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Ausgabe:

1879 Nr. 15

Spalte:

350-351

Autor/Hrsg.:

Lagarde, Paul de

Titel/Untertitel:

Orientalia. 1. Heft 1879

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 15.

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hinter den Zwölfen zurückfand (p. 232), oder dafs in
der Speifungsgefchichte fich die Unvollkommenheit des
Glaubens der Jünger zeige, wie im Petrusbekenntnifs feine
Vollkommenheit (p. 251)?

Diefes Auffuchen fachlicher Beziehungen hat den
Verf. verleitet, das Stück 9, 46—48 fo eng mit 9, 51—56
zu verbinden, dafs er die Abficht des Evangeliften, mit
9, 51 einen neuen Abfchnitt feiner Erzählung zu beginnen
, rundweg befreitet und den erfen Haupttheil mit
9, 45 abgrenzt. Der zweite, bis 18, 30 gehende Theil
foll dann wefentlich die Kennzeichnung der Lehrthätig-
keit Jefu beabfichtigen. Hier follen zuerf in vier Gruppen
Kundgebungen zufammengefeilt fein, welche fich
auf den Stand der Jüngerfchaft beziehen, dann Belehrungen
über das zum ewige Leben Erforderliche, dann
Zeugnifse und Strafreden wider die Widerfacher, endlich
Warnungen und an Gottes Gericht erinnernde Mahnungen.
Aber was foll es gar heifsen, wenn wir Jefum 13, 10—14, 35
jede Gelegenheit benutzen, verfchiedenartigfen Anlafs
für entfprechende Aeufserung verwerthen fehen, wenn
der Abfchnitt 15, 1 —16, 31 in einer Reihe von Gleich-
nifsen feinen Reichthum künf lerifcher Gef altung darzeigt
und 17, I —18, 30 die Mannigfaltigkeit des Inhalts feiner
Ausfprüche vor Augen feilt (p. 449 f.)? Damit if doch
in der That weniger als nichts gefagt, was zum Ver-
fändnifs der Compofition des Evangeliums führen könnte.

Wie weit der Verf. geneigt if, eine freiere fchrift-
fellerifche Gef altung des Einzelnen zuzugeben, erhellt
nicht, da er auf die Paralleltexte noch nirgends Rückficht
nimmt. Hier und da zeigen fich Erklärungen, die
auf harmonif ifche Tendenzen führen, wenn er fogar das
Zöllnermahl bei Lucas in Jefu Haus verlegt (p. 140) oder
den dialoyiaiiög 9, 46 trotz v. 47 zu einer Erörterung
unter ihnen macht (p. 253), wenn er dem Stummen II,
14 die Blindheit aus Matth. 12, 22 zudictirt (p. 292) oder
11, 39 das viuuv zum folgenden zieht (p. 307). Doch
zeigt namentlich die Vorgefchichte, dafs er die Gef altung
der Engelreden und Lobgefänge in fchr umfaffen-
dem Mafse dem Schriftf eller zufchreibt. Selbf im Ge-
fchlechtsregif er kommt es ihm nicht darauf an, dafs alle
Namen gefchichtlich richtig feien (p. 99); p. 218 kann
die Nennung des Namens Jefu durch den Dämonifchen
auf Rechnung des Erzählers kommen und p. 399 reflec-
tirt er darauf weshalb ,der Evangelif' die Bezeichnung
des Reichthums durch fucufiavag zr'g ddixiag gebraucht.
Nur einmal if mir eine Andeutung vorgekommen, dafs
derfelbe etwas (nämlich 2, 2j in eine überlieferte Erzählung
einfchaltet (p. 47). Sonf freilich fühlt der Verf.
fich gedrungen, etwaige kritifchc Vermuthungen über
das fchriftf cllcrifche Verhältnifs des Evang. zu anderen
Quellen (fo feiten er darauf eingeht) nur kurzweg mit
einer Gereiztheit abzuwehren, welche gegen den Ton
kühler Ueberlegenheit, mit der er fonf abweichende Auffüllungen
abzulehnen pflegt, auffällig abficht (vgl. p. 133.
135- 3°7)-

Die Einzelexegefe enthält hier wie überall viel Treffliches
, die durchaus felbfändige Art, in der der Verf.,
um jede exegetifchc Tradition unbekümmert, die Dinge
rein für fich betrachtet, läfst ihn oft alte Fehler ver-
beffern und manches ficherer und klarer befimmen, als
es bisher gefchehen. Allein das find doch immer nur
Einzelheiten. Dafs er irgendwo wirkliche Schwierigkeiten
neu und glücklich gelöf, if mir nicht entgegengetreten
. Zu den bei ihm fo beliebten gewaltfamen Con-
f ruetionen bietet freilich der Stil der Evangelien wenig
Anlafs, obwohl fie nicht fehlen (vgl. z. B. die Verbindung
des xcu y,QÖv<i> iv.avoi 8, 27 mit dem tlytv p. 218
oder die Beziehung des avzovg 9, 33 auf die Jünger
p. 245 oder den Beginn des Nachfatzes mit Kai fygnO&e
13, 25, p. 360;. Dagegen fehlt es nicht an andersartigen
Vergewaltigungen des Textes. Man fehe, wie der Verf.
mit der Begründung in 2, 4 (p. 50), mit dem er piaty
2, 46 (p. 70), mit dem vir 6, 21 (p. 161) umfpringt, wie

