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Ausgabe:

1879 Nr. 13

Spalte:

316-317

Autor/Hrsg.:

Bassermann, Heinrich

Titel/Untertitel:

Zeitschrift für praktische Theologie. 1. Jahrg. 1879. 4 Hefte 1879

Rezensent:

Krauss, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 13.

316

Welt. Dafs der Gegenfatz der Richtung aufs Allgemeine
und des Hangenbleibens im Egoiftifchen in Schi.'s
Begriffe von der Sünde nichts Anderes befage, als was
die parallelen Ausdrücke in feiner Kosmologie bedeuten,
ift nicht erwiefen. Diefer Sündenbegriff liegt von dem
gewöhnlichen, von der Selbftfucht ausgehenden nicht
weit ab und wird im Wefentlichen auch von folchen
Ethikern getheilt, die von Schl.'s Kosmologie gar nicht
ausgehen, z. B. von Trendelenburg, dem ,das Böfe
Selbftfucht des Theiles ift, welche im Widerfpruch
mit der Idee im Naturgrunde beharrt'. Selbft die Grundbegriffe
der beiden Ausführungen der Ethik, die Schi,
gegeben hat, der philof. und der pofitiv chriftlichen,
decken fich nicht in dem Mafse, wie es der Verf. behauptet
. Für das reinigende Handeln findet fich — und
das ift charakteriftifch — in der philofophifchen Ethik
kein eigentliches Analogen, und wenn Schi, hervorhebt,
dafs dem Staat die Bildung des Talents die Hauptfache
ift, der Kirche dagegen die Bildung der Gefinn-
ung, fo ergiebt fich daraus (aber freilich daraus gewifs
nicht allein) einmal, dafs er weit davon entfernt ift, die
Herbeiführung des Reiches Gottes mit den rein weltlichen
Culturbeftrebungen zu identificiren, und fodann,
dafs er trotz des Fortfehritts, den er immerhin dadurch
begründete, dafs er die Organifirung und Symbolifirung
der Natur an die Stelle der blofsen Charakterbildung
fetzte, die letztere nicht aus dem Auge verlor. Auch
Schl.'s fachliche Bezeichnung des höchften Gutes und
Zweckes, in welcher B. die Ueberordnung der ethifchen
und infofern überweltlichen, fchlechthin werthvollen Per-
fönlichkeit des Menfchen als des Zweckes des fitt-
lichen Proceffes vermifst, beweift noch nicht, dafs er
dem Menfchen die übrigen ,Theile' der Welt coordinirt.
Parallelen dazu finden fich fogar im N. T. (1 Cor. 15,
28, wo das tv näaiv Neutrum fein kann, vgl. auch Rom.
8, 19—22, Coloff. 1, 20, Apocal. 21, 1).

Uebrigens erkennt auch B. an, dafs Schl.'s (analy-
tifche) Methode an fich (abgefehen von der mangelhaften
Anwendungj muftergültig für die wiffenfehaftliche
Theologie ift; die ,Beftimmung des Begriffs der Sittenlehre
im Verhältnifse zur Glaubenslehre, fowie die Ein-
theilung derfelben nach den Hauptcharakteren des fittli-
chen Handelns, wie es fich im Gegenfatze und in der Einheit
mit feinem Ideale bewegt, wie es Wirkfames und Dar-
ftellendes ift, und endlich, wie es feine Einheit in dem
fittlichen Ideale oder Princip, feine Verfchiedenheit durch
die Realifirung in den menfehlichen Individualitäten und
in der Anwendung auf die verfchiedenen gegebenen Gebiete
des fittlichen Handelns überhaupt findet', — das
Alles findet er meifterhaft und bezeichnet es als Ausfalls
einer in der fyftematifchen Theologie kaum irgendwo
fonft erreichtenVirtuofität der Methodologie; auch fonft
entdeckt er an nicht wenigen einzelnen Punkten des
Rühmenswerthen genug.

Verdienfte hat fich der Verf. durch diefes Werk
um die Zeichnung und Kritik des Schleiermacher'-
fchen Syftems ohne Zweifel erworben. Die erftere fleht
zwar bei ihm im Dienfte der letzteren, hebt aber die
Hauptpunkte fchärfer hervor, als die meinen von Anderen
entworfenen Skizzen, und die letztere ift fo fcharf-
finnig und refolut gehalten, dafs fie jedenfalls zur Klärung
des Urtheils über ihren Gegenftand bedeutend mitwirken
wird, auch wo fie auf Widerfpruch ftöfst.

Kiel. F. Nitzfeh.

