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Ausgabe:

1879 Nr. 1

Spalte:

16-18

Autor/Hrsg.:

Pfleiderer, Edm.

Titel/Untertitel:

Die Philosophie und das Leben 1879

Rezensent:

Thoenes, Karl

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Seite 1, Seite 2

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j5 Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 1. 16

zum Gegenstände nicht Lehrfätze, fondern Thatfachen.
— Gegenüber dem Wortlaute des 2. Artikels ift diefe
Behauptung, dafs das Apoftolicum fich auf ,überfinnliche'
Thatfachen befchränke, auffällig. Verftändlich wird fie
erft dadurch, dafs weiterhin der Inhalt des 2. Artikels
dahin zufammengefafst wird, der Glaube erblicke in dem
fchlichten Sohn der Maria den eingeborenen Sohn Gottes,
in dem unter Pontius Pilatus Gekreuzigten den auferstandenen
und zum himmlifchen Leben verklärten Herrn,
den Heiland und Richter der Welt. Ebenfo fehe der
Glaube laut des 1. Artikels in der gefammten zeitlichen
Welt, der irdifchen und der überirdifchen, das Werk der
Allmacht des Einen Gottes und Vaters und laut des
3. Artikels in der dem Wefen nach Piinen, alfo über
Nationen und Confeffionen allgemeinen oder kath. Kirche
als Gemeinfchaft der Heiligen das vom heiligen Geifte
befcelte Gemeinwefen, in welchem von Chrifto dem
Haupte aus die Kräfte der Sündenvergebung und des
ewigen Lebens Umlauf und Wirkfamkeit haben (S. 13.
14). Für diefen wefentlichen Inhalt des christlichen Glaubens
fei das Apoftolicum der klaffifche Ausdruck, ehrwürdig
durch fein Alter, werthvoll durch feine Verbreitung
, mustergültig durch feine Kürze und Einfalt, dauerhaft
durch feine Ausfchliefsung aller erklärenden Theorie
, Allen zugänglich durch feine Beziehung auf die dem j Weife befprochen wird.

weil in den Zufammenhang von Urfache und Wirkung
hineingestellt. Was aber fpeciell das eigentliche Thema
anbelangt, fo ist zwar vortrefflich gezeigt, dafs Pflichten-
collifionen an fich nicht vorkommen können, die Unvermeidlichkeit
derfelben jedoch auf dem Gebiete des con-
creten, nämlich des fündig inficirten Lebens nicht unverhüllt
zugestanden. Mit der Erkenntnifs, dafs es fittliche
Collifionen, aber nicht der Pflichten, fondern nur der
Sphären etc. gebe, ift praktifch nicht auszukommen.
Dagegen fpricht die Thatfache, dafs nicht blofs die Sünde
des Einzelnen, fondern auch die mit der Endlichkeit zu-
fammenhangende mangelhafte (nicht blofs die fehlerhafte
, fondern auch die lediglich unvollständige) Erkenntnifs
auf folche Collifionen führt.

Im Einzelnen löft Sch. mit viel Verftändnifs und Be-
fonnenheit berüchtigte Probleme auf, z. B. das streitende
Recht der am gleichen Brett fich anklammernden beiden
Schiffbrüchigen und die fogenannte Nothwehr. Hinücht-
lich der Nothlüge, statt deren der Ausdruck ,pflicht-
mäfsiges Unwahrreden' vorgezogen wird, steht der Verf.
auf dem bekannten Rothe'fchen Standpunkt.

Den Schlufs bildet eine Expectoration über den
Culturkampf, der treffend als ein aus der Zeit gegriffenes
Beifpiel von Pflichtencollifion in echt proteftantifcher

Glauben gewiffen Thatfachen. — Mancher mag der in
diefen Prädicaten ausgefprochenen Schätzung nicht überall
voll zustimmen können: aber ficher bleibt die Forderung
, welche der Verf. den gegen das Symbol Ankämpfenden
vorhält, erft etwas Befferes aufzuzeigen,
das an feine Stelle treten könne, vollberechtigt.

Was endlich den Gebrauch des Symbolums anlangt,
fo wird diefer mit gutem Grunde nicht dahin benimmt,
dafs es die Norm für Ausgleichung theologifcher Lehr-
gegenfätze abzugeben habe (S. 17); für diefen Zweck
enthalte es zu viel und zu wenig, fei feine Faffung theils
zu bestimmt, theils zu unbestimmt (S. 24). Seine Stelle
finde es vielmehr in der liturgifchen Feier und in dem
katechetifeisen Gebrauch der Gemeinde (S. 19). Auf
Gleichmäfsigkeit des Gebrauchs im Einzelnen, wie oft
es gebraucht, ob es gelefen oder gefungen werde, mit
welchen Worten es eingeleitet werde, komme wenig an
(S. 17).

