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Ausgabe:

1878

Spalte:

637-638

Autor/Hrsg.:

Schill, Andr.

Titel/Untertitel:

Die Constitution Unigenitus, ihre Veranlassung und ihre Folgen. Ein Beitrag zu der Geschichte des Jansenismus 1878

Rezensent:

Dibelius, Franz

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Seite 1

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Thcologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 26.

638

herein abgefchnitten und was die Methode betrifft, fo
darf die hier befolgte zum Mufter dienen. In allen
diefen Beziehungen fleht Ref. nicht an, die vorliegende
Arbeit als eine der dankenswertheften Leiftungen auf
dem Gebiete der alten Kirchengefchichte zu bezeichnen;
fie ift es nicht zum geringften Theile auch deshalb, weil
Anfchauungen, zu denen von verfchicdenen Punkten aus
eine Reihe von Gelehrten in den letzten Decennien im
Gegenfatze zur Baur'fchen Gefchichtsbetrachtung gelangt
find, hier an dem Chriftenthum einer der hervor-
ragendften Perfönlichkeiten des 2. Jahrh.'s umfaffend er-

Jefuitismus identifch ift mit dem Kampf gegen Altar
und Thron, fo werden Wenige die Hoffnung noch feft-
halten, dafs diefes Werk im Dienfte wahrer Wiffenfchaft
gefchrieben und deren Zwecke zu fördern geeignet fei.
Es wird in der That auch nicht einmal der ernftlich'c
Verfuch gemacht, die Plaretiker zu widerlegen; gegen
deren Behauptung, in Janfcn werde kein Geringerer als
Auguftin vom päpftlichen Bannftrahl getroffen, und gegen
deren bekannte Unterfcheidung von droit und fait werden
keine andern Gefchütze aufgeführt als päpftliche Bullen.
Wollte aber, der Verf. fich damit vertheidigen, es fei

probt find. nicht die Tendenz des Buches, die janfeniftifche Lehre

Noch hebe ich aus dem 1. und 2. Theile die Dar- ; im Einzelnen zu prüfen, er habe nur aus den Urkunden
ftellung und Beurtheilung der Logoslehre und der Lehre , gefammeltes hiftorifches Material über den Streit dar-
vom ,anderen Gott' (S. 101 f. 107 f. 122. 125. 283 f.) als j bieten wollen, fo ladet er den viel fchwereren Vorwurf
befonders werthvoll hervor, da es hier galt, alten Vor- auf fich, dafs feine hiftorifche Darfteilung mit Hohn und
theilen entgegenzutreten; nur fcheint mir die Ausführ- [ Spott gegen die Janfeniften getränkt ift, fo dafs z. B.

ur

ung S. 470 mit den fonft gegebenen nicht recht zu ftim- j die literarifche Erneuerung ihrer Streitfache mit der Be

inen. Der Nachweis im 3. Theile, dafs Juftin bereits
eine einheitliche heidenchriftliche Grofskirche vorausfetzt
und nichts weifs von paulinifchen und urapoftolifchen
Parteien in derfelben, fcheint mir ficher geführt. Die
fchwierige Frage nach dem Verhältnifs des Juftin zu Paulus
wird umfichtig behandelt (S. 352 f.); aber gelöft hat
der Verf. das Räthfel auch noch nicht, woher es gekommen
, dafs die Heidenkirche die Anfprüche, die Paulus
erhoben, überhört hat. Aus der orientirenden gefchicht-
lichen Einleitung ift der Abfchnitt über Neander (S. 34
—40; befonders lehrreich. Neander fcheint die verhängnifs-
volle Terminologie eingeführt zu haben, kraft welcher alles,

merkung angeführt wird, wozu denn das Aufwärmen des
alten Kohls etc., und die nicht minder fchwere Anklage,
dafs er, der fonft fehr en detail den Gang der Sache
verfolgt, plötzlich weniger genau zu Werke geht und
eine Lücke läfst, wenn er an eine verfängliche Stelle
kommt. Woher denn fonft die Eile auf Seite 24? Hat
nicht zwiichen Clemens IX und Innocenz XII ein Papft
Innocenz XI die cathedra Petri inne gehabt, von dem
man fagt, er habe freundlichere Gefinnungen gegen die
Janfeniften gehegt? Man könnte leicht auf den Gedanken
kommen, es habe ein jefuitenfreundlicher und dem
Papft ganz untergebener Autor von heute in der Dar-

