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Ausgabe:

1878 Nr. 23

Spalte:

567-568

Autor/Hrsg.:

Hänchen, Ph. E.

Titel/Untertitel:

Die Lehre von dem Heil. Versuch einer biblischen Dogmatik. 1. Hälfte 1878

Rezensent:

Schmidt, Woldemar

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567

Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 23.

568

dürfte hier und da vollftändiger fein, fo erfährt z. B. der
Lefer S. 43 nicht, woher die Nachrichten über den Land.-
tag von 1540 flammen, wenn er nicht Lau zu Rathe
zieht. Erklärlich und verzeihlich ift, dafs der grofsen
Vertrautheit mit der landesgefchichtlichen Specialliteratur
nicht eine gleich grofse mit der neueren allgemeinen
theologifchen entfpricht.

Kiel. Möller.

Hänchen, Pfr. Ph. E., Die Lehre von dem Heil. Verfuch
einer biblifchen Dogmatik. 1. Hälfte. Erlangen 1878,
Deichert. (V, 396 S. gr. 8.) M. 5. —

Den Reichthum der Schriftgedanken fucht der Verf.
einheitlich fo zufammenzufaffen, dafs er den Begriff des
Heils in den Mittelpunkt feiner Darfteilung rückt. Der
Urfprung des Heils, das Object des Heils, der Plan des
Heils in Gott, die Ausführung des Heils durch die gottgegebenen
Mittel, die Aneignung des Heils, der Fort-
Schritt auf dem Heilswege und die Vollendung des Heils
find demgemäfs die einzelnen Materien, auf welche fein
Augenmerk fich lenken mufs; doch ift die vorliegende
erfte Hälfte nicht über die drei erftgenannten hinausgekommen
. In kurzen Paragraphen wird allenthalben
die Grundanfchauung des Verf.'s zum Ausdruck gebracht
und eine Erläuterung derfelben in fortgehenden Anmerkungen
beigefügt, welche nicht blofs die Plntwickelung
der Schriftlehre fondern auch den für nöthig erachteten '
literarifchen Apparat enthalten. Wenn unter den Neueren
dabei wohl am häufigften auf Cullmann, nächft ihm auf
Nitzfeh, J. P. Lange, Ebrard Rückficht genommen wird,
fo verrathen fchon diefe Namen, dafs H.'s Schrift vielfach
mit Material belaftet ift, welches in einer ,biblifchen
Dogmatik' überrafchen mufs. Ueber die Aufgabe der
Letzteren fagt Weifs ,Lehrbuch der biblifchen Theologie
des N. T.' 2. A. S. 5 mit Recht: ,Die biblifche Dogmatik
fetzt die Refultate der biblifchen Theologie voraus und
arbeitet mit ihnen als mit ihrem Material. Sie prüft die
von ihr conftatirten Vorftellungen und Lehren der biblifchen
Schriftfteller, wie weit diefelben geeignet find, den
allgemein gültigen Ausdruck für die allfeitige Erkennt-
nifs der Offenbarung Gottes in Chrifto zu bilden, auf
welche die ganze Offenbarungsgefchichte abzielt'. H.
aber fieht umgekehrt philofophifche Syfteme, kirchliche
Symbole, dogmatifche Arbeiten Neuerer darauf an, ob
und inwieweit fie mit der Schriftlehre fich decken und
ift eben deshalb auf allen Punkten feiner Entwickelung
in philofophifche und dogmengefchichtliche Erörterungen
eingetreten. Er fetzt fich mit dem Deismus wie
Materialismus und Pantheismus (S. 57 ff. 125 fg. 146 fg.),
fpeciell dem Spinozismus (S. 249 fg.) aus einander, zieht
das römifche Dogma vom Urzuftand des Menfchen in
das Bereich der Befprechung (S. 140 fg.), geht auf die
Entwickelungsgefchichte der Prädeftinationslehre ein (S.
273 ff.). Und feine ,Einleitung' (S. 1—34) macht nicht
mit dem Wefen und der Gefchichte der biblifchen Dogmatik
bekannt, fondern handelt von dem Einflufs der
(neueren) Philofophie auf die Theologie. Dies und
Anderes kann nur als fremdes Beiwerk gelten, durch
deffen Aufhäufung der Einblick in den inneren Zufam-
menhang der Schriftgedanken zum mindeften keine F"ör-
derung erfährt. — Nach dem Titel liefse fich wohl ein
fpeeififeh reformirter Typus erwarten; doch ift derfelbe
nirgends ftärker ausgeprägt. Schon in der ,Einleitung'
betont der Verf. (S. 32) die Notwendigkeit, das was
die einzelnen Zweige der evangelifchen Gefammtkirche
Gemeinfames haben in den Vordergrund zu ftellen; denn
,die Grundwahrheiten des Chriftenthums find die, welche
fich aus Gottes Wort ergeben, aber nicht die aus der
Trennung der evangelifchen Kirche herrührenden und fie
verlaffenden befonderen, zu Fundamentallehren aufge-
baufchten Trennungslehren'. Auch der Abfchnitt über

