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Ausgabe:

1878

Spalte:

609-611

Autor/Hrsg.:

Janssen, Johannes

Titel/Untertitel:

Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters. 1. Bd 1878

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

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6ö") Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 25. 610

fein fcheint, obwohl als deffen Todesjahr hier 1350,
dort 1286 angegeben wird, ferner S. 22 der Anfang des
Mon. I, 13 ff. abgedruckten Gedichtes Ifaaks von Antiochien
mit ziemlich vielen Varianten, die in Verbindung
mit andern Stellen zeigen, dafs die fyrifchen Kenntnifse
Moefinger's, der nach der Vorrede Bickell's aufser den
gewöhnlichen orientalifchen Sprachen auch die armenifche
und koptifche, itnmo vel i?iscriptiones cuneiformes perfecte
didicit, doch nicht ganz genügend waren. Ein nicht zu
unterfchätzendes Verdienft hat er fich darum doch um
die fyrifche und theologifche Literatur erworben und
es ift nur zu wünfchen, dafs fein und feiner Mitarbeiter
Vorgang in der römifchen Kirche mehr Nachahmung
finden möchte. In Rom liegt noch viel in fyrifchen
Handfchriften, was für Katholiken befonders wichtig,
auch für Proteftanten intereffant, deffen Veröffentlichung
daukenswerth wäre.

Tübingen. Dr. E. Neftle.

Janssen, Johannes, Geschichte des deutschen Volkes seit
dem Ausgang des Mittelalters. 1. Bd. Freiburg i/Br.

1878, Herder. (XVIII, 615 S. gr. 8.) M. 6. 60.

Die vorliegende Schrift machte bei ihrem Erfcheinen
viel Auffehen. Sogar in den Verhandlungen des deutfehen
Reichstags ward fie von einem Redner des Centrums
herbeigezogen als Beweis dafür, dafs auch der Ultramontanismus
grofse Hiftoriker habe. Nach dem Abfatz
der erften Hefte zu fchliefsen mufs das Buch in römifch-
katholifchen Kreifen für eine Art Evangelium gelten;
aber es giebt auch gar manche Proteftanten, die fich
von demfelben ziemlich haben beftechen laffen. Letzteres
erklärt fich wohl daraus, dafs der Verf. einen fehr
mannigfachen und vielfach intereffanten Stoff nicht ohne
Gefchick verarbeitet hat, fo dafs die Lefer eine Menge
Einzelheiten erfahren, die fie noch nicht wufsten, und
fich nun durch den gelehrten Verf. in ihren Kenntnifsen
angenehm bereichert fühlen. Er hat auch nicht verfäumt,
wie das manche Herren Schriftftellcr jetzt lieben, auf
etwa 16 Seiten all die Bücher, Abhandlungen und Auf-
fätzchen in alphabetifcher Reihenfolge aufzuführen, die
er benützt hat. Das macht doch hie und da Eindruck.
Das erftere begreift fich, wenn man erwägt, dafs das
ganze Buch in maximatn Rgmae gloriam gefchrieben ift.

Der Verf. fagt: ,Mein Bemühen ift, die gefchichtliche
Wahrheit, fo gut ich fie aus den Quellen erkennen kann,
darzulegen; von irgend einer anderen Tendenz fühle ich
mich frei'. Wer follte ihm das nicht glauben? Er
,fühlt lieh frei', weil er fo ganz und gar in der Tendenz,
nämlich in der ultramontanen Weltanfchauung fteckt,
dafs er nur dasjenige als Wahrheit erkennen kann, was
ihr entfpricht; er ift fo feft und ficher in ihr, dafs die
fonft fo mächtigen gefchichtlichen Thatfachen ihn nicht
zu beirren vermögen. Sie müffen fich fügen.

Der Verf. will die Gefchichte des deutfehen Volkes
vom Ausgange des Mittelalters an befchreiben und behandelt
im vorliegenden erften Bande die allgemeinen
Zuftände des deutfehen Volkes etwa von 1450—1517.
Es ift mehr Culturgefchichte als politifche Gefchichte,
was er hier giebt. Das erfte Buch handelt von Volksunterricht
und Wiffenfchaft: die Verbreitung des Bücherdrucks
, die niederen Schulen und die rcligiöfe Unter-
weifung des Volkes, die gelehrten Mittelfchulen und der
ältere deutfehe Humanismus, die Univerfitäten und andere
Culturftätten. Das zweite Buch befchreibt Kunft
und Volksleben: Baukunft, Bildnerei und Malerei, Holz-
fchnitt und Kupferftich, das Volksleben im Lichte der
bildenden Kunft, die Mufik, Poefie im Volke, Zeit- und
Sittengedichte, die Kunft der Profa und die weltliche
Volkslectüre. ' Im dritten Buch kommt die Volkswirth-
fchaft: das 'landwirthfehaftliche Arbeitsleben, das gewerbliche
Arbeitsleben , der Handel und die Capital-
wirthfehaft. Im vierten Buch endlich das Reich und

deffen Stellung nach aufsen: Verfaffung und Recht,
Einführung eines fremden Rechtes, auswärtige Verhält-
nifse und Reichseinigungsverfuche unter Maximilian I,
Gebahren des Fürftenthums bei der neuen Königswahl.

