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Ausgabe:

1878 Nr. 2

Spalte:

40-41

Autor/Hrsg.:

Hunnius, Frommhold

Titel/Untertitel:

Die ev.-luth. Kirche Russlands 1878

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 2.

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des 15. und 16. Jahrhunderts. Kein Kulturhiftoriker, der
über jene Zeit arbeitet, wird diefen Bericht unbeachtet
laffen dürfen. Die zweite Hälfte der Biographie ift von
viel geringerer Bedeutung; ja man kann es Niemandem
verargen, wenn er fich bei ihr langweilt. P. erzählt darin
vorwiegend von feinem fchriftftellerifchen Treiben.
Man empfängt genaueften Bericht von dem unermüdlichen
Fleifse, aber auch der unübertrefflichen Schreib-
feligkeit des alternden Gelehrten; er felbft malt förmlich die
kaum glaubliche Leiftungsfähigkeit feiner eilfertigen Feder;
vgl. z. B. S. 120 ff. Ünfere Kenntnifs der Zeit erfährt
auch im Einzelnen durch jene zweite Hälfte keine nen-
nenswerthe Bereicherung. Dennoch ift der erflen Hälfte
wegen die Veröffentlichung diefer Selbftbiographie, durchaus
berechtigt gewefen. Aber ob auch diefe Art der
Veröffentlichung? Der Herausgeber fagt, die Schriftzüge
der auf der Züricher Stadtbibliothek befindlichen Hand-
fchrift feien nicht gerade fehr deutlich. Da konnte es
ja leicht kommen — und dies begründet keinen Vorwurf
—, dafs er beim Entziffern fleh hie und da irrte;
wenigftens gewinnt man an einigen Stellen des Textes
diefen Eindruck. Sehr erfichtlich aber ifl, dafs der Abdruck
mit grofser Flüchtigkeit veranftaltct ward; das
Druckfehlervcrzeichnifs am Schlufs liefse fich leicht um
das Vierfache vermehren. Ebenfo fchlimm fleht es mit
der Interpunction. Der Herausgeber that ganz recht,
wenn er die des Originals nicht beibehielt, — man weifs
ja, wie es im Allgemeinen damals hierin ftand —, fondern
,fich entfchlofs, in das Labyrinth der Satzzeichen einige
Ordnung zu bringen'. Er hätte dies dann aber auch
wirklich durchführen und nicht fo heillofe Unordnung
flehen laffen follen. Ferner: die Anmerkungen find ohne
alles Princip beigefügt. Gar manche find ganz über-
flüffig; Oenus mit ,Inn' und Paralipomena mit ,Chronika'
als Note zu erklären, war doch wahrlich unnöthig; vieles
andere dagegen, was der Erklärung bedurft hätte, ift
damit nicht bedacht worden. Und ähnlich fleht es endlich
mit der Einleitung. Sie enthält: A. Literarifches;
nämlich 1. die Handfchrift und ihre gegenwärtige Veröffentlichung
; 2. Bisherige Biographieen Pellikan's und
Benutzungen feines Chronikons. B. Biographifches;
nämlich r. Der Hebraift; 2. Der Reformator; 3. Die
Commentare; 4. Die theologifchen Streitigkeiten; 5. Zur
Charakteriftik des Chronikons und des Chroniften.

Man fleht in der That nicht ein, was B. 1—4 in
einer Ausgabe diefer Selbftbiographie foll, zumal der
Herausgeber ausdrücklich bemerkt, eine eigentliche Lebensbeschreibung
Pellikan's behalte er fich noch vor. Was
er in diefen einleitenden Abfchnitten bietet, ift weder in fich
gefchloffen noch abfchliefsend, fondern trägt den Charakter
mehr zufälliger Bemerkungen, und zeigt nur, dafs
der Herausgeber für eine wirklich befriedigende Biographie
Pellikan's, den er übrigens offenbar überfchätzt,
noch nicht fertig ift. Er hat felbft vorausgefehen, dafs
man an feiner Arbeit mäkeln werde, meint jedoch, ,man
werde fo billig fein, die Fehler damit zu entfchuldigen,
dafs das Vorliegende als Gelegenheitsfchrift zu beftimm-
tem Termin fertig geftellt werden mufste'. Ob folche
,Billigkeit' hier am Platze wäre? Warum denn ,mufste'?
Der Glanz des Tübinger Jubiläums würde nicht gelitten
haben durch das Fehlen diefer Feftfchrift, der Wiffen-
fchaft aber wäre durch verzögerte und reifere Veröffentlichung
der Chronik Pellikan's mehr gedient worden.

Erlangen. G. Plitt.

Bauer, Bruno, Einfluss des englischen Quäkerthums auf
die deutsche Cultur und auf das englisch-russische Project
einer Weltkirche. Berlin 1878, Groffer. (IV, 236 S.
gr. 8.) M. 4. 50.

