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Ausgabe:

1878 Nr. 7

Spalte:

168-169

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Alex.

Titel/Untertitel:

Die christliche Glaubenslehre nach protestantischen Grundsätzen dargestellt. 2 Bde. 2. Aufl 1878

Rezensent:

Lipsius, Richard Adelbert

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 7.

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der ,Religion Jefu'. Diefe m. E. falfche Auffaffung des
Verhältnifses der chriftlichen Religion zu ihrem Stifter
hat jedoch hier, wo es fich um eine ethifche Frage han-
• delt, keine nachtheiligen Folgen gehabt, wefshalb ich
nicht weiter darauf eingehe. Zwei anderePunkte mögen dagegen
erwähnt werden. Einmal begreife ich nicht, warum
die Unterordnung der Frau unter den Mann jüdifches
Vorurtheil fein foll. Nichts berechtigt, dies, wo es im
Neuen Teftament vorkommt, von roher und willkürlicher
Herrfchaft zu verftehen. Eben diefelben Schrift-
fteller heben dabei die wefentliche Gleichheit beider
hervor. Es ift daher gefordert, ihre Aeufserungen über
die Herrfchaft des Mannes im Sinn des Herrn zu verftehen
, nach deffen Wort die Herrfchaft vor allem eine
höhere Pflicht des Dienftes -enthält. Allerdings ift
die Frau angewiefen, fleh zu fügen, wenn auch der
Mann diefe feine Pflicht nicht erfüllt. Aber das bedeutet
doch nichts anderes, als dafs die Pflichtverletzung
auf Seiten des einen Theils den andern niemals
zum Gleichen berechtigt. So fehr ftimmt die natürliche
Dispofition des weiblichen Gefchlechts hier mit
jenem chriftlichen Grundfatz überein , dafs echte Frauen
es zu ihrer weiblichen Würde rechnen, dem Manne
unterthan zu fein. Ferner kommt es mir gezwungen vor,
wenn der Verfaffer die falfche Ueberfchätzung des jungfräulichen
Standes in der alten und mittelalterlichen Kirche
als Verachtung der Frau deutet. Wie die Nonne auf diePlhe-
frau, fo fleht der Mönch auf den Ehemann herab. Verachtung
der Ehe ift es, aber nicht Geringfehätzung der Frau.

Im vierten Abfchnitt verwirft der Verfaffer zunächft
die übertriebenen Fmancipationsgelüfte der Frauenwelt,
ftellt feft, dafs der Hauptberuf der Frau im Haus und
in der Familie liegt, fchildert dann aber mit beredten
Worten den Nothftand der Frauenwelt, der daraus
hervorgeht, dafs Gefetz und Sitte fie im wefentlichen
noch ganz auf diefen Kreis befchränken. Manche
Jungfrau und Wittwe wird dadurch in die bitterfte Noth
gebracht, und für viele wird eben dies eine Verfluchung
zur Sünde. Detaillirte Vorfchläge zur Abhülfe ftellt der
Verfaffer nicht auf, fondern bleibt bei allgemeinen Vor-
fchlägen flehen und weift auf eine Verbefferung des Mädchenunterrichts
als auf eine dringende Pflicht des Staates
hin. Kein Chrift wird diefe Mahnungen des Verf.'s
innerlich abweifen können. Doch kommt mir vor, dafs
er den Grund der Mifsftände zu einfeitig im fchlechten
Willen der Männer und im falfchen Vorurtheil fucht,
auch zu viel von den hier möglichen Verbefferungen
erwartet. Die Hauptfchwierigkeit liegt doch in der Sache
felbft. Denn wenn auch alles von Seiten der Gefell-
fchaft gefchieht, um der Frau neue und angemeffene
Wirkungskreife zu öffnen, fo bleibt ihr Hauptberuf doch
das Haus und die Familie, und Niemand kann verhüten,
dafs fie in eine Ausnahmeftellung geräth , wenn ihr hier
die Wirkfamkeit verfagt bleibt; ebenfowenig kann jemand
etwas daran ändern, dafs in diefer Ausnahmeftellung
eine Gefahr für den weiblichen Charakter liegt. Auch
liegt doch wohl keine Unterfchätzung der weiblichen
Fähigkeiten darin, wenn man behauptet, dafs die grofse
Mehrzahl nicht im Stande ift, fich auf einen doppelten
Beruf gründlich vorzubereiten. Wie foll aber eine allen
Eventualitäten gewachfen fein, wenn fie nicht auf beides
gleich gerüftet ift? Diefer Anforderung würden Männer
ebenfowenig entfprechen. So liegt die Hauptfchwierigkeit
doch wohl in der Sache felbft. Aber das ändert
nichts an der Pflicht, zu beffern, fo weit es möglich ift.
Das vorliegende Buch erfüllt feinen Zweck, indem es
diefe fo oft überfehene Chriftenpflicht einfehärft. Um
deswillen und namentlich auch um der fo eingehenden
wie befonnenen Gefchichtsdarftellung willen kann es
einem jeden, der für die verhandelte Frage Intereffe hat,
warm empfohlen werden.

