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Ausgabe:

1878 Nr. 22

Spalte:

541-543

Autor/Hrsg.:

Witte, Leop.

Titel/Untertitel:

Italien 1878

Rezensent:

Kähler, Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 22.

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doch wenigftens zum Theil auch der dann folgenden
Streitfchriften Leffing's fo wichtig, dafs diefer Abdruck
derfelben auch dadurch gerechtfertigt wird, zumal die
früheren Drucke nur fchwer zu erlangen find. Eine werthvolle
Zugabe find die Vorbemerkungen des Herausgebers
zu den einzelnen Werken und die kurzen Anmerkungen
unter dem Text. Die erfteren geben in
knapper Zufammenfaffung eine literarifche und ge-
fchichtliche Einleitung, die jedesmal den Lefer gut über
Veranlaffung, Inhalt und Bedeutung der Schrift, auch
wo es noth ift über die Folgen derfelben orientirt; be-
fonders wohlthuend ift, dafs wir es in ihnen nicht mit
einem blinden Lobredner Leffing's zu thun haben;
Grofs weifs auch den Gegnern Leffing's gerecht zu
werden; namentlich die Schilderung der Stellung Goeze's
zu den Fragmenten und die Auffaffung der Polemik
desfelben gegen Leffing, Bd. 15, S. 10 ff., ift ganz geeignet
, durch ihre befonnene und vorurtheilsfreie Art
das noch immer als das landläufige zu bezeichnende
Urtheil über Goeze zu berichtigen. Auch die Anmerkungen
, meiftens nur wenige Worte, um einen jetzt
vergeffenen Namen oder eine nicht mehr allgemein
verftändliche Beziehung zu erklären, werden den Lefer
gröfstentheils befriedigen. Einiges hätte in ihnen vielleicht
noch hinzugefügt werden können; fo ift, um
wenigftens ein Beifpiel zu geben, nicht recht erfichtlich,
warum Bd. 17, S. 25 in Anm. 1 wohl gefagt wird, wer
Schmidt und Collins waren, hingegen nicht wer Parvish
war, was aus der betreffenden Schrift von Lilienthal
leicht zu ermitteln gewefen wäre; und doch ift diefer
ficher der unbekanntefte von den dreien. (Samuel Parvish
war ein Buchhändler zu Guilford in Suffex, der i. J.
1729 zu London eine Sammlung von Einwürfen bekannter
Freidenker gegen die Bibel herausgab.) — Der Druck
ift ganz befonders correct; dafs in den Vorbemerkungen
Göze ftatt Goeze gedruckt ift, ift wohl kein Druckfehler
. Die Ausftattung ift im Verhältnifs zu dem geringen
Preis zu loben; die Lettern find klein, aber
deutlich. Und fo möge denn diefe Ausgabe der doch
jedem Theologen wichtigen Schriften Leffing's, die uns
in den vor gerade 100 Jahren lebhaft geführten Streit
hineinverfetzen, die Aufnahme finden, welche fie auch
um der vom Herausgeber und Verleger auf fie gewandten
Mühe willen verdient.

Es möge geftattet fein, bei diefem Anlafs zugleich
mitzutheilen, dafs der zwanzigfte Band diefer Leffing-
ausgabe, mit dcffen demnächft bevorftehendem Erfcheinen
diefelbe vollendet ift, in feiner zweiten Abtheilung bisher
noch nicht bekannte Briefe von Joh. Alb. Heinrich
Reimarus und feiner Schwefter Elife an Leffing bringen
wird, aus denen wir ihr Verhältnifs zu Leffing und ihre
Stellung zu der Herausgabe der Fragmente noch genauer
, als es bis jetzt möglich war, kennen lernen.
Wer eigentlich die Fragmente zuerft Leffing übergeben
hat, kann freilich auch aus diefen Briefen nicht feftge-
ftellt werden.

Hamburg. Carl Bertheau.

Witte, Paft. Leop., Italien. [A. u. d. T.: Baufteine zur
Geschichte des Guftav-Adolph-Vereins. 2. Bd.] Freienwalde
a. O. 1878, Draefeke. (478 S. 8.) M. 4. 80.

Diefe Schrift mit umfaffendem Titel erfcheint als j
der zweite Band einer Sammlung unter dem Namen ]
,Baufteine zur Gefchichte des Guftav-Adolph-Vereins'. j
Indefs hat man in demfelben fo wenig nur einen Bericht
über die Wirkfamkeit diefes Vereines zu fuchen,
als man die allgemeine Ueberfchrift ohne die Erklärung
der Vorrede S. XI in Anfpruch nehmen darf. Um
die Verwechfelung mit einer 1861 erfchienenen kürzeren
Arbeit des Verfaffers zu verhindern, ift der den anderen
Theilen entfprechende engere und die Sache näher

andeutende Titel ,Das Evangelium in Italien' vermieden.
Erft indem man diefen auf Umwegen wieder in feine
Rechte einfetzt, kommt die Bedeutung des Buches zur
Geltung; denn es ift inhaltlich mit dem Guftav-Adolph-
Verein aufser durch kurze Aufzählung der von ihm über
die Alpen gefandten Gelder nur durch das gemeinfame
Intereffe für die FVrtfchritte evangelifchen Chriftenthums
auf der Apenninhalbinfel verbunden.

