Anwendung des
Schriftworts bietet:

Wenger, Pfr. R., Das Evangelium des Marcus der Hausgemeinde
ausgelegt. Stuttgart 1878, Knapp. (III
295 S. 8.) M. 2. —

Das kleine Büchlein enthält, wie der Verfaffer bemerkt
, in möglichft getreuer Wiedergabe die Abendandachten
, die er irn Jahr 1877 gehalten habe. ,Der Gedanke
, dafs damit nach Inhalt oder Form etwas Be-
fondres geboten werde, liegt meinerfeits nicht vor', heifst
es im Vorwort. Und doch hat der Verf. eine befondere
Art. Kurz und knapp ift Alles was er fagt. Blick und
Griff ins Leben, ftrömender Gedankenreichthum und gewandte
Form zeigt fich in feinen 172 kurzen Betrachtungen
, mit denen er das ganze Marcusevangelium begleitet.
Die Ueberfchriften find trefflich gewählt, öfters geiftreich
änigmatifch oder fchlagwortartig überrafchend. Von
einem Hauch edler und inniger Frömmigkeit ift das
ganze Büchlein durchweht, mit pfychologifcher Feinheit
und feelforgerlicher Erfahrung berührt der Verf. die
Herzcnsbedürfnifse feiner Hörer. Klingt feine Sprache
hie und da etwas an die pietiftifche Redeweife an, fo
ift es doch, um den Ausdruck des Verf.'s zu gebrauchen,
,ein befonderer Dialect der Sprache Kanaans', den er
redet. Bei aller naiven Gläubigkeit, die hie und da hervortritt
, vermeidet er mit gefundem Urtheil und richtigem
Tact pietiftifche Einfeitigkeit. Sein originelles
Büchlein ift von Intereffe befonders auch als ein fchönes
Zeugnifs von geift- und verftändnifsvollem feelforger-
lichem Wirken.

Taucha. Diac. Dr. Wetzel.

Strack, Dek. Pfr. Lic. Karl, Die moderne Schulgesetzgebung
. Vortrag in der evangel. Lehrer-Confcrenz
zu Frankfurt a/M. am 24. April 1878. [Pädagogifche
Fragen. 4. IIft.] Heilbronn 1878, Henninger. (32 S.
gr. 8.) M. 1. —

Die .Pädagogifchen Fragen', deren viertes Heft uns
zur Befprechung vorliegt, ,erfcheinen in zwanglofcn Heften
und behandeln vom evangelifchen Gefichtspunkte aus
wichtige Themata der Erziehung im Einzelnen fowohl
wie der allgemeinen Pädagogik'. Den Arbeiten von
Guftav Schloffer über nationale Erziehung, von
C. Otto Schäfer über das Lügen und die Erziehung
zur Wahrhaftigkeit, fowie den Briefen über
Confeffionsfchulen und confeffionellen Religionsunterricht
von Dr. phil. F. Auguft Finger
fchliefst fich diefer in der ev. Lehrerconferenz zu
Frankfurt am Main am 24. April 1878 gehaltene, auf
den Wunfeh der Verfammlung veröffentlichte Vortrag
an, der mit gediegenem Inhalt eine anfprechende Form
der Darftellung verbindet. Wenn wir auch, um dies
gleich von vornherein zu fagen, nicht alle Bedenken des
Verfaffers zu theilen vermögen, fo find wir ihm doch

fehr dankbar dafür, dafs er fie offen ausgefprochen hat
und in mafsvoller Weife, mit richtigem und feinem Tacte.
Diefes Verfahren entfpricht auch ganz der von ihm im
Eingange gegebenen Erklärung, dafs er ,kein blinder
Verehrer des ehemaligen Schulwefens fei, dafs er deffen
i tief in das ganze Volksleben eingreifende Schäden wohl
einfehe und fich in vieler Beziehung der Fortfehritte,
welche das Schulwefen überhaupt und befonders auch
das Volksfchulwefen feit mehreren Decennien gemacht
hat, von Herzen freue' (S. 4).

