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Ausgabe:

1878 Nr. 3

Spalte:

62-63

Autor/Hrsg.:

Schmidt, K.

Titel/Untertitel:

Wittenberg unter Kurfürst Friedrich dem Weisen. Ein Vortrag, in erweiterter Gestalt hrsg 1878

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 3.

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gleich geblieben ift. Der vierte (S. 145—180) und fünfte
AbfchnittfS. 181—302)geben hauptfächlicheine Darftellung
des Verhaltens Ailli's auf den beiden reformatorifchen
Concilien von Pifa und Conftanz. Gröfstentheils dem
Umftande, dafs die beiden Concilien von Schwab in
feinem oftgenannten Werk über Gerfon und von Hefele I
in der Conciliengefchichte eingehend behandelt, dafs i
aufserdem das Conftanzer Concil in einer Reihe trefflicher
Arbeiten, wie die von Hübler, Lenz etc. bereits Gegen-
ftand der forgfältigften Unterfuchung gewefen ift, mufs
es zugefchrieben werden, dafs in einzelnen Partien diefer
Abfchnitte der Ertrag an neuen Rcfultaten ein geringer 1
ift. Der Verfaffer hat fein Möglichftes gethan, um auch
hier unfere Kenntnifs durch Herbeiziehung ungedruckten
Materials zu erweitern. Befonders werthvoll ift die von
T. zum erften Mal benutzte und im Appendix abgedruckte
Schrift Ailli's: Apologia Concilii Pisani. Der
Widerfpruch des Verf.'s gegen die gangbare Annahme,
dafs Ailli der Führer der Reformpartei in Pifa und überhaupt
eine der einflufsreichften Perfönlichkciten auf
diefem Concil gewefen, ift fchon früher von Schwab
(S. 231) erhoben worden. Was das Verhalten Ailli's
zu dem Concil von Conftanz anlangt, fo ift die Einficht
in dasfelbe wefentlich durch die Unterfuchung gefördert
worden, der T. die Frage nach der principiellen Stellung
des Cardinais zu der Kirchenreform unterzieht. Während
bisher Ailli in den erften Jahren feiner Concilsthätigkeit
zu Conftanz als der Führer einer ultraliberalen Kirchenreform
-Partei angefehen wurde, der plötzlich im dritten
Jahre des Concils fich felbft untreu geworden, eine
Schwenkung in das von ihm befehdete, päpftliche Lager
gemacht und nun die von ihm bisher befürwortete Reformation
an Haupt und Gliedern dadurch völlig vereitelt
habe, dafs er jetzt der Wahl eines neuen Papftes I
noch vor Abftellung der grofsen Kirchenfchäden das
Wort geredet, fo weift T. nach, dafs Ailli principiell
feine Stellung zur Kirchenreform auf dem Concil nicht
geändert, dafs er fchon im Dec. 1414 in einer Rede den
Satz aufgeftellt, der ftets während der Verhandlungen
fein Programm geblieben: ,Keine wahre Union (Aufhebung
des beftehenden Schismas durch Einigung unter einem
allgemein anerkannten Papft) ohne Reformation, keine j
wahre Reformation ohne Union', und dafs er diefer
Thefc auch treu blieb, als er fich direct gegen die !
Inangriffnahme der Reformation vor der Wahl eines 1
neuen Papftes erklärte und dem reformirenden, papft-
lofen Concil feine Sympathieen verfagte (S. 216,
S. 286 ff., S. 344 etc.); dafs nun Ailli, ohne feinen principiellen
Standpunkt aufzugeben, doch mit der Zeit zu
der Mehrheit des Concils in üppofition trat, erklärt T.
zunächft daraus, dafs jener gegen den Abftimmungsmodus
nach Nationen, der von der Majorität aeeeptirt wurde,
Ivinfprache erhob, weil durch ihn ,ein dem kirchlichen 1
Geifte fremdes Princip in die Gefchäftsordnung des !
Concils eingeführt' werde (S. 208, S. 210). Diefer Ge-
genfatz — urtheilt T. mit Recht — wurde dadurch noch
verfchärft, dafs Ailli als Cardinal, nachdem der Papft
Johann aus Conftanz geflohen war, den Einflufs des
heiligen Collegiums auf den Gang der Verhandlungen
zu fichern fuchte, damit aber nicht den Dank der
Majorität erntete, welche die Cardinäle von allen Berathungen
ausfchliefsen wollte (S. 214 f. S. 217 f. etc.).
Schliefslich mag auch die patriotifchc Theilnahme für
die Gefchicke feines durch England damals fo fchwer
gefchädigten Heimathlandes den feinem Königshaufe 1
völlig ergebenen Ailli von den englifchen und den mit
dielen verbündeten deutfehen Concilsvätern innerlich
immer mehr getrennt haben (S. 251 ff., S. 279 ff.). Leider !
mufs es fich Ref. verfagen, auf weitere Einzelheiten des
fünften Abfchnitts einzugehen; der 6. Abfchnitt (S. 303—
335) enthält den fchon oben befprochenen Verfuch,
Ailli's Theologie auf einigen wenigen Seiten zu abfol- I
viren. Intcreffant ift was der Verf. (S. 333) über Ailli's

