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Ausgabe:

1878 Nr. 22

Spalte:

540-541

Autor/Hrsg.:

Groß, Chr. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Lessing’s Werke. 14 - 17. Theil: Theologische Schriften; 18. Theil: Philosophische Schriften 1878

Rezensent:

Bertheau, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 22.

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auch bei äufserem Befitze, wiffe nichts davon, dafs das
Bild, welches wir in Adam verloren haben, die äufsere
und innere Armuth fei; dafs alle zur Schauung berufen
feien und durch die äufsere Armuth dazu kommen follen.
Ebenfo flehe die ftark quietiftifche, wenn auch nicht
völlig durchgeführte Richtung des Buches in Gegenfatz
zu dem viel befonneneren Standpunkte Tauler's, was auch
fchon Böhringer, obgleich er an der Autorfchaft Tauler's
fefthalte, aufgefallen fei. ,Ein fchauendes Leben ift ein
ausgewirktes Leben' (120, 6); die aller zeitlichen Dinge
ledig, find auch des äufserlichen Werkes (vorher ift von
Barmherzigkeit die Rede) ledig. Man tadelt fie, dafs fie
müfsig gehen, fich in keinem guten Werke üben wollen,
die Gefetze der Kirche brechen, aber: ,ihnen ift alle
äufserliche Weife entfallen' u. f. w. Auch die Art, wie
hier die äufsere Armuth für den Abendmahlsgenufs als
Bedingung der Würdigkeit angefehen werde, wobei allerdings
der Verf. fich in Widerspruch verwickle, findet De-
nifle ftark contraftirend mit Tauler's Aeufserungen von
der ,rechten publicanifchen Weife' (f. S. XXXV). Nicht
alle von Denifle noch weiter geltend gemachten Unter-
fchiede find gleich einleuchtend. Wenn aber Linfenmann
in feiner Befprechung des Buchs (Tüb. Theol. Quartal-
fchrift 1878, 1. S. 173—179) meint, man könne eher
fagen, dafs der Verf. fich felbft zuweilen widerfpreche,
als dafs er wefentlich vom Tauler'fchen Gedankenkreife
abweiche, fo fcheint mir das doch nicht ganz zutreffend,
denn eben das hebt Denifle, wie mir fcheint mit Recht,
hervor, dafs der Verf. des Buches einen nichts weniger
als innerlich harmonifchen Standpunkt habe, fortwährend
von der einen Seite auf die andere fchwanke, während
Tauler's Predigten von ftarker Einheit der Gedanken
durchzogen feien. Und fo gefleht denn auch Linfenmann
zu, ,dafs das Ganze nicht die Art der gefunden und erleuchteten
Myltik Tauler's trage, weitfchweifig und unklar
fei, zwifchen einfeitigem Idealismus und einer aufs
Praktifche gerichteten Sittenlehre fchwanke'. Weiter
macht Denifle den grofsen Unterfchied in Styl und Ausdruck
geltend und beruft fich mit Genugthuung auf Rie-
ger's Wahrnehmung in diefer Beziehung (W. Wackernagel
, altdeutfche Predigten S. 431). Vor allem ift nun
aber wohl zu beachten, dafs die geltend gemachten in-
nern Gründe nicht etwa gegen eine wohlbegründete
äufsere Ueberlieferung anzukämpfen haben. Keine einzige
Handfchrift giebt den Namen Tauler, es fehlt
in ihnen jede Angabe des Verfaffers (in dem von Denifle
benutzten Leipziger Codex hat nach feiner Anficht
der Herausgeber D. Sudermann den Namen Tauler's
beigefchrieben). Erft der Herausgeber der Cölner Ausgabe
von 1543, Peter von Nymwegen (unter welchem
Namen wir übrigens, wie beiläufig hier erwähnt fei,
nach Jundt, histoire du pantheisme populaire au moyen
age etc. Paris 1875 S. 64 f. Anm. den Jefuiten Petrus
Canifius zu verftehen haben) hat einige Stücke des Buchs
unter Tauler's Namen veröffentlicht (in der medulla ani-
mae, einer Compilation aus verfchiedenen Autoren), und
erft Sudermann hat das Buch Tauler zugefchrieben ohne
Angabe irgend eines Grundes, gerade fo wie derfelbe
eine Schrift Rusbroek's (Hantvingherlin) unter Tauler's
Namen (,Wie der Menfch' etc.) herausgab. Von diefer
Seite hat alfo die innere Kritik Denifle's, die mir gewichtig
erfcheint, vollkommen freie Hand. Die Zeit des
unbekannten Verf.'s, eines Gottesfreundes (112, 27 ff.)
und darum vielleicht für immer unbekannt, ift übrigens
ungefähr die Tauler's. Einerfeits findet Denifle in der
Stelle 3, 21 Polemik gegen Eckhart, anderfeits ift das
Buch von dem Franciscaner-Provincial Marcus von Lindau
(f 1392) in deffen Buche von den 10 Geboten ftark
benutzt.