Bafel. _ J. Kaftan.

Schweizer, Dr. Alex., Die christliche Glaubenslehre nach

proteftantifchen Grundfätzen dargeftellt. 2 Bde.

2. Aufl. Leipzig 1877, Hirzel. (XIV, 437 u. XIII,
610 S. gr. 8.) M. 15. —

Es ift ein erfreuliches Zeichen der Zeit, dafs ein
Werk von der Bedeutung der Schweizer'fchen Glaubenslehre
bereits 5 Jahre nach feiner Vollendung in einer
neuen Auflage erfcheint. Da das Buch doch hauptfächlich
leinen Weg in die Pfarrhäufer gefunden haben wird,
fo ift diefe neue Auflage ein thatfächlicher Beweis, dafs
die Schweizer'fche Behandlung der Glaubenslehre noch
viele Freunde unter der Geiftlichkeit befitzt, ficher nicht
blofs in der Schweiz, fondern auch in Deutfchland. Um
fo weniger braucht bei diefer neuen Auflage die Trefflichkeit
des Werkes noch befonders hervorgehoben zu
werden. Ref. begnügt fich daher, auf Grund eines erneuten
, eingehenden Studiums das Verhältnifs der beiden
Auflagen zu einander etwas näher zu charakterifiren.
Was dem Lefer zunächft in die Augen fällt, ift der
Umftand, dafs der erfte Band nicht unbeträchtlich erweitert
, der zweite dagegen verkürzt ift. Jener enthält jetzt
437 Seiten Text ftatt 384, diefer, deffen beide Abtheilungen
jetzt nicht mehr befonders paginirt find, 610 ftatt
659. Ift hierdurch zunächft äufserlich ein gröfseres Eben-
mafs zwifchen dem allgemeinen und dem befonderen
Theile hergcftellt, fo hat der Herr Verfaffer zugleich
auch gewiffe Ungleichmäfsigkeiten der Behandlung be-
feitigt. Namentlich dem erften Theile find jetzt zahlreiche
Anmerkungen beigegeben, zum Belege der Zu-
ftimmung Anderer zu Lehren, welche nur als feine Privatanficht
aufgefafst worden find. Mit befonderer Vorliebe
werden Schriftfteller citirt, die ihrer theologifchen Ge-
fammtanfehauung nach dem Verfaffer fonft ferner flehen,
wie D.orner, Rothe, Hundeshagen, doch fehlen auch
allerlei anderweite Lefefrüchte nicht, z. B. aus den
Schriften von Romang, Späth, Ulrici, H. Ritter, den
biblifch-theologifchen Arbeiten von H.Schultz, Hävernick,
Lutz u. f. w. Andere Noten find der Abfertigung unfreundlicher
Recenfenten gewidmet, unter denen Frank
in Erlangen und der Anonymus der Neuen Evangeli-
fchen Kirchenzeitung obenan flehen. Hätte Ref. hier in
manchen Fällen wohl ein vornehmes Stillfchweigen vorgezogen
, fo verdienen um fo gröfseren Dank eine Reihe
anderweiter Zufätze, wejehe die bisher fchon beigebrachten
Belegftellen aus Kirchenvätern und namentlich aus älteren
reformirten Dogmatikern nicht unerheblich vermehren.
Durch das ganzeBuch endlich zieht fich jetzt diepolemifche
Rückfichtnahme auf die antireligiöfe ,Welt- und Alltagsweisheit
', wie fie einerfeits durch die darwiniftifche Natur-
philofophie und den ,neuen Glauben' von Straufs, andrerseits
durch den Peffimismus des jetzt erft recht in die
Mode gekommenen Schopenhauer und Eduard's von
Hartmann repräfentirt wird. Dabei war der Verf. in
der glücklichen Lage, fich um fo kürzer faffen zu können
, als meift ein Hinweis auf feine neuerlich erfchienene
Sammlung vonAbhandlungen ,Nach Rechts und nach Links'
und auf den jüngften Auffatz ,über die Zukunft der Religion
' genügte. In dem letzten Auffatze hat Schweizer
bekanntlich auch Stellung genommen zu den (neuerdings
zwifchen Biedermann und dem Unterzeichneten verhandelten
) erkenntnifs-theoretifchen Fragen. Obwohl die
Beigabe eines eigenen erkenntnifstheoretifchenAbfchnittes
mit dem Plane feiner Glaubenslehre unverträglich fchien,
fo hat er doch durch den Hinweis auf die erwähnte Abhandlung
und auf Schramm's Schrift über die Erkennbarkeit
Gottes feinen Standpunkt deutlich gezeichnet. Ref.
fügt hinzu, dafs auch im Texte felbft und in den beigegebenen
Noten jetzt nicht feiten die erkenntnifstheo-
retifche Frage berührt wird, vgl. die Zufätze zu § 64,2.
65, 1. 69,2. 102, 2 (an letzterer Stelle verweift der Verf.
auf den Vortrag des Unterzeichneten über die Gottesidee).
183, 1 u. ö. Damit hängt zufammen, dafs der Verf. fich