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Ausgabe:

1878 Nr. 5

Spalte:

122-123

Autor/Hrsg.:

Oehler, V. Fr. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

‘Halte was du hast’. Zeitschrift für Pastoral-Theologie. 1. Jahrg. 1877/78. 1. Heft 1878

Rezensent:

Hartung, Bruno

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 5.

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vielfeitiger Anwendung zu Tage. Von befonderem In-
tereffe ift es dabei, zu fehen, wie jede neue Periode der
Kirche neue Schlaglichter auf die alten Perikopen wirft;
die mächtigen Bewegungen und Erregungen der kirchlichen
Gegenwart fpiegeln fich in kräftiger Beleuchtung
in den Predigten ab, von denen namentlich einzelne be-
deutfame Zeitpredigten find, hervorragend und vorbildlich
durch die Vereinigung eines grofsen kirchlichen
Ernftes mit der Befonnenheit eines gereiften Urtheils,
das die Zeiterfcheinungen trefflich in das Licht der
ewigen Wahrheit zu ftellen verfteht, mit Freimuth die
Schäden der Zeit aufdeckend, mit liebevollem Verftänd-
nifs, ohne peffimiftifchc Säure, an ihre befferen Regungen
anknüpfend. Wir heben in diefer Beziehung u. A.
die Predigt am 1. Trinitatisfonntag über Luc. 16, 19 ff.
hervor, die den chriftlichen Socialismus verkündend, den
Befitzenden das Gewiffen fchärfend fich über ,die Aufgaben
verbreitet, welche Gott Denen ftellt, denen er
Reichthum befcheert', die Predigt am 18. Trinitatisfonntag
über Matth. 22, 34—46 mit dem Thema: ,was dün-
ket euch um Chrifto? weis Sohn ift er?', die fpeciell in
die kirchlichen Kämpfe der hannoverfchen Landeskirche
hineinführt, die Reformationspredigt über Matth. 11, 20
—30 mit dem Thema: ,wie wir in Demuth Reforma-
tionsfeft feiern', und namentlich die Predigt am 23. Trinitatisfonntag
über Matth. 22, 15 -33, die unter dem
Thema: ,gebet dem Kaifer, was des Kaifers ift, und
Gotte, was Gottes ift', die grofse Zeitfrage über das
Verhältnifs zwifchen Staat und Kirche in durchaus evan-
gelifchem Geifte, ebenfo mafs- als lichtvoll behandelt.
Sehr fein weifs dabei der Verf. die Ausdehnung zu rechtfertigen
, welche in der hannoverfchen Landeskirche die
Perikope gewonnen hat, in welcher, abweichend von der
alten Kirche, der Erzählung vom Zinsgrofchen noch die
Unterredung des Herrn mit den Sadducäern über die
Auferftehung beigefügt ift. Aus diefem Abfchnitt wird
der tiefere Grund erwiefen, auf welchen die Irrthümer,
wie die Wahrheiten in der grofsen Frage, um die es fich
handelt, zurückzuführen find, indem der römifche Irrthum
mit feiner Verabfolutirung der Kirche und Gcring-
fchätzung des Staats nach dem Verfaffer den tiefften
Grund darin hat, dafs die römifche Kirche jenes Leben
als eine blofse Fortfetzung diefes Lebens anfleht, oder
was dasfelbe ift, die Kirche im Diesfcits fchon als das
vollendete Gottesreich', während die Andern, welche
den Staat verabfolutiren und die Kirche nicht achten,
dies darum thun, weil fie ,von keinem Jenfeits, von keinem
ewigen Leben wiffen, fondern nur ein Diesfeits und
das irdifche Leben kennen'. Auch fonft hat der Verf.
mit befonderer Sorgfalt die Zufammenftellung der Perikopen
feiner Landeskirche, welche namentlich die epifto-
lifchcn Perikopen mehrfach erweitert hat, ins Auge ge-
fafst, und verfteht, ohne zu künltcln, mit grofser Gewandtheit
die Abweichung zu rechtfertigen, wenn auch
Ref. von der Richtigkeit derfelben nicht durchgängig
überzeugt worden ift.

Die Dispofitionen, in welchen der Verf. die Hauptgedanken
des Textes treffend zufammenzufaffen verfteht,
find nur bei einzelnen Predigten etwas umftändlich und
nicht ohne Weiteres für die grofse Gemeinde verftänd-
lich, bei den meiften Predigten aber fehr glücklich ge-
fafst, nicht feiten mit fchlagender Kürze und Prägnanz,
bei einzelnen Predigten auch fehr anfprechend durch
die Anknüpfung des nächften Sonntags an den vorhergehenden
; fo in den Predigten über die Evangelien der
letzten Trinitatisfonntage mit den drei auf einander folgenden
das jedesmalige Thema bildenden Rufen: ,es
geht dem Ende zu! — es geht dem Gerichte zu! — es
geht dem Bräutigam entgegen." Wie der Verf auch
homilcufchc Probleme gefchickt zu löfen weifs, beweift
u A die Predigt über die Perikope vom .ungerechten
Haushalter', welcher er das Thema entnimmt : ,dafs uns
der Mammon, das irdifche Gut, etwas Fremdes werden

mufs, um es gebrauchen zu lernen' ,1. in welchem Sinn
das gemeint ift, dafs uns das irdifche Gut etwas Fremdes
werden mufs; 2. wie es dahin kommt; 3. wie wir
es damit recht gebrauchen lernen'.).

