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Ausgabe:

1878 Nr. 25

Spalte:

606-607

Autor/Hrsg.:

Soyres, J. de

Titel/Untertitel:

Montanism and the primitive church. A study in the ecclesiastical history of the second century 1878

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 25.

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kommen heifsen, wenn rückfichtslos und unerbittlich ge- I
zeigt wird, wie ganz anders in Wahrheit Anfang und 1
Fortgang — vom Ende läfst fich leider noch nicht
fprechen ■— jener Entwicklung fich geftaltet hat. Aber
alle Erwartungen, mit denen man an die Studien des
Verf.'s herantritt, hat derfelbe gründlich getäufcht. Man
bezeichnet feine Ausführungen nicht zu hart, wenn man
fie ein ziellofes Gerede nennt; denn er redet Seite für
Seite nur über jene Beobachtung in ihrer blafseften,
allgemcinften und darum unbrauchbarften Form. Weder
ift es ihm um einen methodifchen Nachweis der Art
und des Umfangs ihrer Gültigkeit, noch um die ver-
fchiedenen Entwicklungsftufen ,des Bundes zwifchen
Plato und Mofes' zu thun. Seine Kenntnifse des alterten
Chrirtenthums und der Kirchenväter find eben fehr dürftige
; denn wie foll man es fich fonft erklären, dafs der
Verf. die Stellung der verfchiedenen chrirtlichen Theologen
zum A. T. und Judenthum von den älteften Zeiten
bis auf Eufebius gar nicht unterfcheidet, dafs er überhaupt
nie den Antrieb fpürt, auf irgend welche Unter-
fchiede gefchichtlicher Stufen einzugehen. Ja nicht einmal
das ift ihm in den Sinn gekommen, die verfchie-
dene Stellung, die Eufebius zum A. T. und zum Judenthum
einnimmt, richtig zu beleuchten, während doch
Eufebius neben Jurtin der einzige zu fein fcheint, deffen
Werke — näher die pracparatio — der Verf. felbft ge-
lefen hat. In der oberflächlichftcn und unvorfichtigften
W eife identificirt der Verf. die heidenchrirtliche Glaubenslehre
von Anfang an mit der Logos-Dogmatik; er weifs
nichts davon, dafs weit mehr als ein Jahrhundert fchwerer
Kämpfe hat vergehen müffen , bevor fich die Logos-
Lehre durchgefetzt hat. Aber für ihn ift das Heiden-
chriftenthum des 1. und 2. Jahrhunderts, wie es fcheint,
in jeder Geftalt dasfelbe, was die chriftliche alexandri-
nifche Religionsphilofophie des 2. und 3. Jahrhunderts
gewefen ift, und fchliefslich ift felbft Paulus — von Johannes
zu fchweigen — bereits ein philofophirender Hei-
denchrift nach Art des Origenes und Eufebius. Die Ge-
dankenloligkeit und Unkenntnifs, die der Verf. fomit an
den Tag gelegt hat, zeigt fich aber auch in dem Mangel
an jeder Dispofition feiner Arbeit und in dem Styl. I
Beleg für Erfteres bietet bereits das Inhaltsverzeichnifs
ausreichend, der letztere ift wahrhaft abfeheulich. Der i
Verf. fchreibt ein fo fchlechtes Feuilleton-Deuffch, dafs
es fchwer fein dürfte, ihn darin noch zu überbieten. 'Zur
Probe diene folgendes: ,In diefer froftigen allenthalben
eiligen Schauer verbreitenden philofophifchen Welt
glichen Mofes und Plato einer füllen, wolig durchwärmten
Winterftube' (S. 25 f.) ,So wie einft die Trojaner
das riefige und verhängnifsvolle Danaergefchenk frohlockend
in ihre Stadt zogen, ohne zu ahnen, welch' un-
fägliche Leiden ihnen daraus erwachfen würden, fo be-
ftiegen platonifch gefchulte Juden jenen dreiköpfigen
philofophifchen Pegafus (der Verf. meint die Trinitäts-
lehre) unter endlofcm Jubel und trabten damit in das
jüdifche Schriftthum hinein, nicht bedenkend, dafs das
Herz des Judenthums dadurch entzwei geriffen werden
muffe. Da ftand er nun eingekeilt zwifchen Thür und
Angel. Immer klaffender wurde der Rifs, immer heil-
lofer die Verwirrung, immer weiter dehnten fich die
gähnenden Fugen — ein Krachen, und in Scherben
fprang die ATliche Einheitslehre und mitten durch die {
zerftiebenden Splitter trabte triumphirend der auf drei
reducirte heidnifche Polytheismus. Und das hatten mit
ihrem Plato die Ariftobule und Philone gethan'. Wer
fo fchreibt, und der Verf. fchreibt faft durchgehends fo,
kann den Anfpruch, von ernfthaften Männern gelefen zu
werden, nicht erheben, auch wenn er Befferes brächte
als hier geboten wird. Die zweite Abhandlung ift wo 1
möglich noch ziellofer als die erfte Es läfst fich nicht
feftftellen, was der Verf. eigentlich bezweckt. Die Abficht
, die Hochachtung, die er perfönlich vor dem Stifter
des Chrirtenthums und dem älteften Judenchriftenthum

