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Ausgabe:

1878

Spalte:

110-112

Autor/Hrsg.:

Rode, Friedr.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Reaction Kaiser Julians gegen die christliche Kirche 1878

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 5.

110

den eigenen Worten des Paulus zuwider, dafs er Marcion's
daraus gezogene Schlüffe über die Disharmonie der
Apoftel fogar vollftändig ignoriren zu dürfen meint';
und S. 10: ,Der Vorfall in Antiochien fcheint für Iren,
nicht einmal äufserlich den Schein eines Streites gehabt
zu haben. Wenigftens ift es fchwer zu fagen, wie er
fich das Auftreten des Paulus dabei erklärte, wenn
Petrus damals nichts weiter als dem Gefetzgeber des
A. T. die gebührende Ehre erwiefen haben follte'. Der
Verf. fcheint hier demfelben Fehler nahe getreten zu
fein, den er bei den Exegeten von Gal. 2, 11 f. mit Recht
fo fcharf gerügt hat. Wenn es dort unftatthaft ift, anzunehmen
, dafs Petrus zu den Worten des Paulus ge-
fchwiegen hat, fo ift es hier ebenfo unerlaubt, zu fta-
tuiren, dafs nach Irenäus Petrus nichts weiter als dem
Gefetzgeber die gebührende Ehre erwiefen haben Poll.
Es müfste erft nachgewiefen werden, dafs Iren, an der
angeführten Stelle die Ablicht gehabt habe oder gehabt
haben müffe, feine Auffaffung von Gal. 2, 11 f. zu
offenbaren, was fchlechterdings nicht nachgewiefen werden
kann. Alfo wiffen wir nicht, wie Iren, über Gal.
2, 11 f. geurtheilt hat. Eine andere Frage ift, ob ein
Urthcil aus der allgemeinen Anficht des Iren, über das
pauk Fivangelium abgeleitet werden kann; aber eine
folche Unterfuchung würde nicht in das Gebiet gehören,
welches der Verf. fich abgedeckt hat.

Tcrtullian anlangend, fo vermag ich ebenfalls dem
Verf. nicht beizuftimmen. O. fucht den Gedanken durchzuführen
, dafs Tert. fich in einen Zuftand der unzweifel-
hafteften Rathlofigkeit verfetzt fieht, dafs er fich nicht
anders zu helfen weifs, als durch Preisgeben des Paulus
(was im Grunde auch fchon Iren, gethan haben foll),
dafs es ihm kein Ernft gewefen fei mit dem Zugeftändnifs,
die beiden Apoftel hätten fich allerdings in ihrer Lebensweife
(in convcrsatione), nicht aber in der Miflionspredigt
(in praedicationc) unterfchieden u. f. w. Allein gerade
der letztgenannte Punkt (S. 11 f.) fcheint Ref. durchaus nicht
ficher geftellt; vielmehr ift ihm der Eindruck nur immer
deutlicher geworden, dafs jene Unterfcheidung ganz
ernfthaft gemeint ift, ja dafs umgekehrt alles Üebrige,
was Tert. fonft noch beibringt, Beiwerk des rhetorifiren-
den Advocaten ift. Was O. S. 21 fo treffend über
Origenes bemerkt, dafs er fich gelegentlich zu apologeti-
fchem Zwecke auf Dinge berufen habe, deren Anrufung
ihm im Grunde verboten war, das trifft unzähligemale bei
Tertull.'s Polemik, und fo auch, nicht in O.'s Sinn, an den
hier ftrittigen Stellen zu. Nun ftützt der Verf. fein Ur-
theil auf ihm eigenthümliche Erwägungen über die Ge-
fchichte des Paulus im 2. Jahrh., Erwägungen, die ich
mit gewiffen Einfchränkungen für zutreffend halte; aber
bezweifeln mufs ich es, ob diefelben bei Betrachtung
von Schriftftücken, die dem Anfang des 3. Jahrh.'s angehören
und die vollkommene Dignität der paulinifchen
Briefe und des paulinifchen Apoftolats vorausfetzen, noch
einwirken dürfen. Wenigftens fcheint mir gerade die
tertull. Polemik gegen Marcion nach di'efer Seite hin
nur verführerifch, nicht mafsgebend. Wenn Tertull. im
Kampfe mit Marcion den Paulus einen Neuling heifst
und die Beglaubigung desfelben durch andere Zeugen
verlangt, fo ift die Nichtachtung der Anfprüche, die
Paulus fclbft erhoben, freilich offenbar; aber diefe Beobachtungen
können doch noch anders erklärt werden,
als durch die Hypothefe, dafs Paulus damals noch im
Kanon der Kirche und unter ihren Autoritäten als ein
Neuling betrachtet wurde. Liefse fich auch nur eine
Stelle aus den Werken Tert.'s nachweifen, wo er, ohne
polemifch engagirt zu fein, Paulus den übrigen untergeordnet
hat, fo wäre anders zu urtheilen. Wie Clemens
Alex, die Richtigkeit des paul. Vorwurfs zugegeben hat
(S. I5 wie Cyprian, der Schüler Tertullian's, und deffen
Zeitgenoffen (& 38) ähnlich geurtheilt haben, fo vermag
Ref. auch nur bei Tertullian dem Advocaten eine
.Preisgebung' des Paulus zu conftatiren, während er felbft

feine eigene Meinung hier umkleidet hat. Nur ein
genaueres Eingehen auf die Auffaffung des ATlichen
Ceremonialgefetzes bei Tertullian kann diefe Controverfe
entfeheiden.