die Prädeftination beweift, dafs die auguftinifch-calvinis-
tifche Anfchauung in ihm keinen Anwalt hat. Einzelnes
zu genauerer Befprechung herauszuheben .unterlaffen wir
mit Abficht. Der Veif. felbft denkt über die Frucht
feiner Studien befcheiden, vielleicht zu anfpruchslos. Er
bekennt nur zur Beteiligung der eigenen Ueberzeugung
gearbeitet und noch während des Druckes mit Gedanken
der Reue gekämpft zu haben, dafs er mit feiner Arbeit
vor die Oeffentlichkeit treten will. Das Druckfehlerver-
zeichnifs am Ende ift nicht vollftändig; wenigftens find
wir geneigt, fo manche falfch gefchriebene hebräifche
oder griechifche Worte (aiüv S. 88, deleo£n/.i&vug S. 224,
yJ.tjiaL: S. 328, (f icovtoi;) S. 331 u. A.) fowie das ,apogry-
phifchen' S. 236 nachträglich dahin mit aufzunehmen.

Leipzig. Wold. Schmidt.

Freihold, Friedr., Die Lebensgeschichte der Menschheit.

Kulturgefchichtliche Forfchungen und Betrachtungen.
1. Bd. Das erfte Leben der Menfchheit, oder die finnliche
Richtung. Jena 1876, Coftenoble. (266 S. gr.
8.) M. 4. 50.

In einem gröfseren Werke, von dem hier der 1. Bd.
vorliegt, will der Verfaffer den von Leffing, Herder u.
A. hingeworfenen Gedanken, dafs die ganze Menfchheit
als ein Individuum zu denken fei, das fich durch diefelben
Entwicklungs- und Altersftufen hindurchbewegt wie
der einzelne Menfch, an der Hand der gefchichtlichen,
religionsgefchichtlichen und kulturgefchichtlichen That-
fachen ausführlich darlegen und begründen. Er unter-
feheidet jedoch alsbald ein doppeltes ,Leben'der Menfchheit
. Wie der Menfch felbft feiner ,merkwürdigen Anlage
nach' ein Doppelwefen ift, in Folge deffen die unendliche
Mannigfaltigkeit und Abftufung der Einzelnen
aus zwei Grundrichtungen hervorgeht, fo zerfällt auch
die Lebensgefchichte der Menfchheit in zwei aufeinander
folgende Geftaltungen, oder in ein auseinandergelegtes
Doppelleben, in ein Leben mit vorherrfchend finnlicher
und in ein anderes mit vorwaltend geiftiger Richtung.
Erfteres ift die Zeit des fälfehlich fo genannten Alterthums
, letzteres die Flpoche, die mit dem Eintritt der
Germanen in die Gefchichte und deren Verbindung mit
dem einen neuen Lebenskeim in fich tragenden Chriften-
thum beginnt und bis zum Beginn der franz. Revolution
reicht. Daran foll fich dann ein auf Erfahrungsgründe
genütztes Bild aller künftigen Geiftesentwicklung und
Thätigkeit der Menfchheit reihen und in dem Ganzen
foll dann offenbar werden ,alles Menfchheitslebens inniger
Zufammenhang und Einklang mit dem grofsen Allleben
der Natur oder vielmehr Gottes, aus deffen Lebensgefchichte
die der Menfchheit nur ein Bruchftück ift'.
Die Entwicklungsftufen, durch die fich das ,erfte' Leben
der Menfchheit hindurch bewegt, find folgende. Das
Säuglings- und Kindesalter ifl die vorgefchichtliche Zeit,
in der Sprachbildung, Gefchlechts- und Gefelligkeitstrieb
und Ahnung des Ueberfinnlichen die Menfchheit allmählich
vom Gängelbande der Natur befreien. Aegypter
und Phöniker ftellen das Knabenalter dar, erftere ,die
Ernüchterung von der in der Kindheit vorherrschenden
Phantafie zum erwachenden Verflande' (?), letztere, ,vor
denen Babylons, Affyriens, Mediens Scheinbare Macht-
gröfse zufammenfehrumpft in ein gehaltlos hohles Nichts'
(sie!) mit ihrem ,Fiugverfuch in den fchrankenlofen Lichtäther
der Freiheit' das reifere Knabenalter. Die Jugend
des erften Lebens der Menfchheit blüht in Griechenland;
das reifere Mannesalter ifl die gute Zeit Roms, das
Greifenalter deffen Verfall. Dann folgt ein Sprung ,in die
Tiefen der Innenwelt'. Das Volk Ifrael hat in der bisherigen
Flntwickclung keinen Platz gefunden und wird nun befon-
ders behandelt als ein Volk, dem ,wie anderen Völkern
andere Geiflesgaben, durch den von der Schöpfung eingehauchten
Genius der Gottesbegriff als eine urfprüng-