er fich die övvaiiig kvqLov 5, 17 (p. 133), die ävaibua
11, 8 (p. 288) oder die äväazaaig ziov dixctiiov 14, 14
(p. 373) zurechtlegt. Wo ihm der Text Schwierigkeiten
macht, weifs er durch faf unmerkbare und doch ganz
willkürliche Eintragungen, welche feinen Sinn wefentlich
ändern, zu helfen (vgl. z. B. p. 254. 273. 416 oder die
Reflexionen, die er p. 224 dem cananäifchen Weibe unterlegt
). Von feinen lexikalifchen Willkürlichkeiten giebt
feine Erörterung des iiezEWQiCeiv p. 331 ein fchlagendes
Beifpiel. Anderwärts erneuert er Auslegungen, die man
längf für abgethan hielt, wie die Beziehung von ijlixia
auf die Körperlänge (p. 330) oder die Deutung des Qrjfia
von Sache (p. 28. 36. 56) oder vertheidigt feine er-
künfelte Faffung des noiozmo/.og (p. 51) und des ßanzt-
teiv (p. 86). Dafs er an dem Sündenfall des Teufels in
10, 18 fefhält (p. 270), war zu erwarten; aber dafs er
noch den Untergang der Schweineheerde als Strafe fafst
(p. 222) und über den Inhalt des Gefprächs Jefu mit
Mofes und Elias genau Befcheid weifs fp. 244), if doch
fehr verwunderlich. Denn das mufs man Hofmann zum
Ruhme nachfagen, dafs fich feine Erklärung doch fonf
im Ganzen (wo nicht vorgefafste Lieblingsanfichten ihn zu
Eintragungen nöthigen) durch Nüchternheit vor vielen anderen
auszeichnet und gewiffe theologifcheUeberfchwäng-
lichkeiten, die man gern für befonders tieffinnige Exe-
gefe ausgiebt, energifch ab weif. Dies gilt vor Allem
auch von feiner Parabelerklärung, wo er fehr befimmt
gegen die allegorifirende Einzeldeutung fich ausfpricht.
Dafs er freilich fich davon ganz freigemacht und überhaupt
einen klaren hermeneutifchen Standpunkt für die-
felbe gewonnen habe, kann man nicht behaupten.

Die fchwächfe Seite feiner Auslegung if vielleicht
die Textkritik. Mit der Autorität der Codices befafst
er fich nur in ganz allgemeinen, herzlich wenig fagenden
Redewendungen, feine Entfcheidungen beruhen meif auf
den oberflächlich!! en Erwägungen darüber, was beffer
nach feiner Auffaffung in den Text pafst; 2, 14 vertheidigt
er das jetzt wohl allgemein verworfene Bvöo/.ia,
6, 9 nimmt er eine Lesart auf, die nur von Minuskeln
bezeugt if, und 7, 9 wagt er gar ganz unnöthiger Weife
eine völlig unwahrfcheinliche Conjectur (vgl. auch feine
Zurechtmachung von 10, 15 p. 268). Dafs auch hie! die
eigene Erklärung durch fortwährende Polemik gegen
andere Auffaffungen, und zwar oft gegen die bedeutungs-
lofefen Einfälle, in höchf unbequemer Weife unterbrochen
wird, verfeht fich von felbf. Allein auch hier
fehlt meif jedes wirkliche Eingehen auf abweichende
Auffaffungen, die" oft genug in einer Form dargefeilt
werden, dafs man fie kaum wiedererkennt, wenigfens
von ihrer Motivirung keine Ahnung bekommt. Ebenfo
oft freilich if nachher in kaum eine Modification er-
fichtlich machender, nur in etwas anderer Weife das-
felbe gefagt, was eben verworfen.

Doch die Eigentümlichkeit der Hofmann'fchen Exe-
gefe if ja bekannt genug, um fie weiter im Einzelnen
zu analyfiren. Die Zeit, wo fich ein abfchliefsendes Ur-
theil über fie und ihren Gefammtertrag bilden wird, if
wohl noch nicht gekommen, und die Anzeige des letzten
Denkmals feines unermüdlichen Fleifses if nicht die
Stelle, um ein folches anzubahnen.

Berlin. Dr. Weifs.

Lagarde, Paul de, Orientalia. 1. Heft. [Aus: ,Abhandlgn.
d. k. Gefellfch. d. Wiff. zu Göttingen'.] Göttingen
1879, Dieterich's Verl. (104 S. gr. 4.) M. 6. —

In diefem Hefte befchreibt der Verf. die koptifchen
Stücke einer Sammlung von 34 orientalifchen Handfchrif-
ten, welche die Göttinger Univerfitätsbibliothek im Jahre
1877 von Brugfch gekauft und über welche Wüfen-
feld im vorigen Jahre eine vorläufige Mittheilung gemacht
hat. Es find 10 Handfchriften, welche zu Unteraichen
waren, von denen zwei aus zwei verfchiedenen