Die Prcdigtfammlungen empfehlen fich auch durch
ihre Vollftändigkeit; fie enthalten nicht blofs Predigten
für die gewöhnlichen Sonn- und Fefttage, fondern auch
für die drei Marienfefte, für den Stephanustag, der in
der hannoverfchen Landeskirche am Sonntag nach Weihnachten
gefeiert wird, für zwei Bufstage, für den Syl-
veftergottesdienft, und fechs befondere FaftenprcdDtcn,
die fich in Verbindung mit der Charfreitagspredigt über

die fieben Worte des Herrn am Kreuze verbreiten, _

eine fehr dankenswerthe, reichhaltige Zugabe, die jedoch
nur den Predigten über die Evangelien beigegeben ift,
— und je eine Confirmationsrede, am Sonntage Quafi-
modogeniti gehalten, die eine über Joh. 21, 16, die andere
über Phil. 3, 12—14, die beide gegenüber fowohl dem
trationaliftifchen, als dem pietiftifchen Extrem die ge-
funde kirchliche Mitte in der Auffaffung der Confirma-
tion innehalten, und in hohem Grade erbaulich und beweglich
, mit ficherem Tacte den rechten Ton treffen, in
welchem zu Confirmanden zu reden ift, was bei der
Halbmündigkeit eines noch in der erften Entwickelung
begriffenen Glaubenslebens, wie fie unferen Confirmanden,
an der Grenze zwifchen Kindheit und Jugend, eignet,
und bei ihrem Mangel an geiftlicher Erfahrung nicht
leicht ift.

Dresden. ■ Meier.

Gerhard's, Joh., Enchiridion consolatorium oder Tröft-
liches Handbüchlein wider den Tod und die Anfechtungen
beim Todeskampfe. Aus dem Lateinifchen
überfetzt von Paft. Carl Jul. Böttcher. Leipzig 1877,
J. Naumann. (XIII, 272 S. 16.) M. 1. 50; geb. M. 2. 25.

Wenige Theologen haben es verftanden, ihre Dogmatil
-: in die Praxis zu überfetzen, wie Joh. Gerhard in
feinen Aleditatioiies sacrac, deren Ueberfetzung durch den-
felben Herausgeber zugleich in dritter Auflage erfcheint,
und in dem obengenannten Büchlein, welches darum an
fich weder der Charakteriftik, noch der Empfehlung bedarf
. Wenn nun auch bei einem Autor, der lateinifch
nicht nur gefchrieben, fondern auch gedacht hat, die
Ueberfetzung immer hinter, dem Original zurückbleiben
mufs, ift doch die hier gebotene gewifs eine gelungene
zu nennen. Die Sprache ift die unferer Zeit und einzelne
Anachronismen, wie wenn bereits Seite 2 Gerhard eine
Bezugnahme auf ein Lied von Knorr von Rofenroth in
den Mund gelegt wird, können den praktifchen Werth
eher erhöhen, als beeinträchtigen. Zum Schlufs werden
noch .Troftfprüche und Troftgründe Joh. Gerhard's', eine
fachlich geordnete Concordanz des gefammten tröftlichen
Schriftworts, zum erften Mal 1639 veröffentlicht und für
Seelforger brauchbar, beigefügt.

Leipzig. Härtung.

1. ,Halte was du hast.' Zeitfchrift für Paftoral-Theo-

logie. Unter Mitwirkung vieler in Wiffenfchaft und
Praxis bewährter evangelifcher Theologen hrsg. von
Pfr. V. Fr. Oehler. 1. Jahrg. 1877/78. 12 Hfte. Heilbronn
, Henninger. (r. Hft. 48 S. gr. 8.) M. 8. —

2. Vorwärts. Zeitfchrift für praktifches Chriftenthum.
In zwanglofen Heften. Hrsg. von Pfr. Heinr. Rhold.
Ghilf. Ebel. 1. Hft.- Berlin 1877, Fr. Schulze.
(64 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Wenn zu den vielen fchon vorhandenen zwei neue
Zeitfchriften in's Leben treten, haben fie fich zunächft
darüber zu rechtfertigen, ob fie eine Lücke ausfüllen und