im Gegenfatz zum Pharifäismus hegt, zu bekunden, rechtfertigt
ein fo fchlecht ausgeführtes Unternehmen noch
nicht. Was der Verf. über das Urchriftenthum bemerkt,
ift durchgehends nur halb wahr, alfo falfch. Am Schlufs
feines Auffatzes regt er die intereffante Frage an, um
fie fofort mit nichtigen Gründen zu bejahen, ob nicht
bis zum Zeitpunkt des Eintritts von kleiden in die chriftliche
Gemeinde das Verhältnifs des Judenthums zur
Meffiasgemeinde ein fehr freundliches und verträgliches
gewefen fei. Zum Beleg wird die bekannte Legende des
Hegefipp über Jacobus und talmudifche Erzählungen angeführt
. Der Verf. hätte der kirchenhiftorifchen l'orfch-
J ung einen grofsen Dienft leiften können, wenn er genauere
Unterfuchungen über Zeit und Herkunft jener
Ueberlieferungen angefleht hätte. Aber davon ift nicht
die Rede. So lange aber wird man von ihrer Verwendung
abfehen müffen.

An dem Mangel jeglicher kritifcher Behandlung des
Materials leidet auch die 3. Abhandlung, die allein von
j den dreien ein gewiffes Intereffe in Anfpruch nehmen
j kann. Aber es läfst fich auch hier nicht mehr fa'gen,
als dafs der Verf. zu allen Hauptpartien des juftinifchen
1 Dialogs talmudifche Parallelen, z. Th. fehr überrafchende,
' beigebracht hat. Wie weitindefs diefe Erzählungen wirk-
| lieh als Quellen für unfere Kenntnifs des Kampfes zwifchen
Chriften und Juden im 2. Jahrh. verwerthet werden
dürfen, bleibt nach wie vor völlig dunkel. — Der Verf.
fleht in der Vorrede Fortfetzungen diefer Studien in Ausficht
. Hoffentlich entfchliefst er fich, die chrirtlichen
Quellen für diefe Fortfetzungen wirklich zu ftudiren und
die talmudifchen zu kritifiren.

Leipzig. Adolf Harnack.

Soyres, J. de, Montanism and the primitive church. A

study in the ecclesiastical history of the second Century
. — The Hulsean prize essay, 1877. Cambridge
1878, Deighton, Bell & Co. (VIII, 167 S. gr. 8.)

Das Ergebnifs, zu welchem der Verfaffer vorftchen-
der tüchtiger Arbeit betreffs des Montanismus gekommen
ift, wird am kürzeften an dem Schlufsfatze feiner
zufammenfaffenden Beurtheilung desfelben (S. 116) erkannt
: ,So, one by one, the fundamental principles of
Montanism, its links witli the Apostolical Church were re-
garded as heresies.' Vergleicht man das Mafs des Neuen
bei den Montaniften und ihren kirchlichen Gegnern mit
dem Beftande, den Maximen und Ordnungen des chrirtlichen
Denkens und Lebens am Anfange des 2. Jahrhunderts
, fo find die Gegner der Montaniften faft auf
allen Punkten die Neuerer.

Diefes Ergebnifs ift nicht neu: es ift von G. Arnold,
Wernsdorf, Ritfehl u. A. angebahnt, refp. feftge-
ftellt. Der Verf. hat das Seinige dazu gethan, um es
noch einmal und pünktlich zu begründen. Indeffen hat
er fein Intereffe nicht in gleichem Grade der Frage zugewandt
, in wie weit völlig neue Verhältnifse im letzten
Drittel des 2. Jahrhunderts an die Kirche herangetreten
find, und ob nicht Reactionen, die zunächft ganz den
confervativen.Stempel tragen, unter geänderten Zeitver-
hältnifsen als Neuerungen erfcheinen müffen. 'Nach einer
faft vollftändigen Ueberficht über die Quellen und die
Bearbeitungen der Gefchichte des Montanismus behandelt
der Verf. im erften Buch die Gefchichte, im zweiten
die Lehren, im dritten den Einflufs des Montanismus auf
die Kirche. Vier Excurfe (Ueber Keftner's Agape, über
die Acten der Perpetua und Felicitas, über Jane Lead,
Peterfon etc. über Swedenborg), fowie eine chrono-
logifche Tafel (ann. 130—250) und ein ausführlicher Index
fchliefsen das Werk ab. Das Ueberrafchendfte ift
der Verfuch des Verf.'s, das Auftreten des Montanus,
deffen Exiftenz er mit Recht nicht in Zweifel zieht, auf
d. J. c. 135 zu datiren. Diefer Verfuch ift nicht gelungen
, mag man auch die Möglichkeit diefes Datums