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Ausgabe:

1878

Spalte:

615

Autor/Hrsg.:

Niemann, Karl

Titel/Untertitel:

Ueber falsche und wahre Volksbildung. Vortrag 1878

Rezensent:

Wetzel, Paul

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 25.

616

IL Bd. 3. Heft.] Frankfurt a'M. 1877. Heilbronn, Hen
ninger. (37 S. gr. 8.) M. 1

Niemann, ConfiftorialrathKarl, Ueber falsche und wahre

Frick, Gymnafialdir. Dr. Otto, Das Wesen der wahren an Bildern und die Feinheit der Diction — die franzö-
Rildung. [Zeitfragen des chriftlichen Volkslebens, j flfche Sprache hat fich feitdem wohl verändert, aber

kaum verbeffert — noch immer bemerkenswerth bei
jenen Kirchenfürften, welche Bungener illuftrirte. Aber
es ift das Chriftenthum in der grofsen Toilette der be-
wufsten Herrlichkeit der römifchen Kirche und eines
Volksbildung. Vortrag, gehalten im Vereinshaufe zu 1 katholifchen ebenfo üppigen wie bigotten königlichen

Bielefeld. Bielefeld 1877, Velhagen & Klafing. (32 S. | rIoes:f ,Gan,z an^,.rsJ ift die katholifche Kanzelberedt-

famkeit bei dem Wiedererwachen des kirchlichen Lebens
in unferem Jahrhundert. Wiedererobernd ift die Sprache
und fie richtet fich mehr an das Volk. Doch nur in
Lacordaire fühlten wir den Pulsfchlag warmer religiöfer
Begeifterung und den Flügelfchlag der Poefie. Schon
bei feinem Nachfolger, dem Dominikaner Pere FeTrx
finkt die Sache zum Handwerk herab und das leidige Ziel
aller wohlgefchulten Reden, die wir von ihm in der von
ca. 8000 Hörern gefüllten Notre-Dame vernahmen, war
die Mahnung — beichten zu gehen! Weit erfreulicher,
reicher, edler entwickelte fich die Predigt in der refor-
mirten Kirche Frankreichs, welche bei allem ihrem Jammer
und Elend den Vorzug hat, eine ganze Reihe der
trefflichften Prediger aufweifen zu können. Unter diefen
nimmt Dhombres einen ehrenvollen Platz ein. Schon
vor 10 Jahren hat er eine Reihe von Predigten und
Homilien herausgegeben. Seine während der Belagerung
in Paris gehaltenen Predigten hat er unter dem Titel:
Foi et patrie gefammelt für uns wohl intereffant, doch
weniger erbaulich und am wenigften dem deutfchen 11 erzen
fympathifch. Nun liegt eine eben erft erfchienene
neue Reihe von Predigten und Homilien vor uns. Frei
von jenem Schematismus und Dogmatismus, welcher der
deutfchen Predigt vielfach anklebt, find diefe Reden aus
der heiligen Schrift fchöpfend, in die Falten des Herzens
eindringend und auf das Leben zielend. Es ift
nicht der Adlerflug eines Adolf Monod ;dafür ift die
Gedankenbildung auch weniger fchwerfällig, die Entwicklung
nicht fo langathmig und Alles Jedem naher
flehend. Wir wünfchten nicht, dafs diefe Predigten überfetzt
— Ueberfetzungen find Kaufleute, welche die Waare

8.) M. — 40.

Die beiden hier zufammengeftelltenSchriften fchliefsen
fich an die von uns früher in diefen Blättern (1877, Nr. 8)
befprochenen von Weifs und Weitbrecht an, ohne jedoch
einen Fortfehritt über diefelben hinaus zu bezeichnen.

Frick definirt nach einer weit ausholenden, ziemlich
abftracten Entwickelung die Bildung als ,Verklärung der
menfehlichen Perfönlichkeit zur Harmonie des inneren
Lebens mit der Welt in fich, um fich und über fich
hinein in die Wahrheit des ewigen Lebens'. Er giebt
die Grundlinien einer wiffenfehaftlich vermittelten, chriftlichen
Lebensanfchauung, geiftvolle Andeutungen zur
Beurtheilung der allgemeinen Bildungsgefchichte und
treffende Bemerkungen über die Gefahr einer oberflächlichen
Halbbildung. Sein Bildungsideal ift die Verklärung
der menfehlichen Perfönlichkeit hinein in das Bild
Chrifti. Und er macht dies mit idealem Schwung und
chriftlichem Ernfte geltend. Aber die verfchiedenen
Bildungsziele und Bildungsmittel zu würdigen, das Berechtigte
in dem allgemeinen Bildungsftreben unter feinem
höheren Gefichtspunkt zufammenzufaffen, macht
er kaum einen Verfuch. So kann fein Schriftchen auch
kaum als ein Beitrag zur Verftändigung über das Wefen
der wahren Bildung gelten und als Befprechung einer
Zeitfrage des chriftlichen Volkslebens ift es überdies zu
wenig populär und zu aphoriftifch gefchrieben.

