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Ausgabe:

1878 Nr. 21

Spalte:

514-517

Autor/Hrsg.:

Hofmann, J. Chr. v.

Titel/Untertitel:

Theologische Ethik 1878

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 21.

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englifchcn Freunde genoffen. Warneck hebt befonders
das Erfreuliche an der Bewegung hervor, dafs eine reli-
giöfe Frage wieder einmal fo grofse Kreife wirklich in
Bewegung bringt und ruft den Aengftlichen zu: ,Ihr
Kleingläubigen, was feid ihr fo furchtfam? Was an der
Bewegung nicht aus Gott ift, das wird vergehen'. Die
Briefe enthalten eine fehr wohlwollende Prüfung und
Beurtheilung. Ablehnender, wenn auch bei voller Anerkennung
des erhaltenen Segens, verhält fich Wangemann
, Dr., Pearfall Smith und die Verfammlun-
gen zu Brighton in ihrer Bedeutung für Deutfch-
land. 2. verm. und verb. Aufl. Berlin 1876, Wohlgemuth's
Verl. (96 S. 8.) M. 1.50. Wirmöchten diefe Brochüre, fowohl
wegen der umfaffenden Darlegung alles Einfchlägigen,
als wegen der nüchternen und doch warmen und gerechten
Auffaffung, als befonders inftruetiv und beachtenswerth
bezeichnen. Nach dem Bericht über die Verfammlungen
wird nach dem Worte: Prüfet Alles,~das Gute behaltet!
die ganze Bewegung unter das Licht des göttlichen
Wortes und des lutherifchen Bekenntnifses geftellt, und
ob auch die Gefahren und Bedenklichkeiten dem Verf.
überwiegend erfcheinen, fo will er doch für Herz und
Leben des Einzelnen, wie für die Kirchen Deutfchlands
im Grofsen die Stimme Gottes nicht verkennen, die aus
der Bewegung vernehmbar wird.

Was allen genannten Darftellungen bedenklich er-
fcheint, ift die methodiftifche Form der Bewegung, die
der deutfehen Art und dem Evangelium zuwider ift.
Man hat vielfach verfucht, den Segen der geiftigen Anregung
weiteren Kreifen zu vermitteln mit Abftreifung
diefer englifch-amerikanifchen Form. In der Nachfolge
der weitgehenden Verwerthung des geiftlichen Gefanges
bei diefen Verfammlungen hat der Spittler'fche Verlag
in Bafel Liederfammlungen ausgehen laffen, die für den
Bedarf ähnlicher Gemeinfchaften zufammengeftellt find.
Gemeinfchaftslieder mit Melodien. Dem hochgelobten
Haupte der Gemeine Jcfus Chriftus und allen Gliedern
feines Leibes, die da mit ihm und untereinander Gemein-
fchaft fuchen und haben, gewidmet. Bafel 1875, Spittler.
(415 S. 8.) M. 1. 80. Die Sammler C. H. und D. Rappard
in der Crifchona haben bei der Wahl hauptfächlich die
innere Miffion' und das Gemeinfchaftsleben in's Auge
gefafst. Directer mit der Smith'fchen Bewegung in Verbindung
flehen die Glaubenslieder mit Melodien,
Bafel 1875, Spittler. (48 S. 8.) M. —. 40, 52 Lieder, von
denen 25 theils aus dem Englifchen überfetzt, theils zum
erften Mal veröffentlicht find. Die Anhänger Smith's
empfehlen diefe Lieder fehr, und allerdings ift die ganze
Bewegung mit diefen Gefängen ebenfo verwachfen, wie
die Brüdergemeinde mit den Liedern Zinzendorf's.

Die Wogen der Oxforder Bewegung find verraufcht,
der Prediger des clirisiian higher hfe ift nach unaufgeklärten
, compromittirenden Vorgängen in feine Heimath
zurückgekehrt. Jener .Methodismus der Freude', wie
Wangemann ihn nennt, oder .Methodismus der Heiligung'
nach Dr. Fabri's Bezeichnung, hat in Deutfchland keine
tieferen Wurzeln gcfchlagen, aber die Propaganda der
Albrechtsleute und des Wesleyanifchen Methodismus,
der auch die Smith'fche Bewegung eifrig auszunutzen
wufste, fteht nicht ftill. Diefer energifchen, planmäfsigen
Arbeit gegenüber hilft weder Ignoriren noch Proteftiren.
Es mufs ihr die innere auch fcheinbare Berechtigung entzogen
und der Boden ihrer Wirkfamkcit genommen
werden. Das aber gefchieht allein durch Pflanzung und
Pflege lebendiger Frömmigkeit im Volke, fowie durch
Befriedigung des Gemeinfchafts-Bedürfnifses in den gläubigen
Kreifen. Darum behalten die oben genannten
Schriften ihren dauernden Werth und verdienen eine
bleibende Beachtung. Möchte eine etwaige fpätere ,In-
vafion' unfer evangelifches Volk gerüfteter finden!

