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Ausgabe:

1878 Nr. 2

Spalte:

32-37

Titel/Untertitel:

Thomasius, Die christliche Dogmengeschichte als Entwicklungs-Geschichte des kirchlichen Lehrbegriffs dargestellt. 1. und 2. Bd 1878

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 2.

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man (ich in der That wundert, wie auf folche vage Möglichkeiten
die Entfcheidung der letzten Principienfragen
geftellt werden foll, oder vielmehr nur aufs Neue erkennt
, dafs diefelben für den Verf. längft entfchieden find,
und es fich nur darum handelt, mit einer für feine Voraus-
fetzungen recht unbequemen Thatfache fich in möglichst
glimpflicher Weife abzufinden. Dafs endlich in Folge
folcher fubjectiver Vifionen Jefu, gefetzt diefelben wären
pfychologifch erklärbar, die Apoftel zu der Lehre von
der Auferftehung Jefu im biblifchem Sinne gelangen
konnten, das hat der Verf., fo leichtes Spiel er hier zu
haben meint, immer noch nicht erwiefen. Die Berufung
auf die ihnen geläufige jüdifche Vorftellung von der
Auferftehung hilft hier wenig, da er ja felbft dabei in
erfter Linie an eine Auferftehung behufs der Theilnahme
am Meffiasreich, alfo an eine Auferftehung zum irdifchen
Leben denkt, während er ganz richtig einfieht, dafs die
Auferftehung Jefu zunächft wefentlich identifch mit feiner
Erhöhung zum himmlifchen Leben gedacht war, mag
man ihn dort nach Paulus mit einem himmlifchen Leibe
bekleidet vorgeftellt haben oder nicht. Und nur die Ge-
wifsheit diefer Erhöhung in der That konnte die Hoffnung
herftellen, dafs er als der mit himmlifcher Machtherrlichkeit
bekleidete Meffias fein durch den Tod
fcheinbar unterbrochenes Werk vollenden werde.

Doch diefe Dinge verdienen in der That eine etwas

macht, vor Allem aber das Alte Teftament, das die Erhabenheit
feiner Offenbarung darin zeigt, dafs es von ihr
nichts weifs (p. 162). Und wenn fchliefslich die Unabhängigkeit
des Glaubens von jeder beftimmten Weltan-
fchauungproclamirt wird, um auch dem nackten Empirismus
des Verfaffers Raum zu machen, fo erfahren wir im
Schlufsworte der Schrift, dafs für den Glauben das Wich-
tigfte nicht die Annahme einer Anzahl theoretifchcr Prin-
cipien, fondern das Halten einer Zahl von beftimmten
Vorfchriften ift (p. 168), mit andern Worten, dafs das
Ende diefer Theologie die Auflöfung der Religion in die
Moral ift.

Berlin. Dr. Weifs.

Thomasius, Geh. Kirchen-R. Prof. D., Die christliche
Dogmengeschichte als Entwicklungs-Gefchichte des
kirchlichen Lehrbegriffs dargeftellt. 1. Bd. A. u. d. T.:
Die Dogmengefchichte der alten Kirche. — 2. Bd.
A. u. d. T.: Die Dogmengefchichte des Mittelalters
und der Reformationszeit. Erlangen, 1874 u. 76,
Deichert. (X, 594 und VIII, 484 S. gr. 8.) M. 18. -

Am 24. Januar 1875 wurde Thomafius aus diefem
Leben abberufen, ohne feine Dogmengefchichte vollendet
zu haben. Im Jahre vorher hatte er den erften Band
TI±fZ^r^U^ltet lÄ2^S22 derfelben, welcher die patnftifche Epoche darfteilte, er-

Apercus, diefes Effay der nun im 3 Capttel vollends j fchdnen 'laffen. Unendlich hatte er, foweit es feine
±^Z^i}^^lJ^ZZ^Zi: K; Kräfte noch geftatteten, weiter gearbeitet, um auch den

phyfik, der Pfychologie und der Erkenntnifstheorie ftreift
Ift es freilich fo unbedingt gewifs, dafs ,Gefchichte die
abfolute Continuität und Homogeneität der Erfahrung'
vorausfetzt, dann mag ein hiftorifcher Beweis für das
Wunder ein Widerfpruch in fich felbft fein, dann mag
der Verfaffer fordern, dafs, wie die Reformation mit der
Autorität der Kirche, die neuere Iheologie mit der alten

zweiten, abfchliefsenden Band, welcher das Mittelalter
und die Reformationszeit behandeln follte, fertig zu
(teilen. Doch follte er diefe Freude nicht mehr erleben.
Es waren immerhin noch erhebliche Lücken auszufüllen,
als er das Werk feinem Schüler D. Plitt anvertrauen
mufste, dafs er es zu Ende führe. In glücklichfter Weife
nun hat Plitt es verftanden, die Partieen, welche er

Infpirations ehre gebrochen hat, man nun noch einen hinzufügen mufste (es kam befonders die mittelalterliche
-cv.rl" ^Zlc8i Td Z 1.™ glauben an uberna- j Dogmengefchichte in Betracht), dem Geilte des Ganzen
turhche Thatfachen breche. Das Bedenken, dafs das „nt?nrpr&,nH 7n OPoaitPn wsrf, H^iVni^ „a.

