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Ausgabe:

1879 Nr. 8

Spalte:

180-181

Autor/Hrsg.:

Gothein, Eberh.

Titel/Untertitel:

Poltische und religiöse Volksbewegungen vor der Reformation 1879

Rezensent:

Kolde, Theodor

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179

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. 8.

180

Tabellenfchema's der erfte Schritt bereits gefchehen ift.
Das Format könnte dann handlicher, der augenverderbende
Druck verbeffert werden und das Nachfchlagen
würde erleichtert fein. Ich glaube, mit Unrecht fchliefst
der Verf. aus dem rafchen Abfatz der 2 erften Auflagen,
dafs ein Buch ,von diefer Form' ein literarifches Be-
dürfnifs fei (S. V); nicht die Form, fondern der kurz-
gefafste Inhalt wird die günftige Aufnahme veranlafst
haben. — Die Sache liegt hier ganz anders als bei den
durchaus berechtigten Gefchichtstabellen, wo es fleh um
die allerdings der Ueberficht dienende Nebeneinander-
ftellung von Gleichzeitigkeiten handelt.

Da unmöglich alle einfchlagendeh Fragen angedeutet
werden konnten, wird im Einzelnen Jeder an der Auswahl
des Stoffes dies oder jenes auszufetzen haben.
Doch wüfste ich nur bei wenigen Punkten an Wichtigeres
zu erinnern, deffen Erwähnung ich vermiffe. S. 14
Sp. 2 giebt kein deutliches Bild von der Compofition
der Bb. Sam. nach Schräder (2 Quellenfchriften von
einem Redactor bearbeitet). S. 31 wäre ein eingehenderes
Wort über die Beziehungen zwifchen Ezechiel und
dem Pentateuch angebracht gewefen. Durchaus unge-
trügend ift S. 52 die Skizzirung der dramatifchen Er- |
klärungen des Hohenliedes; die Hirtenhypothefe kommt
nicht zu ihrem Rechte. S. 64 wäre ein Wort am Platze 1
gewefen über das Verhältnifs des in der Chronik citirten
Buches der Könige Ifrael's und Juda's zu den im kanoni- j
fchen Königsbuche benützten gefonderten Büchern der
Könige Ifrael's einerfeits und Juda's andererfeits. S. 65 j
hätte näher angegeben werden follen, worin man die
tendentiöfe Willkürlichkeit des Chroniften in Benützung
feiner Quellen erkannt hat: ,planmäfsige Verfälfchung
... in prieflerlichem Intereffe' ift nicht das Einzige.
Ungenau ift S. 52 Sp. 1 die durchgehende Bezeichnung
der Braut (oder beffer: der Bräute) des Hohenliedes als
Sulamith, ein Name, welcher bekanntlich nur einmal vorkommt
. Von dem Lamed auctoris der Pfalmenüber-
fchriften durfte nicht S. 44 wie allgemein anerkannt aus-
gefagt werden, dafs es ,der Regel nach' (vielmehr händig
) zur Bezeichnung des Verf. beftimmt fcheine.

Das Buch macht nicht Anfpruch, in den Literaturangaben
vollftändig zu fein (S. VI); Unbedingt Noth-
wendiges habe ich nicht vermifst. Die folgenden wenigen
Nachträge (bis 1876, worüber, fo viel ich fehe, nicht
hinausgegangen wird) find ohne Syftem herausgegriffen.
Der Verf. erwähnt auch fo unbedeutende Schriften, dafs
eine Grenze kaum zu fetzen ift. S. 7 fehlt Smend's Abhandlung
in Stud. u.Kritik. 1876, zu Ezechiel: van Gilfe, i
Comment. in c. 17 vatic. Ezech., Amstelod. 1836; Winer,
Explic. de Nebucadnezaris expugnatione Tyri ad Ezech.
Vaik. 26—28 (Leipz. Pfingftprogramm 1848). Für die
nachexilifche Zeit Joel's wären noch anzuführen gewefen
üort {Theo/. Tijdfchrift 1876) und Duhm, zu Joel
ferner Valeton in den holländifchen Studien I, 1875, eine
Zeitfchrift, aus welcher auch noch Anderes zu erwähnen
gewefen wäre. Es fehlt Kusznitzki, Joel, Am., Obadj.,
Vratisl. 1872. So gut wie Schäfer's Hohesl. hätten auch
Rohling's Pfalmen 1871, desfelben Jefaja 1872 und Daniel
1876, fowie Neteler's Ifaias 1876 erwähnt werden
können. S. 43 fehlt Ley's frühere Schrift: Die metri-
fchen Formen der hebr. Poefie 1866 (Ley wäre S. 42
unter den Vertheidigern der metrifchen Form anzuführen
gewefen), S. 45 König, Theol. der Pfalmen 1857, S. 51
Reufs, Das Buch Hiob 1869 (Vortrag), J. Barth, Zur
Erklärung des B. Job 1876. S. 69 mufste genannt werden
Kuenen, Over de Mannen der Groote Synagoge 1876
und S. 75 Hollenberg, Charakter der alexandrinifchen
Ueberfetzung des B. Jofua 1876. — Diefe Nachträge
können nach ihrer Befchaffenheit nur dazu dienen, die
Ausfage zu beftätigen, dafs die Literaturangaben höchft
reichhaltig find. — Es möge noch gerügt fein, dafs der
Verf. mit vielen anderen Deutfchen (faft ftändig) fchreibt
Renan ftatt Renan.

