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Ausgabe: | 1879 Nr. 13 |
Spalte: | 302-303 |
Autor/Hrsg.: | Wolfsgruber, Cölestin |
Titel/Untertitel: | Van der navolginge cristi ses boeke 1879 |
Rezensent: | Möller, Wilhelm |
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3°i
Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 13.
302
Spur bei Jourdain nachgehend, durch die Marginalgloffe
eines Wiener Codex aus dem 13. Jahrh. zu diefem Re-
fultat gekommen, als ihm Haureau (in den Mim. de
VAcad. des inscript. et belies lettres XXVIII, 2 p. 317 ff.)
mit der gleichen Entdeckung entgegenkam. Während
aber Haureau den Alfredus Anglus noch dem Ende des
12. Jahrh. zuweift, kommt Barach zu dem Refultat, dafs
er die Schrift de motu cordis erft nach 1220 gefchrieben
haben könne. Die andere Grenze bildet der Tod Alexanders
von Neckam (1227), dem die Schrift gewidmet
ift. Die Argumentation beruht darauf, dafs Alfred feiner
Ueberfetzung der pfeudoariftotelifchen Schrift de plantis
et veget. einen Commentar hinzufügte, in welchem er
eine Reihe ariftotelifcher Schriften benutzte, die dem 12.
Jahrh. noch unbekannt waren. Die von Jourdain behauptete
Widmung diefer Ueberfetzung an Roger von
Herford, auf welche Haureau fich beruft, hält Bar. für
handfchriftlich nicht erwiefen; aber felbft wenn fie ficher
wäre, beweife fie nicht für Haureau, da Roger v. Herf.
fehr wohl noch im 2. od. 3. Jahrzehnt des 13. Jahrh. gelebt
haben könne. Ebenfo enthalte die Schrift de motu
cordis Citate aus latein. Ueberfetzungen ariftotel. Schriften
(namentlich aus de animd], die unmöglich alle fchon vor
I2IO (dem äufserften von Haureau angenommenen Termin)
verbreitet gewefen fein könnten. — In feiner einleitenden
Abhandlung geht der Verf. von der im früheren
Mittelalter herrfchenden platonifchen Anficht aus, welche
die höhere, göttliche Seele abgefondert von der niederen
flerblichcn ihren Sitz im Haupte haben läfst, und welche
innerlich zufammenhängt mit dem platonifchen Spiritualismus
. Wenn der Verf. dabei erinnert, dafs bei den
fpäteren Vertretern diefer Anfchauung (im 12. Jahrh.),
bei dem in phyhologifcher Beziehung erweiterten Gelichtskreis
und der beginnenden Einwirkung arabifcher
Elemente, ,der chriftliche Begriff eines rein geiftigen alle
Materialität ausfchliefsendcn Seelcnwefens' getrübt er-
fcheine durch den antiken Gedanken, der ihm eine
Wendung ins Sinnliche, Materialiftifche gebe, und wenn
er dies namentlich an der dem Aicher von Clairvaux zu-
gefchriebenen Schrift de spiritu et anima ausführt, fo
dürfte doch daran zu erinnern fein, dafs der Satz: nihil
invisibile et incorporeum praeter deum (S. 23) im Grunde
fchon von ürigenes vertreten wird. Eigenthümlich ift
diefer Mittelalterlichen Anfchauung nur, dafs fie hier die
Vorausfetzung bildet für die Vorftellung, welche die
Seele localifirt. Nun tritt diefer platonifchen Anficht (in
ihrer halbmaterialiftifchen Zufpitzung) die neue entgegen,
zu welcher Alfred die erfte Anregung von Alex. Neckam
erhalten zu haben fcheint: est igitur sedes animae dignis-
sima cordis hospitium. Es handelt fich hierbei nicht blofs
um eine andere phyfiologifche Anficht, fondern diefc
hängt zugleich zu lammen mit jener Metaphyfik, wie fie
aus der Verfchmelzung neuplatonifchcr und ariftotelifcher j
Elemente der arabifchen Philofophie hervorging und in
welcher die Kirche gefährliche Tendenzen wittern mufste.
Es würde uns zu weit führen, dem Verf. in feiner Analyfe
der Grundgedanken der Schrift zu folgen, welche den
Sinn der von ihm mitgcthcilten Excerpte aufhellend,
fowohl die eigenthümliche Verfchmelzung oder Verknüpfung
der gewiffermafsen den Hintergrund bildenden
neuplatonifirenden pantheiftifch-emanatiftifchen Metaphyfik
mit der ariftotelifchen Seelenlehre beleuchtet, als
auf die Energie hinweift, mit welcher der Gefichtspunkt
durchgeführt erfcheint, dafs die Seele nicht Seele ift
ohne Körper. Es will Ref. nur fcheinen, als ging der
gelehrte Verf. etwas zu fehr darauf aus, feinen Autor
zu pantheiftifch materialiftifchen Confequenzen, die allerdings
in der Perfpectiye liegen, hinzudrängen. Dafs Bar.
nicht die ganze Schrift, fondern nur Excerpte giebt,
welche ,mehr als die gröfsere Hälfte des Werks' bilden,
rechtfertigt er durch den unvollendeten, einem erften
Entwürfe ähnlichen Charakter des Werkes, das voller
Wiederholungen fei und nicht hinreichend verarbeiteten
Stoff anhäufe. Eine Reihe von Anmerkungen erläutern
den zum Theil recht fchwierigen Text.
