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Ausgabe:

1878

Spalte:

135-136

Autor/Hrsg.:

Kisch, Alex.

Titel/Untertitel:

Leben und Wirken Hillel des Ersten. Vortrag 1878

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 6.

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dafs unter dem in Geftalt eines Menfchcn Erfcheinenden
fchlechterdings nicht die Perlon des Meffias, fondern
nur die Gemeinde der Heiligen verftanden werden könne.
— Nicht zutreffend fcheinen mir dagegen in Nr. 10 und 11
die Ausführungen über Namen und Wefen des Meffias.
Der Verf. beftreitet oder bezweifelt doch fehr ftark, dafs
die Bezeichnung ,Sohn Gottes' von dem Meffias gebraucht
worden fei (S. 284—288), und dafs man ihm
Präexiftenz zugefchrieben habe (S. 290—295). In der
Beftreitung beider Punkte kann ich nur eine unbewufste
Nachwirkung der alten dogmatifchen Betrachtungsweife
fehen, welcher bei dem Ausdruck ,Sohn Gottes' fofort
der ganze Vorftellungs-Apparat der kirchlichen Chrifto-
logie mit ihrem o/inovaiog etc. vor Augen fchwebt, und
die fich auch die ,Präexiftenz' nicht anders als eben im
Sinne diefes huoovOiog denken kann. Wenn man diefe
Vorftellungen mit den fraglichen Prädicaten verbindet,
dann mufs man fich natürlich gegen die Anerkennung
fträuben, dafs fie von dem vorchriftlichen Judenthum
dem Meffias zugefchrieben worden feien. Aber dies ift
eben durchaus ungefchichtlich. Geht man vom Alten
Teftamente aus, und erinnert man fich deffen, dafs hier
nicht nur der theokratifche König Ifraels, fondern fogar
das Volk Ifrael felbft als ,Sohn Gottes', ja als erftge-
borener Sohn Gottes bezeichnet wird, fo mufs man
es geradezu als felbftverftändlich betrachten, dafs
dies Prädicat auch dem Meffias gegeben wurde, und
kann nicht entfernt daran denken, diejenigen Stellen, in
welchen es vorkommt, nur um deffentwillen für chrift-
liche Interpolationen zu erklären. Später, in der Polemik
gegen das Chriftenthum, ift es allerdings theilweife abgelehnt
worden {Orig. contra Celsum I, 49); jedoch auch
dann nicht allgemein, wie die noch im Talmud vertretene
meffianifche Deutung des 2. Pfalms beweift [ßacca
52a, f. Wünfche, Neue Beiträge zur Erläuterung der
Evangelien aus Talmud und Midrafch, 1878, S. 344).
Aehnlich verhält fich's mit der Präexiftenz. Sie war
von felbft gegeben, fobald man Daniel 7, 13—14 auf die
Perfon des Meffias deutete; hatte auch in Micha 5, I
einen Anhaltspunkt, und entfpricht ganz der Neigung
des fpäteren Judenthums, die Ueberzeugung von dem
unvergänglichen religiöfen Werth einer Perfon oder Sache
in die Form zu kleiden, dafs man ihr eine ewige himm-
lifche Exiftenz zufchrieb. Finden wir doch fogar noch
in der chriftlichen Literatur, infolge offenbarer Nachwirkung
hievon, die Vorftellung von einer vorweltlichen
Präexiftenz der Kirche {Hermas Vis. II, 4: i] exxXrtaia
. . navTiov 7CQWTT] exzla-Ht]. II Clem. 14: eoSf-is-frcc ex
rrjg exv.Xrjoiag %rjg rcQwxrjg rfjc, nvevfiatixrjg zijg nqo rj?uov
xal oeXryrjg exTi6fj.evrjg. Vgl. Harnack's Anm. zu beiden
Stellen). Auf diefer Grundlage hat auch die Vorftellung
von einer Präexiftenz des Meffias durchaus nichts Befremdliches
.

Von grofsem Intereffe wird für Viele die im Appendix
S. 391 f. mitgetheilte Notiz fein, dafs das in der
lateinifchen Ueberfetzung des 4. Buches Efra in den
meiften Handfchriften im 7. Capitel fehlende Stück, welches
Bensly vor Kurzem aus einer Handfchrift von
Amiens herausgegeben hat (The Missing Fragment etc.
1875), auch in einem Madrider Codex erhalten ift.
Es ift daraus fchon im Jahre 1826 (!!) von Rev. John
Palm er abgefchrieben, aber erft kürzlich aus deffen
Papieren von J. S. Wood herausgegeben worden {Journal
of Philology, Vol. VII, Nr. 14, 1877, p. 264—278).
Leipzig. E. Schür er.

Kisch, Rabb. Dr. Alex., Leben und Wirken Hillel des Ersten
. Vortrag, gehalten im Afike-Jehuda-Verein in
Prag. Wien 1877, Filiale der Brüder Winter. (14 S.
gr. 8.)