geographifche Arbeit amago mitndi' mittheilt, die fpäter
den Columbus in feinem Plan ,einen weltlichen Seeweg
nach Indien zu fuchen' beftärkte. Der 7. Abfchnitt
(S. 336—347) liefert eine .Schlufscharakteriftik' Ailli's,
welche die einzelnen an verfchiedenen Stellen des Buches
zerftreuten Züge zu einem Gefammtbilde vereinigt, in
dem Licht und Schatten in einer Weife vertheilt find,
wie es die Objectivität von dem Hiftoriker verlangt. Bei
feiner Beurtheilung Ailli's geht der Verf. richtig von dem
philofophifchen Nominalismus desfelben als dem tieflie-
gendften Plrklärungsgrund des gefammten littlichen Verhaltens
aus. Auf den Nominalismus, auf die aus demfelben
refultirende Principlofigkeit der Ethik führt T. ,die Ge-
fehmeidigkeit des Charakters' zurück, die es dem
Ailli fo leicht machte, fich in die fchwierigften Stellungen
hineinzufinden. Die Halbheit in Ailli's kirchen-
reformatorifchem Standpunkt, fein beim Annatenftreit
zu Conftanz und fchon früher in einer ftark betriebenen
Pfründenjagd hervortretender Eigennutz werden in ein
gebührendes Licht geftellt. Am Schlufs unferes Buches findet
fich ein treffliches Verzeichnifs aller Schriften Ailli's, ihm
folgen dann noch 8 Beilagen (S. 367—378), in welchen
der Verf. auf folche Punkte näher eingeht, deren Be-
fprechung zuviel Raum für eine Anmerkung unter dem
Text gefordert hätte, und ein Appendix giebt uns auf
53 Seiten den Abdruck von 15 gröfseren und kleineren
bisher unedirten Schriften Ailli's, die den Werth des
Buches noch um vieles erhöhen.

Strafsburg. R. Zoepffel.

Kirchengeschichtliche Vorträge.

1. Schmidt, Privatdoc. Lic. K., Wittenberg unter Kurfürst
Friedrich dem Weisen. Ein Vortrag, in erweiterter
Geftalt hrsg. Erlangen 1877, Deichert. (62 S. gr. 8.)
M. 1. —

Eine nach Inhalt und Form tüchtige Arbeit, die bisher
gründlichfte und treffendfte Schilderung der fäch-
fifchen Univerfität in ihren zwei erften Jahrzehnten.
Wittenbergs urfprünglicher, mit der Gründung ihm aufgeprägter
Charakter; der grundfätzliche Widerfpruch
Luthcr's hiergegen und die von ihm mit Beihülfe Melan-
thon's erftrebte Umgeftaltung der Studien; die Ueber-
treibung der anfänglich einfeitigen Beftrebungen der
Reformatoren durch Karlftadt und der dadurch veran-
lafste Verfall der Hochfchule; die Wiederherftellung der-
felben durch Luther und Melanthon, — das find die
4 Bilder, die mit lebendigen Farben gemalt dem Lefer
vorgeführt werden. Den Ernft des Studiums, das der
Verf. auf diefe Skizze verwendet hat, bekunden die am
Schluffe beigefügten literarifchen Nachweife.

2. Thiersch, Ileinr. W.J., Melanchthon. Ein Vortrag. Augsburg
1877, Preyfs. (VI, 36 S. gr. 8.) M. — 60.

Wie alle von Thierfch fchon gezeichneten Charakterbilder
fo ift auch dies ein fehr fein gearbeitetes. Dafs
die Sprache eine fchöne und edle ift, braucht bei diefem
Schriftfteller nicht erft erwähnt zu werden. — Natürlich
erzählt die ,Gedächtnifsrede' nicht das ganze reiche Leben
M.'s, fondern hebt nur einige Hauptfachen hervor,
nämlich: feinen Bildungsgang bis zum Auftreten als
Reformator—, feine gröfste Leiftung: die augsburgifchc
Confeffion —, feinen Charakter —, die Bekümmernifse
feiner letzten Lebensjahre. Der Redner will ,etwas zur
richtigen Würdigung M.'s und feiner Lehre beitragen'.
Aber indem er diefe ihm befonders congeniale Perfön-
lichkeit fchildert, ift es ihm begegnet, dafs er diefelbe
ftellenweife etwas idealifirt, ftellenweife die Verhältnifse
und die Perfonen, mit denen M. zu thun hatte, nicht
ganz richtig auffafst und daher in eine fchiefe Beurtheilung
hineingeräth. Man wird kaum fagen können,