was fich an ,Gefetzlichem' in der altkatholifchen Kirche ftellung einer Zeit, da ein entfchiedener Jefuitenfeind auf
findet, unter dem Titel des Jüdifchen' untergebracht : dem Throne gefeffen, den Grundfatz befolgt, zu verwird
. Nach ihm erzeugten lieh jüdifche Elemente inner- j fchweigen, was ihm nicht in den Kram pafst. Dafs man
halb des Heidenchriftenthums ,von innen heraus', alfo ! nach folchen Erfahrungen auch die Mittheilungen über
fpontan. Er kam mithin Baur auf halbem Wege ent- i unbekanntere Dinge aus jener Zeit nicht gerade mit
gegen, nur dafs Baur ftatt der Unklarheit eine verftän- 1 Vertrauen aufnimmt, und dafs wiederum dadurch der
dige Hypothefe fetzte. Was Wunder, dafs die in den j Werth des Buches auf ein Minimum reducirt wird, ift
Spuren Neander's wandelnden Hiftoriker Jenem nichts
Stichhaltiges entgegenzufetzen wufsten; denn fie Händen
mit einem Pufse felbft auf feinem Boden. Das Ur
theil über Mosheim (S. 18 Anm.) ift fchwerlich richtig.
De reb. Christ, ante Constant. p. 315 theilt Mosheim
Beobachtungen mit, als deren Urheber v. Engelhardt
erft Semler namhaft macht. Doch ich breche hier ab
— über eine Reihe von Einzelheiten in die Debatte zu
treten, war nicht der Zweck der Anzeige. Sie follte
auf die Förderung aufmerkfam machen, welche der dog-
menhiftorifchen Forfchung aus diefer Arbeit geworden
ift und hoffentlich noch wird.

Leipzig. Adolf Harnack.

felbftverftändlich.

Dresden. Dr. Dibelius.

Schill. Dr. Andr., Die Constitution Unigenitus, ihre Ver-
anlaffung und ihre Folgen. Ein Beitrag zu der Ge-
fchichte des Janfenismus. Nach den Quellen darge-
ftellt. Freiburg i/Br. 1876, Herder. (VIII, 336 S.
gr. 8.) M. 3. -

Hinter dem befcheidenen Titel verbirgt fich eine
ziemlich vollftändige Gefchichte des Janfenismus, die
nach gründlichem Quellenftudium und unter anerkennens-

werther Benutzung aller einfchlagenden theologifchen I träge. Wichmannsburg, urfprünglich die Burg, welche

Kayser, Paft. K., Chronik des im hannoverschen Amte
Medingen belegenen Kirchspiels Wichmannsburg, nebft
einer (chromolith.) Karte des Kirchfpiels und einem
(lith.) Plane der alten Burg Wichmann Billungs, fowie
angehängten Quellennachweifungen und Bemerkungen.
Hannover 1878, Meyer. (VII, 124 S. 4.) M. 4. —

Line fleifsige und intereffante Arbeit, welche in einem
kleinen Rahmen ein Bild der Veränderungen im kirchlichen
und focialen Leben während faft eines Jahrtaufends
zeichnet und gerade dadurch, dafs die Zuftände und Begebenheiten
in einer einzelnen Gemeinde, foviel als
möglich war, allfeitig gefchildert werden, auch zum Ver-
fländnifse der gröfseren und allgemeineren Verhältnifse
zunächft im nordweftlichen Deutfchland einen werthvollen
Beitrag giebt. Manche Schilderung ift wie ein cultur-
gefchichtlich.es Miniaturbild; namentlich auch für die
Entwicklungsgefchichte der kirchlichen Verhältnifse auf
dem Lande nach der Reformation liefert diefe Chronik
aus unzweifelhaft glaubwürdigen Quellen lehrreiche Bei-

und juriftifchen Schriften verfafst ift. Leider aber hat
den Autor feine Zugehörigkeit zur katholifchen Kirche
gehindert, objectiver Gefchichte zu fludiren und unbefangener
die Quellen zu benutzen. Solchem Ausdruck
des Bedauerns werden fich die meiften Lefer bereits an-

fich Wichmann, einer der Söhne des mit Kaifer Otto
befreundeten Grafen Billung, auf einer Infel der Ilmenau
gründete, dann ein Kirchdorf, zu deffen Kirchfpiel mehrere
der umliegenden Ortfchaften gehören, liegt etwa zwei
Meilen füdfüdöftlich von Lüneburg, ganz nahe bei dem

ichliefsen, fobald fie nur von dem erften Sätz des Buches ' jetzt als Eifenbahnftation bekannteren Bienenbüttel. Der
Kenntnifs genommen haben, der von vorneherein über i Verfaffer diefer Chronik hat fechs Jahre als Paftor in
den Proteftantismus den Stab bricht und mit nicht zu ; Wichmannsburg geftanden; bei feinem Abfchiede von der
verkennender Freude demfelben zerfetzende Kraft vin- I Gemeinde hat er ihr, wie es im Vorworte heifst, diefe
dicirt. Und merkt man vollends aus des Buches letztem ' Chronik überreicht. ,Was in ftillen Winterabenden', fo
Satz (S. 300 , dafs dem Verf. die Feindfchalt wider den | fagt er, ,nach und nach aus alten und neuen Schriften