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Ausgabe:

1879 Nr. 10

Spalte:

229-233

Autor/Hrsg.:

Erinnerungen an Amalie von Lasaulx, Schwester Augustine

Titel/Untertitel:

Oberin der Barmherzigen Schwestern in St. Johannishospital zu Bonn 1879

Rezensent:

Baur, Gustav

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229

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 10.

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päpftliche Infallibilität T860—1870/ und den zehnten:
,Baltzer als Gelehrter und Univerfitätsprofeffor'. Die
Darfteilung ift, obwohl der Verfaffer von tiefer Verehrung
für feinen ausgezeichneten Lehrer erfüllt ift,
objectiv mafsvoll gehalten, die Sprache des Gegenftan-
des würdig, die Gruppirung des Stoffes im Ganzen über-
fichtlich. Ein Inhaltsverzeichnifs wäre eine fehr er-
wünfchte Zugabe gewefen.

Crefeld. F. R. Fay.

Erinnerungen an Amalie von Lasaulx, Schwefter Auguftine,
Oberin der Barmherzigen Schwertern im St. Johannishospital
zu Bonn. Gotha 1878, F. A. Perthes. (XLIII,
372 S. Lex.-8.) M. 6. —

Die Anzeige diefes vor einem Jahre zuerrt erfchie-
nenen Buches ift durch die 2. Auflage bereits überholt
worden, welche fchon ein halbes Jahr fpäter nöthig
wurde. Nach dielem thatfächlichen Beweife von dem
Anklang, welchen es gleich bei feinem erften Erfcheinen
gefunden hat, bedarf es einer empfehlenden Anzeige
nicht mehr. Aber es ift fo bedeutend und gerade in
Bezug auf hochwichtige Zeitfragen fo überaus lehrreich,
dafs die Theologifche Literaturzeitung es nicht mit Still-
fchweigen übergehen darf; und auch eine dem erften
günftigen Eindruck erft nach längerem Zwifchenraume
nachfolgende Befprechung mag ja in unferer rafch lebenden
und rafch vergeffenden Zeit ihr Gutes haben.

Amalie von Lafaulx (geb. am 19. October 1815)
ftammte aus einem im Jahr 1611 in den Adelftand erhobenen
lothringifchen Gefchlecht. Durch ihren Ur-
grofsvater, welcher in kurtrierifche Dienfte trat, wurde
die Familie nach Coblenz verpflanzt, und die zur Einleitung
vorausgefchickte Familiengefchichte ftellt auf
dem individuell belebten Hintergrunde des rheinifchen
Wefens und Treibens eine Reihe von originellen und
charaktervollen .Lafaulx-Naturen' dar, von welchen namentlich
Amaliens Grofsvater Peter Ernft unter den
Wechfelfällen der Revolutionskriege und inmitten der
gerade unter dem Krummftab fleh offenbarenden Mifere
der kleinftaatlichen Ohnmacht und Tyrannei als trierifcher
Syndicus fleh mannhaft bewährte. Der Vater unferer
Heldin — denn fo darf fie mit Recht genannt werden —
brachte 1803 nach elf Semeftern eines zuerft der Jurisprudenz
und dann der Medicin gewidmeten Studiums
aus Würzburg zwar kein Zeugnifs über ein beftandenes
Examen, wohl aber eine junge Frau mit, bei deren Ankunft
der Syndicus im erften Zorne herausfuhr: ,Die ift
ja den weiten Transport nicht werth!' Es war eine
ernfte und verfchloffene, aber durchaus tüchtige Natur,
welche ihren Hausftand aufs befte in Ordnung zu halten 1
und bei der Verwandtschaft, zumal bei den Kindern, fleh
in grofsen Refpect zu fetzen wufste. Von drei Söhnen
und drei Töchtern, welche aus diefer Ehe hervorgingen,
war Amalie das jüngfte Kind. Den fehr verfchiedenen
Anlagen der Gefchwiftcr geftattete die freie Sitte des
elterlichen Haufes die freiefte Entwickelung. Auch an
mannigfaltiger äufserer Anregung fehlte es nicht. Der
Vater nahm 1812 das Amt eines Kreisbaumeifters an
und hat als solcher wefentlich zur Herftellung des altdeutschen
Stils in der rheinifchen Baukunft beigetragen,
wovon unter anderen Bauwerken die beiden Schlöffer
Rheinftein und Rheineck ehrenvolles Zeugnifs geben, j
Bedeutende Männer, wie Görres, Sulpiz Boifferee, Clemens
Brentano, verkehrten oft und gerne in feinem !
gaftlichen Haufe. Der ältefte Sohn war der 1861 verdorbene
Profeffor Ernft von Lafaulx, die beiden älteren j
Schwertern, das fanfte und treuherzige Nannchen und
die Schöne, geiftreiche und vornehme Clementine, wurden j
Oberinnen der Elifabethinerinnen zu Luxemburg. Als [
bei dem Eintritt der älteften in den Orden der barmherzigen
Schwertern auch Amalien ein Gleiches prophezeit
wurde, meinte diefe noch: ,Eher fpringe ich von