Chriftenthum, wenn die Verkündigung der Auferftehung
lediglich aus falfch erklärten (wenn auch unter den Ver-
hältnifsen von Zeit und Ort nothwendig falfch erklärten)
fubjectiven Vifionen hervorging, im Grunde auf einer
Täufchung beruht, fucht der Verf. zunächft dadurch zu
heben, dafs ja doch der Glaube an die Wiederkunft Jefu,
welchem der Sieg desfelben nicht weniger verdankt, fleh
als eine Selbfttäufchung bereits erwiefen hat und fodann
dadurch, dafs ja die Entftehung des Glaubens an feine
Auferftehung der gröfste indirecte Beweis für den Eindruck
, den Jefus gemacht, und damit dafür fei, dafs er
in feinem irdifchen Leben ,the common level of humanity'
überfchritten habe (p. 140). Der Sinn diefer Phrafe
wird freilich erft im Folgenden klar, wo es fleh nicht
mehr blofs darum handelt, die maffive Vorftellung von
einer ,Identificirung Jefu mit Gott', die wohl der deutfehen
Tiheologie ziemlich fern liegt, abzuthun, fondern wo in
einer Kritik der Kant'fchen Erkenntnifstheorie gerügt
wird, dafs er zwar die Erkennbarkeit des transcendentalen
Seins beftritt, aber diefes Sein an fich noch beftehen liefs
(p. 147), womit feine mehrfach wiederkehrende Polemik
gegen den innern Widerfpruch, der in der Vorftellung
eines perfönlichen Gottes liegt, zufammenhängt. Zu
welchen Confequenzen aber die Kritik des Verfaffers
führt, das tritt erft am Schluffe ganz hervor, wo nicht
nur die paulinifche Vorftellung von einem himmlifchen
Leibe als durch das Copernicanifche Syftem, das Gravi-
tationsgefetz und die Refultate der Spectralanalyfe an-
tiquirt hingeftellt wird (p. 158), fondern gegen das In-
tereffe an der perfönlichen Unfterblichkeit, das immer
wieder einen Halt an der Auferftehung Chrifti fucht, das
Neue Teftament ins Feld geführt wird, das demfelben
mit feiner Zukunftsausficht theilweife widerfpricht und
wenigftens bei Paulus und Joh. es nicht zur Hauptfache

entfprechend zu geftalten. Wäre dasjenige, was von
feiner Hand herrührt, nicht durch Klammern gekennzeichnet
, fo würden wir nicht vermuthen, dafs es nicht
von Thomafius felbft herftamme. So ift das Werk doch
ein einheitliches, auch innerlich abgefchloffenes.

Leider ift es nicht möglich, über diefe Dogmengefchichte
fo zu referiren, dafs deutlich hervorträte, auf
wie ausgedehnten und forgfamen Quellenftudien diefelbe
überall beruht. Thomafius hat fie als das Lieblingswerk
feines Lebens betrachtet und 30 Jahre hindurch das
Material dazu gefammelt und geachtet, ehe er fie zum
Abfchluffe zu bringen unternahm. Wie wir auch über
die Methode, welche das Werk befolgt, denken mögen,
fo werden wir doch um jener gewiffenhaften Ausführung
willen dasfelbe immer nur mit hoher Achtung nennen
dürfen. Es ift eines von jenen Werken, welche auch
der principielle Gegner nicht aus der Hand legen kann,
ohne ihnen für mannigfache Belehrung und Anregung
ein aufrichtiges Dankgefühl zu bewahren.

Ich geftehe, dafs ich zu denjenigen gehöre, welche
die Grundvorausfetzungen des Werkes nicht theilen. Es
foll meine Aufgabe fein, wenigftens den wichtigften
gefchichtlichen Anhaltepunkt, den Thomafius' Auf-
faffung der Dogmengefchichte befitzt, einer kritifchen
Beleuchtung zu unterwerfen.

Der Titel des Werkes: ,die Dogmengefchichte als
Entwicklungsgefchichte des kirchlichen Lehrbegriffs
' läfst die eigenthümliche Conftruction des Verlaufs
der dogmengefchichtlichen Bewegung, der wir
begegnen, zum Voraus vermuthen. Dogmatifche Erwägungen
leiten zu der Erkenntnifs, dafs die Kirche
immer irgend wie eines formulirten Bekenntnifses des
chriftlichen Gemeinglaubens bedarf. In continuirlicher
Entwicklung von der Urzeit an hat fich nun allmählich