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Ausgabe:

1879 Nr. 12

Spalte:

289-292

Autor/Hrsg.:

Meier, E. J.

Titel/Untertitel:

Humor und Christenthum mit besonderer Beziehung auf den Katholicismus und den deutschen Protestantismus. Vortrag 1879

Rezensent:

Baur, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 12.

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es doch nur durch jenes eigene Schauen, welches durch
die verworrenen Erscheinungen hindurchdringt zu ihrer
wefentlichen Bedeutung, ihrem ewigen Grund und Zweck'

— durch göttliche ,Erleuchtung'. Es ift nur eine Folge
diefer Scheidung von ,Princip' und ,Perfon' in Verknüpfung
mit der fpeculativ betitelten fchwärmerifchen Offenbarungstheorie
, fowie des Begriffes von Gott als dem
immanenten und doch auch als Weltzweck in jedem
Augenblick actualifirten Gefetzes des Weltorganismus,
dafs die Religion als etwas in allen Religionen qualitativ
gleich, nur graduell (das hiefse doch der Intenfität
nach!) verfchieden exiftirendes gedacht wird. An der
Erlöfungsidee haben nach Pfl. alle Religionen Theil,
wenn auch in verfchiedenen Graden. Schwerverständlich
bleibt es freilich, wie es ein Gradunterfchied fein foll,
wenn die Religion zunächst fittlich indifferent ift, dann
das Sittliche in fich aufnimmt, oder wenn die Er-
löfung im Buddhismus negativ, im Chriftenthum pofitiv
gefafst wird. Mit diefem Gradgefichtspunkt ift die Uebcr-
fchreitung der pofitiven Religion gegeben, welche dies
Buch in dem Motto ,unter der Hülle der Religionen
liegt die Religion' ftolz an der Stirn trägt; auch das
christliche .Princip' kann ja da nicht qualitativ in fich
abgefchloffen gedacht werden, fondern ift ftets über-
fchreitbar. Das ift bedenklicher als das harmlofe Spiel
Pfl.'s mit dem Gedanken einer in Amerika zu vollziehenden
Synthefe des Chriftenthums mit dem Buddhismus
zu einer einheitlichen Weltreligion; ich fage Spiel, weil
Pfl. am Buddhismus, nicht am Chriftenthum, wie er es
versteht, Mängel hervorgehoben hat.

Ihren tiefsten Grund feheinen mir die religiös bedenklichen
Refultate Pfl.'s in der Verkennung der felbftändi-
gen und fpeeififchen Realität des Sittlichen zu haben,
die im Abfchnitt über den Ewigkeitsglauben noch einmal
deutlich hervortritt, wenn er das Postulat der Reali-
firung des fittlichen Ideals als undiscutirbaresGefchmacks-
urtheil behandelt und es als fclbstverftändlich anfleht,
dafs es mit einem folchen Postulat auf dem sittlichen
Gebiet fleh nicht anders verhalten werde als auf dem
intellectuellen; für ein gottfeliges Gemüth falle die
Nöthigung dazu obendrein fort, weil es dem tieferen
religiöfen Bewufstfein wefentlich fei, die Erfüllung un- I
ferer Beftimmung als gegenwärtige Realität zu besitzen,

— eine religiös wie fittlich doch höchst bedenkliche
Eaffung eines richtigen .Kernes'. Anthropologifch ift
gewifs die Frage in suspenso, richtiger unlösbar; vom
Standpunkt ihrer gemeinfamen Metaphysik aus icheint
mir Biedermann im Recht zu fein, wenn er die Fortdauer
der Seele leugnet, die für eine über die .Vorstellung
' erhabene Anfleht nur das organifirende Gefetz
des Leibes fein kann.

Magdeburg. J. Gottfchick.

Meier, Superint. Conflft.-R. D. E. J., Humor und Christenthum
mit befonderer Beziehung auf den Katholicis-
mus und den deutfehen Protestantismus. Vortrag,
am 3. März 1875 gehalten. Leipzig 1876, Teubner.
(31 S. gn 8.) M. - 75.

Birckenstaedt, Hauptpalt. H., Der Humor im Lichte des
Evangeliums. Vortrag, gehalten im evangelifchen Verein
in Bremen am 16. Januar 1879. Bremen 1879,
Müller. (36 S. 8.) M. — 75.