unferer Gartenmauer in die Mofel!' Wenn fie fpäter
gleichwohl denfelben Beruf wählte, fo lag in der Auf-
löfung eines Verlöbnifses, welche der ideale Ernft und
die Wahrhaftigkeit ihrer Natur von ihr forderte, doch
nur eine äufsere Veranlaffung zu diefem Schritt, der
eigentliche Grund aber in dem ihrem innerften Wefen
eingeborenen Triebe, in felbftlofer und aufopfernder
Liebesthätigkeit Anderen zu helfen und zu dienen. Da
fie von Seiten ihrer Eltern Widerftand zu beforgen hatte,
fo wandte fie fich ohne deren Wirten 1838 an das Mutterhaus
der barmherzigen Schwertern zu Nancy mit der
Bitte um Aufnahme und reifte zwei Jahre fpäter, ohne
Abfichied zu nehmen, dahin ab. Erft von dem Klofter
aus gab fie den Eltern von dem Gefchehenen Nachricht,
und namentlich dem Vater wurde es fchwer, ihr diefen
Schritt zu verzeihen.

Amalie, jetzt mit ihrem Klofternamen Schwefter
Auguftine genannt, war eine Marthanatur, der es nur
wohl war, wenn fie fich mit Sorge und Mühe für Andere
viel zu Schaffen machte, die aber doch auch gelernt
hatte, zu den Füfsen des Heilandes in dem Einen, was
noth ift, die alleinige fefte und lebendige Grundlage ihres
geflammten Wirkens zu Sachen und zu finden. Eben
darum war die mechanifche FYömmigkeit, der gedanken-
lofe, auf Ertödtung jeder freien individuellen Bewegung
abzielende Gehorfam und die damit zusammenhängende
,Quiffelei und Quälerei' im Klofter ihr innerlich zuwider.
Aber ihr lebendiger Glaube und ihre Liebe zu dem Berufe
chriftlicher Barmherzigkeit gaben ihr auch die Kraft,
dennoch auszuharren und, anftatt in unfruchtbarer Wider-
fetzlichkeit fich Zeit und Stimmung zu verderben, vielmehr
auf dem ihr frei gebliebenen Raum in ftiller Treue
pofitiv zu wirken und die eigentümliche Begabung und
Energie ihrer reichen Perfönlichkeit zu entfalten. So
gefchah es fchon feit 1842 in dem Hofpital zu Aachen,
namentlich aber nachher in dem neugegründeten Jo-
hannishofpital zu Bonn, welchem fie von 1849—1872 als
Oberin vorftand. In ihrer ebenfo frifchen als benimmt
ausgeprägten Individualität vermochte fie auch die Eigen-
thümlichkeit Anderer zu verftehen und zu willigfter Mitarbeit
heranzuziehen. Da fie über ihre Untergebenen
nicht zu herrfchen fuchte, fondern ihnen ein Vorbild
liebevollen und unermüdlichen Eifers ward, fo bildete
fie die eigentlich belebende Kraft der Anftalt, und ,die
Mutter', wie man fie nannte, war für Pflegerinnen und
Gepflegte ein Gegenstand der innigften Liebe und Verehrung
. Ihre bedeutende Perfönlichkeit übte auch auf
bedeutende Männer und Frauen eine anziehende Kraft
aus und verband fich viele in vertrauensvollster Freund-
fchaft; fo nicht blofs die Profefforen der katholifchen
Facultät, Hilgers, Knoodt und Reufch, fondern auch die
Protestanten Mcndelsfohn und namentlich Perthes, von
welchem fie urtheilt: .Liebenswürdig ift Perthes ganz
und gar nicht, aber man kann Häufer auf ihn bauen.
Er ift treu wie Gold.' Von einem merkwürdigen Damen-
befuch erzählt fie: ,Ich lag eines Tages krank zu Bett.
Da höre ich vor meinem Zimmer lautes Sprechen, die
Thür fliegt auf und herein Stürzt fo eine Schuffei, die
mir gleich um den Hals fällt, und ehe ich noch zu
Athem kommen und fragen kann, mit wem ich denn
eigentlich die Ehre habe, hat Sie mich auch fchon beim
Kopf gefafst und herzhaft abgeküfst. „Ich bin die Bettina
, des Clemens Schwefter", fagte Sie, „und den Barmherzigen
Schwertern in Berlin gebe ich auch immer einen
Kufs, obgleich ein paar recht garftige darunter find, aber
deshalb mufs ich dir doch auch gleich einen geben,
obgleich ich dich heute zum erften Mal fehe" — und
in der Art plauderte Sie eine halbe Stunde unaufhaltfam
weiter, und ehe ich recht zurBefinnung kommen konnte,
war Sie fchon wieder auf und davon. „Das war alfo die
berühmte Bettina!" dachte ich, als die Schuffei fort war.'
Mit .Schuffcln' fich abzugeben, hatte Amalie, welcher
unausgefetzte ernfte und wohlgeordnete Arbeit ein Le-