Man könnte es demzufolge als einen wichtigen Beitrag
zur kirchlichen Statiftik bezeichnen; und gewifs
verdient es als folcher zunächft alles Vertrauen; denn
der Verf. ift einmal als Sohn Karl Witte's, dem er auch
als ,dem altbewährten FYeunde Italiens' die Schrift widmet
, von Kind auf mit allem Italienifchen vertraut; es
haben fich ihm eben defshalb vor zwei Jahrzehnten während
eines jahrelangen Aufenthaltes dafelbft Wege und
Thüren geöffnet, die fonft dem Deutfchen meift ver-
fchloffen bleiben; endlich hat er fich mehrere Wochen
lang von neuem jenfeit der Alpen umgefehen, und zwar
mit dem Augenmerk auf feinen befonderen Gegenftand,
ehe er an diefe Berichterftattung ging. Dafs Hillebrand
ein Stück derfelben in feiner Italia brachte, dürfte manchem
als eine Bürgfchaft erfcheinen, welche jener Interpret
Italiens an Deutfchland für das Treffende der Darfteilung
übernimmt.

Nun handelt es fich aber nicht blofs um eine dürre
Statiftik; — etwas der Art bieten den Regiftratoren Cap.
7 u. 8 des 2. Theiles, und auch fie nicht das allein. Vielmehr
ift es dem Verf. um ein anfehauliches Gemälde zu
thun; und ein folches meint er nicht entwerfen zu können
, ohne die gegenwärtigen Verhältnifse aus ihren Ur-
fachen abzuleiten und deutlich von ihrem Hintergrunde
abzuheben. Demgemäfs behandelt der 1. Theil auf 212
Seiten die kirchliche Gefchichte Italiens bis zur Emanci-
pation der Waldenfer in Sardinien im Febr. 1848. Er
fkizzirt die Entwickelung des italienifchen Katholicismus
in feiner Eigenart bis zur Reformation, um dann ausführlicher
die Gegenreformation und die Gefchicke der
Gemeinde der Thäler zu erzählen. Diefe ,Rückblicke'
zeigen die geiftigen Mächte und Zuftände, aus denen
das Gegenwärtige verftändlich wird. Der 2. Theil giebt
dann auf 265 Seiten die neuere Gefchichte. Als Hintergrund
werden zuerft die Bewegungen innerhalb der
kathol. Kirche gezeichnet, die Verfuche zu Reformen,
in denen fich die Irreformabilität derfelben am gewiffe-
ften documentirt. Darauf folgt ein ausführlicher und
aufrichtiger Bericht über die Anfänge, die Gefchicke und
den Stand der proteftantifchen Evangelifation in dem
Vaterlande der Papftkirche und des unchriftlichen Humanismus
. Der Referent hat keine Mittel, den Verf.
im einzelnen zu controliren; indefs die Offenheit, mit
welcher neben dem bewegenden Martyrium auch die
Mängel und Fehler befprochen werden, welche dem
propagandirenden Proteftantismus überhaupt und welche
den evangelifirenden und evangelifirten Waldenfern und
Italienern zufolge ihrer Vergangenheit und Nationalität
anhaften; die Einfachheit, mit der die in Zahlen nicht
eben imponirenden Ergebnifse der bisherigen Arbeit
dargethan find, beftätigen durchaus das oben begründete
Vorurtheil beften Zutrauens. — Die Schilderung des
alten Katholicismus erhält, da er in dem Mutterlande des
Romanismus aufgefucht und in den wirkfamften Proben
feiner Unduldfamkeit verfolgt wird, die Schärfe eines
Silhouettenprofiles; aber die Schwächen des altitalieni-
fchen Proteftantismus, dem die Sozzine enftammten, find
auch nicht verhohlen. Uebrigens liegen die Erfolge der
Alleinherrfchaft, welche Rom dort mit Blut errungen und
behauptet hat, zu Tage und werden zudem hier in den
Worten italienifcher Katholiken feftgeftellt. Uns fcheint
ein gerechtes Gericht gehalten.

An den verfchiedenften Stellen tritt in den Schilderungen
die lebendige Vertrautheit mit den Oertlich-
keiten , den focialen Verhältnifsen, dann namentlich