Die bekannten Anecdoten, mit welchen die fpätere
Sage das Leben Hillel's gefchmückt hat, find hier in

lesbarer Form zufammengeftellt. Für ein ,Leben Hillel
's' vermag Ref. dies freilich nicht zu halten. Ge-
fchichtlich werthvoller würde es fein, wenn auf Grund
des authentifchen Materiales, wie es in den älteften
Quellen befonders in der Mifchna vorliegt, die gefetz-
liche Richtung und Methode der Hillel'fchen Schule im
Unterfchiede von derjenigen Schammai's charakterifirt
würde. Dadurch würde man ein viel zuverläffigeres und
treueres Bild von dem ,Wirken Hillel's' erhalten als durch
eine folche Anecdotenfammlung. Allerdings würde die
Sache dann auch weniger pikant fein und fich nicht für
einen öffentlichen Vortrag eignen.
Leipzig. E. Schür er.

Aberle, Prof. Dr. M. v., Einleitung in das Neue Testament.

Herausgegeben von Prof. Dr. Paul Schanz. Frei-
burg i. Br. 1877, Herder. XII, 311 S. gr. 8.) M. 4. —

Der verdorbene Aberle gehörte, was Gediegenheit des
Wiffens anlangt, ohne F"rage zu den achtungswertheden
katholifchen Theologen der Gegenwart. Mit befonderer
Vorliebe hatte er fich in der letzten Zeit feines Lebens dem
Studium der jüdifchen und römifchen Gefchichte im Zeitalter
des Neuen Tedamentes zugewandt. Er wufste
wohl, dafs ein gründliches Verdändnifs des Neuen Tedamentes
nur auf der Grundlage einer foliden Kenntnifs
der Zeitgefchichte zu gewinnen fei. Unter diefen Um-
dänden konnte man wohl erwarten, dafs fein Nachlafs
noch Manches bergen werde, was der Veröffentlichung
werth fein würde; und man fcheint von Seite feiner
Freunde und Schüler namentlich von feiner ,Einleitung
in das Neue Tedament' fich Hervorragendes verfpro-
chen zu haben. Man hoffte, fie fo gut wie druckfertig
im Nachlade vorzufinden. Aber der Herausgeber des
nun erfchienenen Werkes giebt in der Vorrede felbd
feiner Enttäufchung in diefer Hinficht unverhohlen Ausdruck
. ,Zu meiner grofsen Ueberrafchung und zu meinem
nicht geringeren Bedauern überzeugte ich mich bald,
dafs keines der Manufcripte druckfertig oder auch nur
fo hergerichtet war, dafs es mit Leichtigkeit druckfertig
gemacht werden konnte. Es fanden fich nur die Colle-
gienhefte vor. Von einem gelehrten Apparat, von
literarifchen Notizen u. dgl. war durchaus nichts
vorhanden'. Trotzdem hat fich Schanz zunächd zur
Herausgabe der Einleitung in's Neue Teftament ent-
fchloffen. Bei der Befchaffenheit des Manufcriptes fiel
ihm nun die Aufgabe zu, die fämmtlichen literarifchen
Nachweife, überhaupt den ganzen, gerade bei diefer
Disciplin fo unentbehrlichen gelehrten Apparat erft felbft
hinzuzufügen. Er ift dabei in der Art verfahren, dafs
er alle diefe Zuthaten in Form von Anmerkungen unter
dem Text gegeben hat. Und man braucht nur diefe
Anmerkungen zu durchblättern, um zu fehen, dafs er
mit gründlicher Sachkenntnifs zu Werke gegangen ift.
Ein grofser Uebelftand bleibt es freilich immer, dafs
diefes ganze Material erft vom Herausgeber hinzugefügt
werden mufste. Denn um wirklich fruchtbar zu werden,
: müfste es zum gröfsten Theile in den Text felbft verarbeitet
fein.

Dafs im Texte Aberle's nur die Entwickelung feiner
eigenen Anficht faft ohne allen gelehrten Apparat gegeben
wird, ift um feinetwillen wie um der Sache willen
zu bedauern. Gerade im Material hätte er bei feinem
reichen Wiffen Manches bieten können, was für Andere
fruchtbar gewefen wäre. Jetzt hingegen werden uns
allerlei fpitzfindige Entdeckungen aufgetifcht, die für den
kritifchen Lefer zum gröfsten Theile fehr wenig erbaulicher
Art find. Man kennt freilich diefe Schwächen
Aberle's fchon aus feinen Auffätzen in der Theologifchen
Quartalfchrift. Es genügt daher, hier kurz daran zu erinnern
. Aberle war wie wenige feiner Glaubensgenoffen
von der Nothwendigkeit einer hiftor ifchen Behandlung
der NT1. Schriften durchdrungen. Um fie zu verftehen,