Kiel. Möller.

Lessing's Werke. 14—17. Theil: Theologifche Schriften;

18. Theil: Philofophifche Schriften. Herausgegeben

und mit Anmerkungen begleitet von Chr. Grofs.

Berlin [1873 und 1874], Hempel. (239, 439, 232, 271,

384 S. 16.) M. 4- ~
Diefe fünf Bände der ihrem Abfchlufs bald entgegengehenden
Plempel'fchen Ausgabe der Werke Leffing
's, welche auch für fich käuflich find, bilden ein für
fich abgerundetes Ganze, wie fchon daraus erfichtlich ift,
dafs fich am Ende des 18. Theiles, S. 369—384, ein
ausführliches Regilter, das fich gerade über diefe 5
Theile erftreckt, befindet. Sie enthalten die fämmt-
lichen theologifchen und phi 1 o fo phifchen
Schriften Leffing's, die erfteren in vier, die letzteren
in einem Bande, fo vollftändig, wie fie bisher nicht zu-
fammengedruckt find. Der Herausgeber theilt Leffing's
theologifche Schriften in zwei Abtheilungen, deren erfte
die bis zum Jahre 1770 und deren zweite die von 1771
bis 1781 verfafsten enthält; er zeigt nämlich, dafs mit
dem Schluffe des Jahres 1770, des Jahres, in welchem
Leffing nach Wolfenbüttel überfiedelte und in welchem
fein Vater ftarb, eine Wandelung wenn auch nicht gerade
in Leffing's theologifchen Anflehten, fo doch in Leffing's
Stellung der Theologie und den Theologen gegenüber
eingetreten fei; vgl. die Vorbemerkungen zum 14. Bande,
bef. S. 10; gegen diefe Pvintheilung wird fich deshalb
nichts einwenden laffen. Die theologifchen Schriften bis
zum Jahre 1770 bringt der 14. Band; die zweite Abthei-
lung, die vom Jahre 1771 bis 1781 gefchriebenen, enthalten
die drei folgenden Bände. In jeder Abtheilung
find aufser den von Leffing herausgegebenen Werken
auch die in die entfprechende Zeit gehörigen Auffätze,
die fich in feinem Nachlaffe vorfanden und von feinem
Bruder veröffentlicht wurden, abgedruckt; hierzukommen
dann die Recenfionen aus der ,berlinifchen privilegirten
Zeitung'; und geradefo ift die Eintheilung der philofo-
phifchen Schriften. Es fällt bei diefer Anordnung nur
auf, dafs die Recenfionen theologifcher Bücher aus den
Jahren 1751 bis 1755 fich in der zweiten Abtheilung der
theologifchen Schriften, vgl. Bd. 17, befinden; fie hätten
nach dem Eintheilungsprincip der erften zugewiefen
werden follen. Der Herausgeber weift eine gröfsere
Anzahl von Recenfionen, die fich in der genannten Zeitung
befanden, Leffing zu, als feine Vorgänger thaten;
er hat alle diejenigen Befprechungen theologifcher und
philofophifcher Bücher aus der betreffenden Zeit aufgenommen
, gegen deren Abfaffung durch Leffing nicht
zwingende Gründe fprachen. Im 12. Bande diefer
Leffingausgabe (S. 424) hatte nämlich Redlich gezeigt,
dafs faft alle Anzeigen von Büchern in der Voffifchen
Zeitung aus den Jahrgängen 1751 vom 18. Febr. an,
1752 vom November an, 1753 und 1754 ganz, 1755 bis
zum 14. October als von Leffing herrührend anzufehen
find; danach ift auch Grofs bei der Auswahl verfahren.
Man wird nicht leugnen, dafs unter den fo hinzugekommenen
Recenfionen, — ihre Anzahl ift gegen die
Lachmann'fche Ausgabe mehr als verdoppelt, — viele
find, die fowohl an fich als um Leffing's willen ein grofses
Intereffe haben. Den gröfsten und wichtigften Zuwachs
hat jedoch die vorliegende Ausgabe im Vergleich mit
allen früheren durch die vollftändige Aufnahme der von
Leffing herausgegebenen ,Fragmente' erfahren; ift Leffing
auch nicht ihr Verfaffer, fo wurde er doch von mehr
als einer Seite für ihren Inhalt verantwortlich gemacht,
und in den durch ihre Veröffentlichung veranlafsten
Streitigkeiten ift Leffing nicht feiten in einer Weife für
feinen Unbekannten eingetreten, dafs er die Anflehten
des letzteren geradezu vertheidigte; es haben diefe Schriften
alfo auch für Leffing eine andere Bedeutung, als
fonft fremde Schriftftücke haben, die man nur heraus-
giebt. Und jedenfalls find die Fragmente für das Ver-
ftändnifs der Bewegung, die fie veranlafst haben, und