Eythra. E. Lehmann, P.

Hof mann, Prof. Dr. J. Chr. v., Theologische Ethik. Abdruck
einer im Sommer 1874 gehaltenen Vorlefung.
Nördlingen 1878, Beck. (VII, 350 S. gr. 8.) M. 4. 50.

Diefes Buch ift gegen die Abficht des ungenannten
Herausgebers zum opus ßosthumiun geworden. Derfelbe
berichtet im Vorworte, dafs er die Erlaubnifs H.'s zur
Publication diefer Vorlefung über theol. Ethik nachge-
fucht habe, weil mannigfache Nachfrage nach derfelben
ftattfand und doch nicht zu erwarten war, dafs H. dazu
kommen werde, den Stoff felbft zum Druck zu bearbeiten.
H. habe feine Einwilligung zur Publication der Vorlefung
in dem Text von 1874 ertheilt, mit dem Bemerken, dafs
1 er felbft dafür nicht verantwortlich fein wolle, und fich
j an dem Abdruck nicht bctheiligt habe. Diefe Vorficht
| kann fich natürlich nur auf die Redaction im Einzelnen
oder auf die möglichen kleinen Ungenauigkeiten bezogen
haben. Denn das Buch trägt das Gepräge der Theologie
feines Urhebers unverkennbar an fich und ift des-
felben fo wenig unwürdig, dafs er die Ehre, welche er
1 feinem Namen auch durch diefe Arbeit erworben hat,
1 geduldig hätte auf fich nehmen dürfen. Vielmehr füge
i ich hinzu, dafs keine Arbeit des inzwifchen (20. Dec.
i 1877) von uns gefchiedenen Mannes zweckmässiger ift,
feine theologifche Eigenthümlichkeit dem nachfolgenden
Gefchlcchtc darzuftcllcn, als diefe Vorlefungen. — Die-
felben werden eröffnet durch eine ziemlich fragmentari-
fche Gefchichte der Disciplin, für welche ich H. nicht
j ernftlich in Anfpruch nehmen will, da eine folche Einleitung
ihre befonderen Schwierigkeiten hat, und doch
nicht entbehrt werden kann. Indeffen beanftande ich die
Behauptung, dafs die Reformation eine eigenthümliche
Behandlung der Ethik möglich gemacht habe durch die
, Aufhellung ihres formalen und ihres materialen Princips.
In der zweiten Hälfte des Mittelalters bemüht man fich
auch fchon um rein biblifche Normirung des chriftlichen
Lebens; das hatJH. nicht gewufst. Der Anfpruch aber, dafs
das fittlichc Verhalten als die directe Folge in dem rechtfertigenden
Glauben als folchem begründet fei, kann
nicht bewiefen werden. Denn der Glaube, fofern er die
Rechtfertigung aneignet, ift gegen Werke gleichgültig,
hat alfo auch keine directe Tendenz auf diefelben; die
Rechtfertigung aber, welche die Abzweckung auf fitt-
liches Handeln in fich fchlöffe, müfste katholifch ver-
ftanden werden. Diefe Thatfache beftätigt nun H. felbft
indirect durch das Zeugnifs, dafs die Reformation ,nur
theilweife fofort' eine neue Behandlung der Ethik nach
fich gezogen habe. Denn wie wäre diefer Umftand erklärlich
, wenn in dem Gedanken der Rechtfertigung durch
den Glauben gerade die Quelle einer neuen Ordnung des
gefammten chriftlichen Lebens zum Bewufstfein der
evangelifchen Kirche und ihrer Theologen gekommen
wäre? Nun ift aber wirklich bei Lutheranern und Refor-
mirten durch die ganze Epoche der Orthodoxie hindurch
die Ethik nur entweder als philofophifche Tugendlehre
oder als Cafuiftik bearbeitet worden, die letztere aus
der allgemeinen menfehlichen Regel des Gewiffens heraus
. Alfo hat die von der Reformation direct abdämmende
Theologie auch aus dem Verftändnifs der Rechtfertigung
heraus keinen Antrieb zu einer eigenthümlichen
Ethik gefchöpft. Allerdings führt die Reformation ein
neues Lebensideal, einen Begriff von der chriftlichen
Vollkommenheit mit fich, und für einen Theil diefes
Gedankens ift der lutherifche Gedanke von der Rechtfertigung
mafsgebend. Leider ift von diefem Elrwerbe
der Reformatoren im vorliegenden Buche keine Rede.
Die lutherifchen Bekcnntnifsfchriften würden die Er-
kenntnifs diefes Punktes an die Hand geben; es ift fehr
merkwürdig, dafs in diefem Buche niemals von ihnen
die Rede ift!!

H. hat bekanntlich keine Vorlefungen über Dogma-
tik gehalten. Um alfo die Aufgabe der Ethik richtig
zu beftimmen, hat er in diefen Vorlefungen zunächft

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