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Ausgabe:

1878

Spalte:

581-584

Autor/Hrsg.:

Wieseler, Karl

Titel/Untertitel:

Die Christenverfolgungen der Cäsaren bis zum dritten Jahrhundert historischund chronologisch untersucht 1878

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literatur/.eitung. 1878. Nr. 24.

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aus den Worten ausgelegt, und der Verf. fcheint davon
eine Ahnung zu haben, wenn er (S. 44) fagt: ,Das
Einzige, was immer wieder und zwar mit einigem Schein
gegen diefe Faffung geltend gemacht wird, ift, dafs der
Apoftel doch zu deutlich von einer einzelnen Perfon
rede'. Diefes ,Einzige' würde natürlich genügen, die
ganze Entwickelung als irrig erfcheinen zu laffen. Freilich
wird Ph. mehr durch kritifche und dogmatifche
Vorausfetzungen als durch die Worte des Apoftels in-
fluirt. Weil der Abfall und der Menfch der Sünde als
fchon bei Abfaffung von 2 Theff. 2 vorhanden bezeichnet
find, fo fieht er fich vor die ermüdend oft (S. 34.
35. 40. 43) präcifirte Alternative geftellt: man mufs entweder
den Apoftel eines Irrthums zeihen und damit den
apoftolifchen Urfprung des Briefes, bez. die ,biblifch-
kirchliche' Infpirationslehre aufgeben oder fich für die
collectivifche Faffung der betreffenden Ausdrücke ent-
fcheiden. Was er hierbei (S. 33 ff.) über den xuiiywv
(v. 7) fagt, kann jene Faffung um nichts glaubwürdiger
machen. Er findet in ihm (S. 37) die Macht Gottes,
welche inmitten des Abfalls Alles ordnet, Jedem Zeit
und Stunde beftimmt und das Hervortreten wie Aufhören
der Gottesfeindfchaft regelt. Und weil promiscue
mit to -Aartxov (v. 6) gebraucht, legt ihm der Ausdruck
auch die Forderung nahe, den Begriff o uvltonnog xrjg
äiictoriag, der mit den neutralen Bezeichnungen anoOTuaia
und ctvnuia wechfelt, nicht von einer Einzelperfönlich-
keit zu nehmen. Wir meinen, dafs mit gleichem Recht
aus jenem Umftand fich das Gegentheil folgern läfst.
Doch wir brechen ab und find mit unferen Bemerkungen
vielleicht fchon zu lang geworden.

Leipzig. Wold. Schmidt.

Wiesel er, Dr. Karl, Die Christenverfolgungen der Cäsaren

bis zum dritten Jahrhundert hiftorifch und chrono-
logifch unterfuefit. Gütersloh 1878, Bertelsmann. (XI,
140 S.. gr. 8.) M. 2. 40.

In der erften der hier vereinigten fünf Abhandlungen
befpricht der Verf. die Chriftenverfolgungen der Cäfaren
bis in die Zeit Trajan's und die betreffenden' kaifer-
lichen Refcripte bis zum dritten Jahrhundert (S. 1—33).
Ref. hat fich vergebens bemüht, feftzuftellen, wie man
fich nach der Anficht Wiefeler's die Lage der Chriften
unter Domitian, weiter den Zufland, den die traja-
nifche Politik gefchaffen, die Antonine fanetionirt
haben, zu denken hat. Im Allgemeinen huldigt der
Verf. der Anfchauung, die Chriften feien fchon feit der
Zeit Nero's ausdrücklich als ftaat.sgefährliche, religiöfe
Secte verurtheilt worden, diefer Zuftand habe unter Domitian
fortgedauert, der alternde Nerva aber habe eine
mildere Politik zu verfolgen verfucht, welche dann Tra-
jan entfehiedener zur Geltung gebracht, Hadrian und die
Antonine in ihren Toleranzedicten bestätigt und fortgeführt
hätten. Einen Verfuch, diefe, wie wir glaubten,
endgültig befeitigte, traditionelle Anficht zu rehabilitiren,
könnte man nur willkommen heifsen, um die Haltbarkeit
der neueren Vorffellungen über die Entwicklung
der kaiferlichen Politik gegen die Chriften zu erproben,
refp. wie betreffs der neronifchen Chriftenverfolgung zu
berichtigen, aber die Abhandlung Wiefeler's leiftet dies
in keiner Weife, nicht einmal an irgend einem Punkte.
Von dem Abfchnitte an (S. 6. f.), wo der Verf. in die
eigentliche Unterfuchung tritt, bis zum Schlufs begegnet
man keiner Ausführung, die nicht entweder unvollftän-
dig oder verwirrt oder geradezu falfch wäre. So wird
gleich im Anfang S. 7 den Gegnern die Anficht fuppo-
nirt, das Chriftenthum habe im erften Jahrhundert als
Chriftenthum die Stellung einer ftaatlich erlaubten reli-
giöfen Secte gehabt. Dagegen wird nun aus dem Pro-
cefs des Paulus argumentirt, deffen Todesurtheil nach
dem Verf. in der vorgefchriebenen rechtlichen Form
gefällt worden ift. Diefe Entdeckung einmal zugeftanden,