Referent ift der Ueberzeugung, dafs alle Parteien
in der evang. Landeskirche Preufsens mit diefer Ge-
brauchsbeftimmung des Apoftolicums einverstanden fein
können; hat doch auch felbft Lisco in feinem bekannten
Vortrage anerkannt, dafs eine Abfchaffung desfelben
unmöglich fei, weil es trotz aller feiner Mängel nicht
zufällig, fondern unter göttlicher Leitung gerade fo gebildet
den wefentlichen Kern christlicher Wahrheit in

Strafsburg i/E. Alfred Kr aufs.

Oettingen. Alex, v., Wahre und falsche Auctorität mit

Beziehung auf die gegenwärtigen Zeitverhältnifse beleuchtet
. Leipzig 1878, Duncker & Humblot. (IV,
67 S. gr. 8.) M. 2. —

Ein frifch und packend gefchriebener Vortrag, der
wohl zu fehr Vortrag ift, aber fich auch nur als folcher
einführt und darum nicht zu strenge auf die Qualität als
wiffenfehaftliche Abhandlung angefehen werden darf.
Von der von zwei extremen Parteien falfch gefafsten
Entgegenfetzung von Auctorität und Majorität ausgehend,
gelangt der Verf. dazu, die Nothwendigkeit von Aucto-
ritäten für die Entwicklung des fittlichen Lebens nach-
zuweifen. Hiefür werden auch die Dichterfürsten als
Zeugen angerufen. Alle wahre Auctorität aber wurzelt
fchliefslich in der Ordnung des Gottes, der alles Dafeins
Auetor ift, im Christenthum fich vollkommen geoffenbart
und in den hiftorifchen Urkunden desfelben, in der h.
Schrift, fich auetoritativ bezeugt hat.

Leider tritt ein höchst unmotivirter Confeffionalismus
an mehreren Stellen ganz unvermittelt zu Tage. Was
foll z. B. S. 26 die Zufammenftellung des Muhamedaners
mit dem prädeftinatianifchen Calviniften? Als ob Luther
fich trage ä. Q. &, «u~ 32). "Freilich hat in Nr 44 I nicht auch. Prädeftinatianer gewefen! Aber wenn der

des vorigen Jahrgangs die Proteftantifche und in Nr. 46 1 Verf. damit feinem eignen Werk auch Eintrag gethan
die Neue Ev. Kirchenzeitung ihre Stimme gegen den hat> 10 fo11 uns dies nicht hindern, ihm für eine anregende
Vortrag erhoben: aber die Tage noch fortgehenden Streits geistvolle Unterhaltung zu danken, die das Nachdenken
find eben einem unbefangenen Urtheil nicht günstig. ; über die wichtigften Fragen herausfordert und mit vielen
t t ' ts Tf treffenden Bemerkungen zu bestimmtem Ziele zu leiten

LenneP- Llc- Dr. Ihones. trachtet. Auch Andersdenkende werden das Büchlein

_____ mit Intereffe lefen. Die typographifche Ausstattung ift

c . . , ^ _ - „ .....J ,. fo fplendid, wie fie fonft nur bei Schriften zu finden ift,

Schulze, Hilfspred. Dr. Guft., Ueber den Widerstreit der welche ausfchliefslich für die elegante Welt beftimmt find.
Pflichten. Zeitgemäfse ethifche Studien über Sitten- Strafsbur iK Alfred Kr aufs,
gefetz, Gewiffen und Pflicht, denkenden Chriften dar- __

geboten. Halle 1878, Niemeyer. (XII, 176 S. gr. 8.) . . „ , ^ ,

M 3 & Pf leiderer, Prof. Dr. Edm., Die Philosophie und das Leben
. Akademifche Antrittsrede, gehalten zu Tübin-
Eine anfprechend gefchriebene: und von foüden gen am 6. Juni 1878. Tübingen 1878, Eues. (36 S.
Studien getragene Schrift. Ueber die pfychologifchen 81 M — 60

Vorausfetzungen möchte mit dem Verfaffer gerechtet

werden. Namentlich kann ich nicht zugeben, dafs das Der auch in theologifchen Kreifen vortheilhaft beMoment
der Willkür noch intact gelaffen werde, wenn ; kannte Herr Verfaffer betont, dafs feine Fachwiffcnfchaft,
man es begreiflich zu machen verfucht. Eine begriffene die Philofophie, über Theilnahmlofigkeit des Publicums
Willkür ift nicht mehr Willkür, fondern Nothwendigkeit, j heute nicht mehr fo fehr zu klagen brauche, als in den