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Ausgabe:

1879 Nr. 9

Spalte:

203-205

Autor/Hrsg.:

Zöckler, Otto

Titel/Untertitel:

Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, mit besondrer Rücksicht auf Schöpfungsgeschichte. 2. Abth.: Von Newton und Leibniz bis zur Gegenwart 1879

Rezensent:

Diestel, Ludwig

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203

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 9.

204

Recht, wenn er ihre Integrität in den Citaten des Origenes
bei Keim überfchätzt rindet (S. 262 ff.), deffen Wieder-
herftellungsverfuch allerdings oft einen falfchen Schein
von ununterbrochenem Zufammenhang hat. Allein der
Verf. verwechfelt in feinen Bemerkungen über diefen
Punkt den Charakter der Polemik des Origenes mit feiner
Citationsmethode (S. 265) und läfst jede genauere Unter-
fuchung von der letzteren , ungeachtet des hier' guten
Beifpiels von Keim, vermiffen. Iis ift denn auch wahr-
fcheinlich nur eine Uebertreibung , die auf einem un-
nöthig unbeftimmten Eindruck beruht, dafs in den Citaten
des Origenes nur etwa die Hälfte der Schrift des
Celfus erhalten fein foll (S. 420). Schon diefe allgemeine
Anficht des Verf.'s über die Erhaltung diefer Schrift
hat ihn verhindert, irgend etwas der Rede Werthes für
die Ermittelung ihres Planes zu unternehmen. Nicht
einmal den wichtigen Einfchnitt bei V, 65 beachtet er.
Nur die, übrigens unzweifelhaft richtige, Bemerkung
gegen Keim tritt hervor, dafs das Vorwort des Celfus
nicht (wozu nur Origen. Praefat. c. 6 verleitet) bis I, 27
fondern nur bis I, 12 reicht (S. 282). Sonft gilt Keim's
Dispofition dem Verf. zwar für willkürlich und der Schrift
des Celfus nur aufgedrungen, aber doch für brauchbar
zur Refumirung ihres Inhalts (S. 275 f.), ein Satz, der
weder in feinem Zugeftändnifs noch in deffen Befchränk-
ung ganz richtig ift. Der befte Theil der Arbeit des
Verf.'s ift feine ,Analyfe des wahren Worts' (S. 279 ff.),
eine forgfältige und ganz gut gemachte freie Paraphrafe
der Schrift des Celfus nach den Mittheilungen des Origenes
, aus welcher fich in der That eher eine Vorftell-
ung davon gewinnen läfst, als aus dem Ueberfetzungs-
monftrum von Keim. Mit Ausnahme eines hitzigen Pro-
teftes gegen den Ariftokratismus des Celfus (S. 315 f.)
tritt der Verf. hier nur in den nöthigften Fällen zur
Herftellung des Zufammenhangs zwifchen den Fragmenten
mit eigenen Worten dazwifchen. Erheblichere Weg-
laffungen kommen aufser S. 331 (IV, 98) und S. 374
(VIII, 41 Anfang) kaum vor, geringfügigere, wie die bei
I, 37. VI, 19, mögen durch den im Verhältnifs zu einer
eigentlichen Ueberfetzung freieren Charakter des Verfahrens
des Verf.'s zu entfchuldigen fein. S. 365 ift von
VI, 45 zu Anfang nur ein willkürlich corrigirter Text
wiedergegeben. Nur durch ein Verfehen hat der Verf.
in das Fragment I, 68 S. 293 eine Anfpielung auf die
Plochzeit zu Cana hineingebracht, die er felbft bei feiner
übrigens zu keinem klaren Refultate fich abfchliefsenden
Befprechung der Celfus bekannten Evangelien (S. 407 ff.)
zu verwenden nicht denkt. Noch fei zum Schlufs erwähnt
, dafs der Verf. gegen Keim die Identität des
Celfus des Origenes mit dem des Lucian wieder in Frage
ftellt 'S. 232 f.). Sie ift in der That, wenn auch wahr-
fcheinlich, durchaus nicht fo ausgemacht, wie feit Keim
angenommen wird, deffen Argumentation noch mehr
fchwache Punkte hat, als auch Pelagaud erkennt.

Bafel. Franz Overbeck.

Zöekler, Prof. D. O., Geschichte der Beziehungen zwischen
Theologie und Naturwissenschaft, mit befondrer
Rückficht auf Schöpfungsgefchichte. 2. Abth.: Von
Newton und Leibniz bis zur Gegenwart. Gütersloh
1879, Bertelsmann. (XII, 835 S. gr. 8.) M. 15. —
(cplt: M. 27. —)