Nach der Einleitung eröffnet den eigentlichen Vortrag
eine klare Definition des Begriffes der modernen
Schule. ,Es ift die Schule, wie fie fich in neuerer
Zeit unter dem Einfluffe der herrfchenden Zeitrichtung
und in Folge der neueren Schulge-
fetze und Verordnungen geftaltet hat' (S. 5). Sie
,beginnt mit der Zeit, die wir in politifcher, felbft in
kirchlicher Beziehung als die „neue Aera" bezeichnen'
(S.6). Von der früheren Schule aber unterfcheidet fie fich
hauptfächlich dadurch, ,dafs in intellectueller Beziehung
die moderne Schule den Forderungen
der Zeit zu viel nachgegeben und dadurch das
erziehliche Moment zu fehr in den Hintergrund
gedrängt hat' (S. 6). Die Riahtigkeit diefer Behauptung
fucht der Verf. vom pädagogifchen, vom religiös
-kirchlichen, nationalen und nationalöko-
nomifchen Standpunkte aus zu beweifen.

Als Pädagog tadelt er die Ueberbürdung mit Un-
terrichtsftoff und die Zurückdrängung des Religionsunterrichtes
(S. 6—14). Vom religiös-kirchlichen
Standpunkte aus nimmt er die Losreifsung der Kirche
■ von der Schule und die Bevorzugung der Simultanfchule
(S. 14 ff.) in Anfpruch. Die letztere erfcheint ihm ,als
ein Zeichen, dafs man von religiöfer Erziehung der
Kinder abftrahiren will' (S. 14). Dies erfcheint dem
Verf. um fo bedenklicher, als er glaubt behaupten zu
dürfen: ,Die gehobene intellectuelle Bildung hat
die Vermehrung der Brutalität und fittlichen
Verirrungen nicht zu hindern vermocht' (S. 21).
Sie ,hat die fittliche Wirkung nicht gehabt, die man in
Ausficht ftellte; fie hat ihre Erziehungsaufgabe nicht ge-
löft, vielmehr diefelbe über Gebühr aus den Augen verloren
' (S. 24). Das ift nach unferer Meinung zu viel
behauptet, denn z. B. die Vermehrung der Verbrechen,
Zunahme der Brutalität, Verfchlechterung der Sitten im
Allgemeinen darf, wie Falk in feiner während der letzten
Landtagsfeffion gehaltenen Vertheidigungsrede fchlagend
nachgewiefen hat, nicht der modernen Schule auf Rechnung
gefetzt werden, die erft feit fechs Jahren arbeitet.
Auch wird Jeder, der die viel angefochtenen Allgemeinen
Beftimmungen vom 15. October 1872 unbefangen lieft,
nicht fagen können, dafs der Religionsunterricht zu kurz
gekommen wäre; oder follen wir etwa wieder zu den
Raumer'fchen Regulativen zurück? Das wird gewifs
auch unfer Verfaffer nicht wollen.

Vom nationalen Standpunkt aus ift er zwar ein-
verftanden mit der Forderung ,nationaler Erziehung'
(S. 25), macht aber — und zwar nicht mit Unrecht —
darauf aufmerkfam, ,dafs überfpanntes und übertriebenes
Nationalgefuhl . . . auch feine bedenkliche Seite hat.
Wo folches herrfchende Richtung geworden ift, da
werden die Leute verblendet gegen ihre nationalen
Fehler; da werden fie ungerecht in ihrem Urtheil über
andere Nationen; da find fie nicht ficher gegen Natio-
nalhafs, der mindeftens mit dem Gebote der Nächften-
liebe nicht vereinbar ift; da werden fie leicht von einem
nationalen, politifchen Fanatismus erfafst, der nicht minder
verwerflich ift, als der religiöfe'. (S. 25). Sonft ein-
verftanden erlauben wir uns mit Beziehung auf den
Schliffs des letzten Satzes zu bemerken, dafs die Gefahr
eines ,nationalen, politifchen Fanatismus'
uns zur Zeit wirklich noch in fehr geringem Mafse
vorhanden zu fein fcheint, während dagegen die ,hei-