Das Chriftenthum mufs fich von der oberflächlichen
Phrafe, welche fich in der Gegenwart zum Range einer
Grofsmacht erhoben hat, allerlei nachfagen laffen, was
fich freilich bei einiger Sachkenntnifs in nichts auflöst,
aber doch auf die gedankenlofe und denkfaule Maffe der
Flörcr und Lefer feine Wirkung ausübt. Unferen .Liberalen
' find chriftlich und rcactionär verwandte Begriffe.
Sie können oder wollen nicht einfehen, dafs gerade der

beste Christ auch der beste Bürger fein mufs, dafs auch
die rechte bürgerliche Freiheit aus der Freiheit entfpringt,
mit welcher Christus uns befreit hat, und dafs der Freiherr
vom Stein diefer freie deutfehe Mann und fchöpfe-
rifche Politiker nicht gewefen ift obgleich, fondern eben
weil er zugleich ein glaubensstarker evangelifcher Christ
war. Unfere klugen Weltleute fehen in dem Chriftenthum
nur eine fauertöpfifche himmelnde Weltflucht; und
doch hat der Apoftel Paulus fchon den Chriften zugerufen
: ,F"reuet euch in dem Herrn allewege, und abermal
fage ich: freuet euch!' und die PYifche und Freudigkeit,
mit welcher Luther die reale Welt anfafste, entfprang
eben aus dem fetten und lebendigen Glauben, in welchem
er feines Gottes und feines Erlöfers gewifs geworden
war. Es ift daher mit Freuden zu begrüfsen, dafs ein fo
ernfter und reichbegabter christlicher Prediger wie D.
Meier das Bedürfnifs empfunden hat, .einerfeits gegenüber
einem oberflächlichen Optimismus, andererfeits gegenüber
einer in weiten Kreifen herrfchenden peffimiftifchen
Verstimmung, die höhere Mitte zu fuchen in dem echt
christlichen Humor, der diefe Gegenfätze von innen
heraus überwindet und der in dem Paulinifchen: ,als die
Traurigen aber allezeit fröhlich' feinen treffendsten Ausdruck
, in Luther aber feine urfprünglichfte und lebens-
vollfte perfönliche Darstellung gefunden'. Wie das Schöne
im eigentlichen Sinn, alfo das Kunftfchöne, fo hat es
auch der Humor mit der Vermittelung des Gegenfatzes
zwifchen dem Einzelnen und dem Allgemeinen, dem
Realen und dem Idealen, dem Komifchen und dem Tra-
gifchen zu thun. Das Schöne ift die von dem künft-
lerifchen Genius vollzogene abfolute Ineinsbildung des
Realen und Idealen. Der Humor bringt es nicht zu
diefer vollendeten Verföhnung der Gegenfätze; aber er
befindet fich auf dem Wege, er fleht in dem Proceffe,
welcher zu ihr hinleitet, indem er, worauf auch die ur-
fprüngliche Bedeutung feines Namens glücklich hindeutet,
die Gegenfätze in ihrer Fänfeitigkeit auflölt und in Flufs
bringt. Er fleht das Vergängliche auf der lichten Folie
des Ewigen, das Ewige auf dem dunklen Hintergrunde
des Vergänglichen: er ift die Gemüthsitimmung, welche
unter Thränen lächelt. ,Alles ift, wie Solger in feinem
Erwin fagt, im Humor in einem Fduffe, und überall geht
das Entgegengefetzte, wie in der Welt der gemeinen
Erfcheinung, ineinander über. Nichts ift lächerlich und
komifch darin, das nicht mit einer Mifchung von Würde
oder Anregung von Wehmuth verfetzt wäre, nichts erhaben
und tragifch, das nicht durch feine zeitliche Ge-
ftaltung in das Bedeutungslofe oder Lächerliche fiele'.
Flben darum ift die humoriftifche Darstellung in Gefahr,
in F"ormlofigkeit fich zu verlieren, und fie mufs zufam-
mengehalten werden durch das Gemüth des humorifti-
fchen Subjects. Auch mit dem Worte Gemüth bezeichnen
wir ja diejenige Geiftesart, welche dem individuellen Fün-
zelleben der realen Welt wie den ewigen Gedanken der
idealen gleichmäfsig aufgefchloffen ift. Aber um zur
vollen Befreiung des Humors zu gelangen, mufs das Gemüth
fich felbft mit dem ewigen Gott verföhnt wiffen.
Darum hat der Verfaffer das deutfehe Volk, als deffen
wefentliche Eigenthümlichkeit das Gemüth zu bezeichnen
ift, als das auf die humoriftifche Weltauffaffung vor anderen
Völkern angelegte und das Chriftenthum als die
heilige Kraft dargeftellt, durch welche der deutfehe
Humor zu feiner vollen Freiheit erlt entbunden worden
fei. Das gilt freilich nur von dem lebendigen Ineinander
der deutfehen Volksthümlichkeit und des christlichen
Glaubens. Je mehr der Katholicismus fich zum Romanismus
entwickelte, je mehr das Tridentinum das Evangelium
, zu einem neuen äufserlichen Gefctz verhärtet,
dem Volksleben gegenüberstellte, desto mehr snufste auch
der deutfehe Humor wie bei Abraham a Santa Clara in
die niedrigere Form des Burlesken übergehen. Dagegen
stellt fich in Luther, diefem ebenfo frommen als freien,
ebenfo christlichen als deutfehen Manne, der perfönliche