Kiel. Möller.
Van der navolginge cristi ses boeke. Aus dem Codex m.
s. der Bibliothek des Benedictinerftiftes Schotten zugleich
mit einem ,vijften boeck van Qui sequitur' nach
der Handfchrift der Maatschappij van nederl. letter-
kunde zu Leiden hrsg. von Dr. Cöleftin Wolfsgruber
. Wien 1879, Gerold's Sohn. (XL, 336 S. 8.)
M. 6. —
Der Herausgeber diefes Buches gehört zu den Bene-
dictinern, welche es nun einmal von Alters her für eine
Ehrenfache halten, das Buch von der Nachfolge Chrifti
dem Thomas a Kempis zu entreifsen, um es dem angeblichen
Benedictinerabt Gerfen zuzufprechen. Er hat
den lateinifchen Text de imitatione Christi getroft unter
dem Namen Joannis Gerfen ausgehen laffen (Wien 1878).
Auch bei der obigen Publication hat derfelbe diefen Gefichtspunkt
im Auge. Auch fie foll, wenn nicht für
Gerfen, doch gegen Thomas benützt werden. Der Ver-
faffer veröffentlicht nämlich aus einem Codex des Benedictinerftiftes
Schotten den niederländifchen Text der
,fechs Bücher' von der Nachfolge Chrifti, d. h. der vier
Bücher von d. N. Chr., denen die beiden unter den
Werken des Thomas befindlichen Tractate, die fonft
unter dem Titel exercitia spiritualia und de recoguitione
propriae fragilitatis bekannt find, als 5- u. 6. Buch an-
gefchloffen find. Während bei den 4 Bb. de imitatione
feftfteht, dafs das Lateinifche der Urtext ift, findet der
Verf. es wahrfcheinlich, dafs bei diefem fogen. 5. u. 6.
B. dem niederländifchen Texte die Originalität zukomme;
hierfür bringt er in den Anmerkungen einiges Beachtens-
werthe bei. Referent traut fich jedoch darüber kein Ur-
theil zu. Weiter fügt nun der Herausgeber aus einer
Handfchrift der Maatschappij van nederl. letterk. zu Leiden
einen bisher noch unbekannten Tractat als ,dat vijfte
boeck van Qui sequitur1 (d. h. von de imitatione) hinzu;
es ift das derfelbe, von welchem bereits van Vree (f.
Nolte in d. Zeitfchr. für die gefammte kath. Theologie
V. Wien 1853 S. 286 f.j nach einer anderen Handfchrift
die CapitelüSerfchriften mitgetheilt hatte. Nur dafs diefer
19 Capitel angiebt, während Wolfsgr. in feinem Codex nur
die 14 erften fand und abdrucken liefs. Derfelbe Leidner
Codex enthält nun auch diefelbe niederl. Ueberfetzung
der 4 Bücher de imitat. wie die Wiener Handfchrift
(welche letztere derHerausg. als Cod. Scotensis bezeichnet),
fowie denfelben niederl. Text jener beiden Tractate. In den
4 Büchern der Intitatw findet W. den Text des Scotens.
den er giebt, unpolirter, den der Leidner, den er nur
an einigen Stellen heranzieht, polirter; er glaubt, da fie
mehrere Ueberfetzungsfehler mit einander gemeinhaben,
dafs der Leidner den Wiener Text vorausfetze. Indeffen
laffen die von ihm angeführten Stellen (p. XXVIII) zum
grofsen Theil auch eine andere Auffaffung zu, und da
der Herausg. die Abweichungen des Leidner nicht in
irgend erheblichem Umfang aufgenommen, ift der Lefer
nicht im Stande, ein eignes Urtheil zu fällen. Wie es
fcheint vollftändig find dagegen die abweichenden Lesarten
des Leidner bei dem fog. 5. u. 6. Buch herangezogen
. W. weift felbft darauf hin, dafs der Text diefer
Bücher im Scot., im Allgemeinen wörtlich mit dem Leidner
ftimmend, zugleich durch manche conftante fprach-
liche Eigentümlichkeiten vom Text des Scot. in den
4 erften Büchern fich unterfcheide, wehrt aber zugleich
unter Berufung auf einige Stellen von zweifelhafter Beweiskraft
die Annahme ab, als fei etwa, was diefe Bücher
betrifft, eine Abhängigkeit des Scot. von dem Leidner
anzunehmen. Dies hängt nun mit feiner kritifchen Tendenz
zufammen, welche darauf hinausgeht, der von ihm mitgeteilten
Ueberfetzung des Buchs de imitatione ein folches