Zeitschrift für praktische Theologie. Unter Mitwirkung
von Geh. Kirchenr. Dr. Heffe, Prof. Dr. Holtzmann,
Sem.-Dir. Kehr etc. hrsg. von Prof. Lic. Baffermann
u. Confift.-R. Pfr. Dr. Ehlers. 1. Jahrg. 1879.
4 Hfte. Frankfurt a/M., Diefterweg. (1. u. 2. Hft.
192 S. gr. 8.) M. 6. —

Eine Zeitfchrift, welche dem Recenfenten erft in zwei
Heften vorliegt, kann kaum anders recenfirt werden, als
indem wenigftens die Mehrzahl der einzelnen in derfelben
erfchienenen Arbeiten zur Anzeige gelangt. Baffermann
, der eine der beiden Redactoren, leitet das Unternehmen
mit einem Auffatz über die Bedeutung der
praktifchen Theologie für die Gegenwart ein und weift
dabei die Berechtigung zur Pierausgabe einer neuen
Zeitfchrift für prakt. Theol. fehr gut nach; aber er über-
fieht, dafs es bei den Laien wie bei den Theologen
nicht Gründe der praktifchen Theologie, fondern Gründe
der praktifchen Philofophie find, welche die Stellung zum
überlieferten chriftlichen Glauben beftimmen, und deshalb
fcheint er mir in der Schätzung des Wirkungskreifes
einer Zeitfchrift, wie die vorliegende ift, zu weit zu gehen.
— Vortrefflich ift Marbach's kleine Arbeit ,über die
Gefchichtc der Predigt', der eine orientirende Ucbcrficht
über das bisher auf diefem Gebiete Geleiftetc eingefügt
ift. — ,Ueber Trauung und Trauformen' handelt Köhler
in einem durch beide Hefte gehenden Auffatze. Den
Anlafs bieten die Schwierigkeiten, die fich fpecicll für
die proteftantifche Kirche durch die Fünführung der Civil-
ehe ergeben haben. Nur das römifch-katholifche Kir
chenprineip kann den vorangegangenen civilrechtlichen
Act einfach ignoriren. Soll die proteftantifche Kirche
die rechtsgültig eingegangene Ehe beftätigen oder fegnen
oder gar neu fchlicfsen? Im Anfchlufs an v. Scheurl
findet Köhler in der kirchlichen Trauung cinesthcils ein
chriftliches Plhegelöbnifs von Seiten der zu Trauenden,
anderntheils eine Scgenszuficherung von Seiten der
Kirche. So fchön und richtig feine Deductionen infoweit
find, fo möchte doch die von ihm beantragte Umwandlung
des ,ich fegne' von Seiten des Geiftlichen in
eine blofs den Segen herabwünfehende Bitte beanftandet
werden. Es ift trotz der von ihm angeführten Autorität
Calvin's doch recht wohl möglich, den Segen declara-
torifch zu ertheilen als verordneter Diener am göttlichen
Wort, ohne deswegen .rationaliftifch fentimental oder
priefterlich katholifirend' zu fein.

Die aus R. Rothe's Nachlafs mitgetheilten Entwürfe
zu Abendandachten haben mich in meinen Bedenken
gegen das Druckenlaffen von Predigtentwürfen auf's
Neue beftärkt. Eine rechte Erbauung gewähren fie
wegen ihres unfertigen Charakters nicht. Wer Nutzen
daraus zieht, pflegen nicht die felber arbeitenden, fondern
vielmehr die arbeitsfeheuen Pfarrer zu fein. Gegen
folche Krücken follte die Wiffenfchaft ftrenge verfahren
.

Von den mitgetheilten Predigten hebe ich die Rede
von Ehlers am Sarge von Gutzkow hervor als ein Mufter,
wie man, ohne eine Entfchuldigung für das Unentfchuld-
bare zu fagen, doch den trauernden Hinterbliebenen zum
Trofte reden, und ohne zum Panegyriften zu werden,
doch einem bedeutenden Manne gerecht fein kann.
Weniger befriedigte mich die Weihnachtspredigt von
Ehlers, weil ich auf der Kanzel dogmatifche Polemik
nicht liebe. Holtzmann's Predigt über Matth. 7, 13 u. 14
ift fehr gedankenreich und auch fprachlich feffelnd, aber
mehr in der Art eines geiftvollen Vortrags als einer
erbaulichen volksthümlichen Rede.

Die kirchlichen Mittheilungen mögen manchen Lefern
erwünfeht fein. Für die Mehrzahl kommen fie doch in
einer nur vierteljährlich erfcheinenden Zeitfchrift zu fpät
und zu fpärlich, da fie bei der grofsen Verbreitung der
kirchlichen Wochenfchriften überholt zu fein pflegen.