Der Vortrag von Niemann ift eine mit einer Fülle
von Citaten aus Peftalozzi, Herder, Schopenhauer, Fichte
und vielen Anderen gefchmückte Durchführung des Einen
Gedankens, dafs in der Gegenwart die Bildung einfeitig
als intellectuelle oder äfthetifche gefafst wird, während
die wahre Bildung die des Willens und Charakters fei und
darum nur auf der Grundlage des pofitiven Chriftenthums
beliehen und gepflegt werden könne. Wie aber die
wahre Volksbildung in concreto gepflegt werden foll,
welcher, fei es auch nur relativer Werth der intellectuel-
len und äfthetifchen Bildung zuzuerkennen fei, darüber
giebt der Verfaffer keinen Auffchlufs. Ueber ein allgemeines
kritifches Raifonnement kommt er im Wefent-
lichen nicht hinaus.

Taucha. Diac. Dr. Wetzel.

Dhombres, Emest, Pasteur, Sermons et Homelies. Paris
1878, Grassart. (317 S. 8.)

Während die elegante Welt ihre Mufter in Frankreich
fucht, glaubt der deutfehe Theologe dort für fich
nicht viel finden zu können. Mit gewiffem Recht; denn
Deutfchland ift der Heerd der Theologie für die evang.

Chriftenheit. Auch werden wohl die franz. Studenten I im Kampfe für das Recht gegen rohe Gewalt geftorben

niemals ganz echt übermitteln —, londern dafs fie ge-
lefen würden. Die Predigt Rickesse et pauvrete (vom
reichen Mann und dem armen Lazarus) gewinnt an In-
tereffe, wenn wir bedenken, dafs fie in einer Stadt gehalten
ift, wo der Gegenfatz von Arm und Reich grenzenlos
ift, und in einer Zeit, wo die Commune noch in
frifchem fchauerlichen Andenken ftand. Ergreifend ift
in ,Saul et David1 die Darfteilung der traurigen That-
fache, dafs alles Unglück Frankreich nur den Seufzer
je souffre', nicht aber das Geftändnifs j'ai peche' entlockt
habe, und dafs das franzöfifche Volk, wenn ja ein leifes
Gefühl von Schuld und ein Bedürfnifs nach Verhöhnung
fich geltend mache, nichts finde als — den Bcichtftuhl!
Dafs übrigens mein Freund und lieber einftiger College
an derfelben Gemeinde in Paris felbft auch zu der Er-
kenntnifs einer nationalen Schuld noch nicht durchgedrungen
ift, ficht man mit Bedauern daraus, dafs er in
der Ofterpredigt über die chriftliche Unfterblichkeit von
feinen im Kriege gefallenen Landsleuten fagt, fie feien

der Theologie fich bald wieder veranlafst fehen, die gute
Sitte ihrer Väter zu befolgen und fich in Deutfchland
die folide Grundlage für ihren Beruf zu holen, wie das
feiner Zeit auch Monod, Grandpierre, Vallette, Meyer,
Preffenfe, Berfier gethan haben. In homiletifcher Beziehung
dürften wir deutfchen Prediger indefs wohl manches
Gute von unferen franzöfifchen Brüdern uns aneignen,
Klarheit der Gedanken, Präcifion des Ausdrucks und
Schönheit der Form in der Oekonomie und Architektur
des Ganzen. In diefer Hinficht glauben wir die Predigten
von Dhombres empfehlen zu können. — Die Zeiten
jener Kanzelberedtfamkeit, welche in Boffuet, Maffillon
Bourdaloue etc. ihren Glanzpunkt erreicht hat, find vorüber
. Zwar ift die Eleganz des Styls, der Reichthum

Der patriotifchen Befangenheit u.dem nationalen Schmerze
halten wir das freundfehaftlich zu Gute und begrüfsen
die fremde Gabe, die der Verf. darreicht, als ein Unterpfand
evangelifcher Gemeinfchaft mit Freude und Dank.
Erftaunt waren wir über die Kühnheit, Texte zu wählen,
über welche Ad. Monod gepredigt hat, und diefelben vor
einer Gemeinde zu behandeln, welche zum Theil jenen
unvergefslichenGottesmann gehört hat, von dem feinAmts-
nachfolger Grandpierre bei feiner Einführung mit gutem
Grunde fagte: ,Qnoiquemori— üparleencore!' Doch zeigt
fich Dhombres nach feiner befonderen Art der Auffaffung
und Darfteilung dazu berechtigt. — Die Veranlaffung zu
der Predigt über die Pflicht des evangelifchen Zeugnifses
ift erwähnenswerth; fie wurde gehalten bei der Einweihung