Alle die anderen KW, die O. uns vorgeführt hat,
haben mit wenig Ausnahmen deutlich gefprochen.
Trotzdem find fie mifsverftanden worden; fo hat erft O.
die Stellung Auguftin's richtig beurtheilt. Eine Reihe
von Commentaren find zudem hier behandelt, denen bisher
Aufmerkfamkeit feiten oder nie gefchenkt ift, und
gerade diefe bieten manches Eigenthümliche. Wenn
Ref. hier beiläufig auf Cliron. pasch, (cd//. Bonn.) p. 431.
436 und die auffallende Lücke p. 437 verweift, fo ge-
fchieht es nicht, um die nicht mehr zu vervollftändigende
Reihe der in Frage kommenden Beziehungen auf Gal. 2, 11 f.
zu vermehren, fondern um auf eine zweifellos fehr alte
Notiz aufmerkfam zu machen, die auch für jene Stelle
nicht bedeutungslos ift. Dem Verf., der auch die alt-
chriftliche Literaturgefchichte um manche Weifungen
bereichert hat, werden die Fachgenoffen mit dem Ref.
den beften Dank wiffen.

Leipzig. Ad. Harnack.

Rode. Dr. Friedr., Geschichte der Reaction Kaiser Julians
gegen die christliche Kirche. Jena 1877, Deiftung. (VI,
106 S. gr. 8.) M. 2. —

Das Jahr 1877 hat uns drei Monographieen über Julian
gebracht: Naville's Unterfuchung über die religiöfe

j Philofophie des Kaifers (f. Theol. Lit,-Ztg. 1877 Nr. 14),
Kellerbauer's Skizze der Vorgefchichte Julian's (i. d.
Jahrbb. f. klaff. Philol. u. Pädagogik XI, 1 1877 S. 181—221)
und die vorftehende Darftellung Rode's. Diefe fcheint
Ref. unter den Dreien die werthvollfte (vgl. über diefelbe
Holtzmann i. d. Ztfchr. f. wiff. Theol. 1878 II, S. 279 f.
Gör res i. Theol. Lit.-Bl. 1877 Nr. 20). Der Verf. hat
die Quellen felbftändig und kritifch durchmuftert un 1
fich das Thema zweckmäfsig fo geftellt, die einzelnen
Thatfachen der Reaction vor allem ch r onologi fch zu
ordnen. Hat er auch bei Löfung diefer Aufgabe Vorgänger
gehabt, fo ift es doch erft ihm gelungen, Früheres
und Späteres deutlich zu fondern und fo ein zutreffendes
Bild von der chriftenfeindlichen Politik des Kaifers, ihren
Wandelungen und Steigerungen zu entwerfen. Mit an-
erkennenswerther Vorficht hat der Verf. feine Schrift
eine .Gefchichte der Reaction Kaifer Julians' betitelt;
denn zu einer erfchöpfenden Biographie würde noch
Anderes erforderlich gewefen fein, als was hier geboten
ift, obgleich die Gefchichte Julian's von den früheften
Anfängen an erzählt wird. Immerhin aber hätten die

• beiden Einleitungsparagraphen (Die bish. Forfchung üb.

I J.'s Reaction. Die Quellen für d. Gefch. d. jul. React.)

1 und das 1. Cap. des 1. Abfchnittes (Die K. i. röm. Reich
vor J.'s Regierungsantritt) etwas anders behandelt werden
follen. Die Auseinanderfetzung mit den Vorgängerji
ift dürftig gerathen; auch fehlen manche beachtenswerthe
Darftellungen, wie vor allem die de Broglie's (Leglise et

j Pempire Romain au IV1 siecle T. H, 1. 2. 4. cd/t. 1868).

| Man wird weiter dem Verf. zwar daraus keinen Vorwurf

1 machen können, dafs er in feiner Quellenfchau werthlofe
Urkunden einfach bei Seite gelaffen hat — im Gegen-
theil, die Knappheit feiner Darftellung und Beweisführung
verdient nur Lob —; aber andererfeits ift nicht zu
verkennen, dafs er fich um abliegendere Nachrichten, die
oftmals ganz willkommen find , wenig gekümmert hat.
Ein Beifpiel: Afterius, Bifchof von Amafea, ein jüngerer
Zeitgenoffe Julian's, erinnert in feiner 3. Homilie ,gegen
den Geiz oder die Habfucht' an die julianifche Reac-
tionsperiode. Nachdem er Beifpiele der Habfucht erwähnt
hat, fährt er fort: ,Es giebt auch jetzt und in unterer
Zeit neue Beifpiele. Als jener Imperator, der lange

| Zeit heuchlerifcher Weife den Chriften gefpielt hatte,

i plötzlich dicMaske fallen und den Vorhang aufgehen liefs,