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Ausgabe:

1878 Nr. 4

Spalte:

99-100

Autor/Hrsg.:

Kym, A. L.

Titel/Untertitel:

Metaphysische Untersuchungen 1878

Rezensent:

Pfleiderer, Edmund

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99

Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 4.

IOO

gewendet werden zu follen: ,Singe, wem Gefang gegeben
, In dem deutfchen Dichterwald; Das ift Freude,
das ift Leben, Wenn's von allen Zweigen fchallt'. Nicht
fo unfer Verf., welcher in diefer ,freien Kunft', in diefem
unruhigen Idealismus und genialifchen Particularismus
der deutfchen, befonders der nachkantifchcn Syfteme
ein Grundübel fieht. Sie nehmen zu wenig Rückficht
auf die Wirklichkeit und auf einander, fie arbeiten und
forfchen zu wenig und dichten zu viel. Und doch ift
— nach Abmachung der kritifchen Präliminarien — alle
Philofophie Dichtung und fchliefslich Privatfache des
Subjects! In der That, Hartmann's fcharfes Wort ift
nicht zu fcharf, wenn er angefichts folcher Antinomien
von ,Lange'fchem Confufionismus' fpricht.

Kiel. E. Pfleiderer.

Kym, Prof. Dr. A. L., Metaphysische Untersuchungen.

. München 1875, Th. Ackermann. (XII, 414 S. gr. 8.)
M. 8. —

Dies gediegene Buch, ein Zeugnifs ernften und be-
fonnenen Speculirens, fowie idealer Gefinnung, befteht
aus neun gröfseren Abhandlungen, deren Inhalt zwar
mannigfaltig, aber doch von Einem rothen Faden durchzogen
ift. Letzterer befleht in dem pietätsvollen An-
fclilufs an Trendelenburg's Standpunkt und Denkweife,
wie fie befonders in den ,logifchen Unterfuchungen'
niedergelegt find. Ihm gelten daher auch fogleich die
drei erften Auffätze, welche das genannte Werk des
Meifters gegen verfchiedene (ältere) Angriffe vertheidigen
und theilweife präcifiren. Die 4. und 5. Abhandlung
können als Seitenftück zu deffen bekannter Kritik der
Hegel'fchen Dialektik angefehen werden, fofern zuerft C.
Fifcher's Wiederbelebungsverfuch diefer Methode als
mifslungen abgewiefen und fodann die fcheinbar blendende
Anwendung und Beftätigung derfelben in der ge-
fchichtlichen Serie der fucceffiven philofophifchen Syfteme
als hiftorifche Willkür und Unhaltbarkeit dargethan wird.

Von befonderer Bedeutung für die Lefer diefer Blätter
dürften jedoch die 4 letzten Unterfuchungen fein.
Die 6. will nämlich unter dem Titel ,Die Gotteslehre des
Ariftoteles und das Chriftenthum' das allgemeinere Thema
behandeln : ,Uebereinftimmung und Unterfchied zwifchen
dem philofophifchen Heidenthum und Chriftenthum'.
Es flammt diefe unmittelbare Erweiterung wohl von der
Ueberzeugung des Verf., dafs ,Ariftoteles der gröfste
Denker aller Zeiten' fei und jedenfalls die griechifche,
ja die antike Welt überhaupt am fignincanteften vertrete.
Wir können das gerade in der Parallele mit dem Chriftenthum
nicht eben finden und müffen, von den griechifchen
Ethikern abgefehen, die alte Anficht von der Hieher-
gehörigkeit befonders des Piatonismus für richtiger
halten, an was übrigens der Verf. in "der letzten Abhandlung
, einer Parallele von Plato und Spinoza, felbft
nahe hinftreift. Im Uebrigen können wir es nur billigen,
wenn er bei der berühmten Gotteslehre des Ariftoteles
ihren vielangefochtenen Rückfall in platten Dualismus
und Mechanismus durch eine mehr geiftige als philolo-
gifche Interpretation thunlichft zu befeitigen fucht. Der
7. Abfchnitt ,von der menfehlichen Freiheit' betont
namentlich den fehr beachtenswerthen Gedanken, wie
die ganze Reflexionsnatur des Geiftes als folche und
keineswegs blofs auf dem Willensgebiet den Kern der
Wahlfreiheit enthalte — ein Gedanke, welcher vom Hegel-
fchen Standpunkt aus bekanntlich auch in Zcller's berühmter
Abhandlung über ,die Freiheit, das Böfe und
die moralifche Weltordnung' das punctum saliens bildete.
Die folgende Abhandlung über ,die Weltanfchauungen
und deren Confequenzen', mit der wir als letzte die fchon
genannte Parallele von Plato und Spinoza zufammen-
nehmen können , entwickelt zuerft in recht umfichtiger
Weife Wefen und Nothwendigkeit der Philofophie als
Principienwiffenfchaft über allen, nothwendig einfeitigen