Unfere Ausheilungen wollen den Werth des mit
riefigem Fleifs und umfaffender Sachkenntnifs angelegten
Buches nicht im mindeften beeinträchtigen, fondern
nur befcheidene Vorfchläge fein zu etwaiger Berückfich-
! tigung bei einer hoffentlich nothwendig werdenden neuen
Auflage. Einftweilen wünfchen wir der vortrefflichen
Arbeit in ihrer gegenwärtigen Geftalt viele Lefer, welche
diefelbe nach dem Sinne des Verf. benützen.

Die Ausftattung läfst in Wahl der Typen (auch ab-
gefehen von der Kleinheit) und an Reinheit des Druckes
zu wünfehen übrig.

Strafsburg i E. Wolf Baudiffin.

Gothein, Doc. Dr. Eberh., Politische und religiöse Volksbewegungen
vor der Reformation. Breslau 1878, Kocb-
ner. (124 S. gr. 8.) M. 3. —

Jede Schrift, die fleh eine quellenmäfsigc Erforfch-
ung der fo lange vernachläffigten zweiten Hälfte des
fünfzehnten Jahrhunderts, befonders des religiöfen und
Culturlebens jenes Zeitraums, zur Aufgabe macht, wird
man mit Freuden begrüfsen dürfen. Die vorliegende,
auf gründlichen Studien beruhende, gcfchmackvoll ge-
fchriebene Arbeit bietet einen auch für den Kirchen-
hiftoriker fehr beachtenswerthen Beitrag zum Verftänd-
nifs der der Reformation unmittelbar vorausgehenden
Jahrzehnte. Der Verf. zieht wefentlich zwei Volksbewegungen
in den Kreis feiner Betrachtung, die von 1476,
welche den Burgundifchen Kriegen, und die von 1501,
die dem Scheitern der Reichsreformen folgte. Während
G. jene erfte Bewegung, die einerfeits in der Neubelebung
der fchwärmerifchen Verehrung des heiligen Blutes
gipfelte, andererfeits um die räthfelhafte Erfcheinung des
Hans Böheim von Niklashaufen fleh concentrirte, nur
cinleitungsweife, meift auf Grund derStolle'fchcn Ghronik,
der gleichzeitigen Volkslieder und der von Barak mit-
getheilten Urkunden befpricht, widmet er der hiftorifclien
Motivirung derBewegung von 1501, fowie diefer felbft den
übrigen Theil feiner Arbeit. In gefchickter Gruppirung
führt er dem Lefer die einzelnen Momente des wachfeiv
den Unbehagens, der fteigenden Gährung im Volke vor.
Mit Recht betont er die Verfchiedenheit des Verhält-
nifses der Reichsreformer und Maximilian's zum Volk
und fleht in der Art und Weife, in der die erfteren ,die
grofse Maffe des Volks als Mittel zu verwerthen fuchten',
einen Hauptgrund für das Scheitern aller Reformbeftre-
bungen, der ,in den Mafien das Gefühl der Verwirrung,
der Rathlofigkeit auf's höchfte fteigerte', und nach und nach
einen Zuftand hervorrief, unter deffen Vorausfetzung die
Naturereignifse der nächften Jahre, Epidemien, fchlechtc
Ernten u. f. w. nur dazu dienten, ,feinen Ausbruch auf
das religiöfe Gebiet hinüberzufpielen'. Hieran anfchlics-
send giebt der Verf. ein anfehauliches, durchweg gut begründetes
Bild der entfliehenden religiöfen Bewegung,
der Vermehrung und Steigerung des Heiligen- und Re-
liquiencultus, endlich der fonderbaren, vom Rhein über
ganz Südweftdeutfchland fich verbreitenden, eine fo grofse
Aufregung verurfachenden Kreuzwundererfcheinung. Zugleich
flicht G. nachzuweifen, wie es allenthalben der
Kaifer ift, der jene Erregung fchürt, fie auch hier und
da veranlafst, jedenfalls fie immer, fchliefslich auch mit
Hülfe des päpftlichen Legaten zu feinen politifchen
Zwecken benutzt. Diefem Nachweis dienen die beiden
letzten, für den Kirchenhiftoriker befonders intereffanten
Capitel ,die politifche Benutzung der Wunder' und ,das
Jubiläum'. — Im Grofsen und Ganzen kann ich dem
Verf. in der Motivirung diefer zweiten, von ihm, wenn
ich nicht irre, zum erften Male in die befagte Beziehung
gebrachten Volksbewegung nur zuftimmen und bekenne
zugleich, viel daraus gelernt zu haben. Eine Erkläru ng
einer religiöfen Epidemie wie die der Kreuzwunder hat
der Verf. nicht geben wollen, und ift diefe wohl auch kaum
möglich, man wird fleh dabei immer auf den Nachweis