Mit diefem zweiten Bande, der mit Recht den brennenden
Tagesfragen einen gröfseren Raum zuweift, fo-
fern dem Darwinismus das ganze fiebente Buch gewidmet
ift, fchliefst der Verfaffer fein Werk ab, ,eine Frucht
zwanzigjährigen Forfchens'. Ein gewaltige Fülle litera-
rifchen Materials ift in den Gang der Erzählung theils
eingeftellt, theils mehr oder minder verarbeitet worden.
Die Theilung in einen allgemeinen und einen fpeciellen
Theil, wie fie das fünfte und fechfte Buch aufweift, bewährt
fich auch hier. Der erftere fchildert überwiegend
den Gang der Naturwiffenfchaft und den Wechfel der
Gefammtanfchauung der Natur. Je gröfser die Fülle
der Aufgaben, welche fich heute auf dem Gebiete der
Natur dem Forfcher darbieten, um fo gröfser die Ar-
beitstheilung, um fo feltener die Neigung, die frühere
Entwickelung der Naturkunde im Gefammtbilde zu über-
fchauen, während ein derartiger Rückblick, wie uns
dünkt, manche heilfame Winke zu befonnenem Mafs-
halten an die Hand geben dürfte. Dem Theologen
vollends und dem Laien, welcher beiden Wiffenfchaften
mit mehr dilettantifchem Intereffe folgt, bietet das Werk
natürlich gerade im allgemeinen Theil fehr viel Neues.
Die Maffe intereffanten Stoffes hat den Verf. kaum irgendwo
verleitet, mehr zu geben als nöthig, obgleich
gerade hinfichtlich des Mafses das Urtheil ftets individuell
gefärbt fein wird. Längere Gruppen der Darftell-
ung zeichnen fich vielmehr durch lichtvolle Knappheit
und Präcifion aus. In das Widerftreben gegen anerkannte
Ergebnifse der Naturforfchung theilen fich übrigens
, wie der Verf. wiederholt mit Recht darlegt, zu
allen Zeiten Theologen und Naturforfcher; dasfelbe ent-
fpringt nicht nur der Furcht, feftftehende religiöfe Wahrheiten
opfern zu müffen, fondern eben fo oft auch dem
Hange zu trägem Confervativismus. Die ältere Phyfiko-
theologie empfängt eine neue Beleuchtung dadurch, dafs
fie im Zufammenhange der Zeitvorftellungcn betrachtet
wird, nicht minder der Diluvialismus, als deffen Aus-

j gangspunkt Thomas Burnet's ,Theorie der Erde' ange-

i fehen wird. Je mehr die Darftellung fich der Gegenwart
nähert, um fo häufiger tritt auch das Urtheil des
Verf.'s auf. Die, welche die biblifche Kosmogonie in
Gen. 1 ähnlich wie Ewald betrachten, bezeichnet er als
,Mythenkritiker' und zeigt (S. 494 ff.) den Uebergang
derfelben in die .Tendenzkritik'. Die betreffenden Katego-

i rieen, welche er hier verwendet, find faft fämmtlich der
Gefchichte der Evangelienkritik entnommen. Es läfst

! fich nicht wahrnehmen , dafs der Verf. fich über den
principiellen Unterfchied klar geworden fei, der zwifchen
der evangelifchen Gefchichte und* der Kosmogonie,
beide als Ueberlieferungs- refp. Offenbarungsftoff betrachtet
, nothwendig beliehen müffe; daher ift jene Ka-
talogifirung bedenklich. Auch fcheint er die grofse
Aehnlichkeit nicht zu ahnen, welche zwifchen der .idealen
Concordanzhypothefe' (welcher er felbft beipflichtet)
und jener ,Mythenkritik' befteht. Bisweilen fcheint es
fo, als wenn er als Inhalt einer von Gott gefchehenen
Mittheilung rein kosmogonifche Proceffe anfleht, während
anderswo diefe Vorausfetzung nicht zuzutreffen
fcheint. Wenn er z. B. Lipfius (S. 613) befchuldigt, er
gebe den Schöpfungsbegriff fo gut wie ganz preis, und
dennoch den Satz desfelben anführt: ,als religiöfe Aus-
fage fei feilzuhalten das Gegründetfein aller Naturwefen
in göttlicher Caufalität', fo mufs er in das Schöpfungsdogma
nothwendig auch die rein natürlichen Ausfagen
der Bibel einftellen, fo dafs die .ideale' Concordanz zu
einer maffiv realen Discordanz umfehlüge. Alle Verfuche,
den Darwinismus in irgend einer Weife mit der Teleo-

j logie und derTheologie zu vermitteln, werden entfehieden
zurückgewiefen: ,man warte eine vollftändigere Ausfcheid-
ung der vielen tendenziöfen Anflehten, überhaupt eine
klarere und einheitlichere Geftaltung der grofsentheils
noch chaotifch durcheinander gährenden Meinungen ab'
(S. 754)- Wenn er am Schluffe die Hoffnung ausfpricht,
es dürften die theologifchen Lehrftücke von der Schöpfung
und Vorfehung, fowie das vom Urftand des Men-

fchengefchlechtes mancher werthvollen Förderung, beides
in pofitiver wie in negativer Hinficht von daher fich
zu erfreuen haben (S. 800), fo will das nicht recht ftim-
men zu der Charakterifirung des Darwinismus als .einer
religiös-fittlichen und wiffenfehaftlichen Epidemie' (S.

! 799). Der Abfall von den kirchlichen Ueberlieferungen

! läfst ihn nicht hoffnungslos, aber trübe in die Zukunft