Fachwiffenfchaften. Sodann knüpft fie daran eine Unter-
fuchung über den Gottesbegriff, was wohl, jedenfalls für
theologifche Lefer, die bedeutfamfte, durch den Schlufs
des erften Auffatzes ergänzte Partie des ganzen Buches
fein dürfte. Mit ruhiger Befonnenheit werden die zu
wahrenden Intereffen bei diefem Problem herausgeftellt,
woraus fich ein moniftifcher (oder realiftifcher) Theismus
ergiebt, während auf eine nähere Beftimmung diefes
theoretifchen Grenzbegriffs ebendeshalb refignirt wird.

Um was der Verf. als treuer Schüler eines Trendelenburg
durch's Ganze hindurch kämpft, das ift die begriffliche
und dignitäre Priorität des Idealen vor dem
Realen, was fich, fchon concreter, dem Ariftoteliker als
Allherrfchaft des Zweckgedankens darfteilt. Wenn er
fich hiebei mit älteren und befonders neueren Gegen-
fätzen oder Schwierigkeiten auseinanderzufetzen hat, fo
vermiffen wir allerdings mehrfach, ähnlich wie fchon bei
feinem Meifter Trendelenburg, die volle Schärfe des Gedankens
und fehen eine Schwungvolle metaphorifche
Wendung an die Stelle der nüchternen inquifitorifchen
Unterfuchung treten. Auch die gute theologifch-apolo-
getifche Abficht dürfte zuweilen weiter gehen, als einer
ielbttändigen Philofophie erlaubt ift.

Kiel. E. Pfleiderer.

Anhuth, Rob. Otto, Das wahnsinnige Bewusstsein und die

%y

unbewusste Vorstellung. Ein dv- ryAoyr/öVderHartmann-

fchen Philofophie. Halle 1877, Fricke. (VII, 169 S.
gr. 8.) M. 3. -

Wenn wir das griechifche Buchftabenräthfel im Titel
diefes Buches analyfiren, fo bekommen' wir wohl fürs
Erfte fo beiläufig eine ,Anthologie'. Und das ift die
Schrift in der That, wenigftens fofern fie in buntem Zug
eine Schaar von philofophifchen Zeugen und Citaten,
von Laotfe bis Lasker, an unferem fchwindelnden Auge
vorüberfchwirren läfst. Die Pointe diefer Vorführung einer
wirklich ftaunenswerthen Belefenheit ift aber fürs Zweite
ein beinahe ausnahmslofes Abfprechen und Widerfpre-
chen tävTiloyixm'l) gegen alle profane Philofophie, insbesondere
gegen die ,Philofophie des Unbewufsten', indem
der Verf. diefelbe als das confequente letzte Wort
der alten und neuen Weltweisheit, fpcciell als das jüngfte
enfant terrible des Kant'fchen Geiftes betrachtet. Von
allem Andern abgefehen foll ihre centrale Lehre von
der unbewufsten Vorftellung und namentlich die allerdings
bedenkliche Anficht von der blofs phänomenalen
Natur des perfönlich punktuellen Individuums ,Ich' den
puren Wahnfinn des philofophifchen Bewufstfeins verrathen
und endlich einmal ad oculos demonftriren, was Luther
längft gefagt habe: ,Die Vernunft ift eine tolle Närrin'.
Der einzig richtige philofophifche Standpunkt dagegen
foll enthalten fein in dem grofsen Werk eines verftor-
benen Berliner Gymnafialprofeffors Trahndorff: ,Philofo-
phifch-kritifche Berichtigung des Vernunftbegriffs', was
aber ,aus Mangel an einem Verleger noch immer ungedruckt
geblieben ift'. Soweit wir aus der Meinung des
Verf. überhaupt klug werden, würde es fich in dem genannten
Manufcript wefentlich um den Nachweis handeln
, ,dafs die wahre Vernunft in der fupematuralifti-
fchen Stellung unteres Bewufstfeins befteht', oder dafs
die völlige Nichtigkeit und Vergeblichkeit aller bisherigen
Philofophie eben von ihrer Profanität und Natürlichkeit,
ihrem ausfchliefslichen Charakter als Weltweisheit
flamme. In diefer autonomen und autarkifchen Verweltlichung
fei fie deswegen auch Eines Geiftes Kind mit der
romifchen Hierarchie, die ihr nur aus Rivalität conträr
fei, wie in der falfchen Vernunft nicht minder die
geiftige Mutter der focialen FYage gefehen werden müffe.
Mit Fhnem Wort alfo, der böfe Geift der Menfchheit und
ihrer Gefchichte, der verrückte und berückende Dämon