— Dies nach den Buch- und Capitel-Ueberfchriften der
reiche Inhalt des erften Bandes.

Nach des Verf.'s Darftellung kommt es nun fo zu
ftehen, dafs im letzten halben Jahrhundert des Mittelalters
Deutfchland eigentlich in faft allen Beziehungen
fich in der höchften Blüthe befand, nur in Bezug auf
die Kaifermacht und die Beziehungen nach aufsen blieb
manches zu wünfchen. Auch kündigten fich fchon
Stürme an, befonders durch das Eindringen des fremden,
des römifchen Rechtes. Damit ift ein guter Grund gelegt
für das Weitere. Nachdem die letzten Jahrzehnte
des Mittelalters in ein fo ftrahlendes Licht geftellt find,
kann man den Beginn der Neuzeit mit um fo fchwär-
zeren Farben malen und das wird dann Eindruck machen.
Wir haben in den nächften Bänden die Schilderung des
grofsen Verfalles Deutfchlands zu erwarten, the history of
the decline and fall of the German empire, und die Schuld
daran trägt natürlich die böfe Reformation. — Und wie
kommt der Verf. zu diefen neuen Ergebnifsen? Er
knüpft an an viel fchon Bekanntes und Anerkanntes und
das fichert ihm in gewiffer Weife ein gutes Vorurthcil.
Es wird ja von jedem vernünftigen Forfcher jetzt zugegeben
, dafs fchon um die Mitte des 15. Jahrhunderts
auch in Deutfchland gar manche neue Lebenskeime fich
zeigten, fowie dafs im 16. und 17. Jahrhundert durch
die Stürme, welche die Reformation veranlafste, unfer
Volk in mancher Beziehung zurückgeworfen ward. Jeder
proteftantifche Kirchenhiftoriker erkennt an, dafs die
früher bei uns übliche Vorftellung von dem Zuftand der
deutfehen Kirche im Jahrh. vor der Reformation eine
vielfach mangelhafte war. Das Alles find zugeftandene
Dinge. An Derartiges knüpft der Verf. an und fcheint
damit einen fichern Grund unter den Füfsen zu haben.
Dann aber weiter bauend übertreibt er, übertreibt zum
Theil mafslos, und Hellt mit aller Kühnheit Behauptungen
auf, für welche die Beweife zum Schein, aber nicht in
Wirklichkeit erbracht werden. Gleich die einleitenden
Seiten enthalten eine folche unerwiefene Behauptung.
Die von Janffen entdeckte grofse Blüthe des geiftigen
Lebens in Deutfchland während der 2. Hälfte des 15.
Jahrhunderts wird nämlich in wefentlichen Zufammen-
hang gebracht mit ,der welthiftorifchen Wirkfamkeit
des deutfehen Cardinais Nikolaus von Cues', der ,wie
eine geiftige Riefengeftalt an der Wende des Mittelalters
' ftand. Diefer komifchen Behauptung tritt würdig
zur Seite der denfelben Zeitraum rühmende Satz
S. 7: ,Es war eins der gedankenreichften und frucht-
barften Zeitalter deutfeher Gefchichte; auf dem rcligiös-
fittlichen, auf dem ftaatlichen und auf dem wiffen-
fchaftlich - künftlerifchen Gebiet das eigentliche Zeitalter
deutfeher Reformation'. — Wie ftimmt dazu die
fpätere Ausführung des Verf.'s, wonach gerade in jenen
Jahren auf ftaatlichem Gebiete durch die Herabdrückung
der Kaifergewalt, das Aufftreben der Landesfürften zur
Selbftändigkeit und die Einführung des römifchen Rechtes
eine heillofe Unordnung und Zerrüttung entftand?

— Befonders rühmt er den hohen Stand des damaligen
Schulwefens und der Wiffenfchaft. Aber auch hier
herrfcht wieder viel Uebertreibung und kecke Behauptung
. Was er z. B. S. 20 ff. über die Verbreitung der
Volksfchulen und über die genügende Befoldung der
Lehrer fagt, geht viel zu weit, und fieht man fich die
von ihm gegebenen Beweife an, fo find diefe faft alle nur
der Rheingegend, befonders dem Niederrhein entnommen
. — Ganz befonderer Gunft erfreut fich bei ihm der
ältere Humanismus, weil nämlich feine Vertreter meift
in gutem Vernehmen mit der herrfchenden Kirche blieben
. Nun ift ja richtig, dafs diefelben der Mehrzahl

1 nach recht wackere Männer und in ihrem wiffenfchaft-