was kann für die förmlich ausgefprpehene Illegalität des
Chriftenthums daraus gefolgert werden, da der Verf. auf
derfelben Seite behauptet, Paulus fei als Volksaufwiegler,
Revolutionär, kurz als Majeftätsverbrccher hingerichtet
worden? Wenn fich der Verf. weiter darauf beruft, dafs
der Unterfchied von Juden und Chriften bereits feit der
Mitte des 1. Jahrhunderts dem Staate bekannt gewefen
fei und dafs die Chriften deshalb fchon im Allgemeinen
'S. 8) unter das Gefetz der collegia illicita fielen, fo
hat meines Wiffens Niemand den Schlufs aus jener Prä-
miffe ,im Allgemeinen' in Abrede geftellt. Aber das ift
nicht die Frage, ob der Staat die Möglichkeit befafs,
die Chriften im 1. Jahrhundert unter die collegia illicita
einzurechnen und als Hochverräther zu beftrafen, fondern
ob er fie thatfächlich eingerechnet und beftraft
hat. Was aber die Prämiffe betrifft, fo läfst fich über
diefelbe allerdings ftreiten, jedoch mit anderen Gründen
als der Verf. fie beigebracht hat. Diefer beruhigt fich
unter Berufung auf den ,rühmlichft bekannten' Philologen
Roth dabei, dafs weder Tacitus noch Plinius die Chriften
als jüdifche Secten betrachteten und dafs die flagitia
lediglich der ihnen zugefchriebene Atheismus gewefen
fei. Niemand, foviel ich weifs, hat das erftere geleugnet;
die Frage, die der Verf. nicht einmal ftreift, ilt vielmehr
die, ob Tacitus zuverläffig berichtet hat. Auch wer mit
dem Ref. geneigt ift, den Bericht des Tacitus gegen die
neueren Beurtheilungen, z. B. Schiller's, in Schutz zu
nehmen, wird defshalb doch noch weit entfernt feinp
mit Wiefeler zu behaupten, dafs fich bei dem Proceffe
des Paulus fchon die Nothwendigkeit herausgeftellt habe,
officiell über die Chriftenfrage zu entfeheiden und dafs
die Entfcheidung damals fo ausgefallen fei, dafs die
Chriften wie Angehörige einer unerlaubten Verbindung
zu beftrafen feien. Einer folchen Entfcheidung bedurfte
es nicht, wie der Verf. felbft S. 9 ausführt. Entfchieden
konnte nur werden, was wirklich zu gefchehen habe.
Dafs aber ein allgemeines Einfehreiten gegen die Chriften
befohlen worden ift, kann Niemand erweifen; denn der
römifche Chriftenprocefs unter Nero, der allerdings ein
förmlicher Procefs gewefen zu fein fcheint, hat mit allgemeinen
Erwägungen und Mafsregeln überhaupt nichts
zu thun.

Wenn der Verf. nun fortfährt (S. II): ,Dafs auch
Domitian die Chriften bei ihrer Verfolgung als collegium
illicitum wird betrachtet haben, ift hiernach nicht zu bezweifeln
', fo fetzt fich hier nur die einmal angefponnene
Confufion fort. Was aber weiter über Domitian's Stellung
bemerkt wird, ift mir unverltändlich geblieben.
Der Verf. fpricht zuerft die fichere Vermuthung aus, dafs
Domitian die Chriften in einem Edicte ausdrücklich als
collegium illicitum bezeichnete; hieran fchliefst er folgende
Ausführung: ,Plinius fchreibt in feinem i.J. 100 verfafs-
ten Pancgyricus auf Trajan c. 34 von legibus, durch
welche der römifche Staat unter Domitian zerftört fei.
Da Trajan in feinem Edicte über die Chriften diefelbe
Anficht ausfpricht (wo?), fo können unter jenen leges
überhaupt keine Gefetze über die Chriften oder nur
in irgend einer Weife ftrengere Gefetze über die-
felben, als fie Trajan zuliefs, mitbegriffen werden. . . .
Dafs die Chriften unter Domitian weder factifch noch
gefetzlich günftiger geftellt waren als unter deffen näch-
ften Nachfolgern, erhellt auch aus den Kirchenfchrift-
ltellern Melito, Tertullian etc., deren Ausfagen Overbeck
nur zufolge feiner unbewiefenen Grundanfchauung über
die Stellung des Chriftenthums im römifchen Staate des
Irrthums zeihen konnte'. Der Sinn diefer Ausführung
ift mir völlig dunkel, zumal aber die Abzweckung des
mittleren Satzes und feine Verknüpfung mit dem erften und
dritten. Es mag daher auf fich beruhen; dazu aber bringt
der Verf. wiederum die naive Reflexion, die Lage der
Chriften müfste fich unter Nerva und Trajan ge-
beffert haben, da diefelben einen milderen und gerechteren
Sinn als Domitian befeffen hätten. So vorbereitet