Vorliegende Schrift könnte man nach dem Ausdruck
der Concordienformel (,Enthuhaften heifsen, die ohne
Predigt Gottes Worts auf himmlifche Erleuchtung des

| Geiftes warten') als eine Gefchichte des neueren En-
thufiasmus in feiner kirchenpolitifchen Bedeutung bezeichnen
. Der Verf. geht von der bekannten Thatfache

! aus, dafs es in England eine fehr ftarke kirchenpolitifche
Partei gebe, die auf Einigung der anglikanifchen und
der griechifch-ruffifchen Kirche hinarbeite. Den Anfang
diefer Beftrebungen, die eine Weltkirche zum Ziele hätten,
findet er im Quäkerthum, welches zuerft die auf Gleichgültigkeit
gegen kirchliches Bekenntnifs und confeffionelle
Unterfchiede beruhende Toleranz und die dadurch zu

| erreichende religiöfe Einigung gepredigt habe. Er beginnt
mit dem Zufammcntreffen William Penn's mit Peter
dem Grofsen, der dem Gedanken des Quäkers volle
Zuftimmung gefchenkt habe, und fchildert dann den
Siegeszug des Subjectivismus, der von der göttlichen
Offenbarung und ihrer Urkunde, der Bibel, fich immer
entfehiedener losfagte, von England über Amerika durch
das feftländifche Europa, einen Siegeszug, der den Tod
der lutherifchen Kirche herbeiführte und eine Weltkirche
zum Ziele hatte. Um erftere ihm feftftehcnde Annahme
als eine gefchichtlich nothwendige zu begründen, redet
er flüchtig und in einem recht fchwachen Abfchnitt von
dem Todeskeim der luth. Kirche; die Hauptkraft verwendet
er auf die eben erwähnte Schilderung. Die
wichtigften Stadien diefer Bewegung bilden ihm der Pietismus
, Jon. Chrift. Edelmann, Zinzendorf, den er befonders
in der Periode feiner geiftlichen Ausfchweifungen bis
zur Büdingcr Kataftrophe fchildcct, Semler, Frau von
Krüdener und Alexander I., der fog. ,Pentarchift' Goldmann
. Damit ift er zu den die neuefte Zeit behandelnden
Abfchnitten gekommen, die er überfchreibt: ,eine eng-
lifch-ruffifche Weltkirche; Rufsland auf den Altkatholiken-
Congreffen; Rufsland und die kirchliche Univerfal-Union;
Ende des Unions-Abenteuers; Rufslands jetzige Stellung
und Losfagung von den Pennfchen Grundfätzen'. Rufsland
habe nämlich jetzt die Toleranz aufgegeben und
verlange die Herrfchaft der griechifchen Kirche und
unbedingten Anfchlufs an fie. — Diefe ganze Schilderung
des Verf.'s bekundet eine ungemeine Belefcnheit in der
betreffenden Literatur, auch fernabliegendc und fonft
kaum noch bekannte Schriften find von ihm herbeigezogen
worden. So fleht ihm eine Menge von Einzelheiten
zur treffenden Zeichnung von Perfonen und Zeiten
zu Gebote, die feine Arbeit auch für den, der fonft den
befprochenen Gegenftand kennt, werthvoll macht. Auch
geben nicht wenige der von ihm ausgefprochenen Ur-
theile allen Anlafs zu neuer reiflicher Erwägung; man
beachte z. B., was er S. 163 ff. über die neuere deutfehe
Biographieenliteratur fagt. Das Ganze ift in ruhigem Tone
mit dem Gefühle grofser Sicherheit gefchrieben. Auffällig
find eine Anzahl ftiliftifchcr Unebenheiten.

Erlangen. G. Plitt.

Hu n nius, Paft. Frommhold, Die ev.-luth. Kirche Russlands.

Leipzig 1877, J. Naumann. (VI, 132 S. 8.) M. 1. 60.

Der Verf. macht den Verfuch, einen kurzen ge-
fchichtlichen und ftatiftifchen Ueberblick über die ev.-
luth. Kirche Rufslands zu geben. Sie zählt nach ihm
jetzt 4,024,035 Bekenner, ift alfo auch fchon durch ihre
Gröfse ein fehr beachtenswerther Zweig der lutherifchen
Gefammtkirchc, und doch wufste man felbft unter den
Genoffen desfelben Bekcnntnifses bisher fo wenig Zuver-
läffiges von ihr. Um fo dankbarer wird man diefen
Verfuch begrüfsen, zumal er auch gar nicht übel ausgefallen
ift. Nach der kurzen Einleitung wird der Stoff in
folgenden 8 Abfchnitten behandelt: Livlands Apoftel
Meinhart; Albert von Buxthöwdcn, der Gründer des
Kirchen- und Ordensftaats Livland Miefe Abfchnitte find
beigefügt, um den Charakter der luth. Kirche in den
Oftfeeprovinzen zu erklären); Einführung der Reformation
und Schwedens Einflufs; Herrnhuts Wirken in Liv- und
I Efthland; die deutfehen Kolonien im Innern Rufslands