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Ausgabe:

1878 Nr. 21

Spalte:

507-508

Autor/Hrsg.:

Arnold, John Mühleisen

Titel/Untertitel:

Der Islam nach Geschichte, Charakter und Beziehung zum Christenthum 1878

Rezensent:

Loth, O.

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Seite 1

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507 Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 21. 508

Dagegen giebt nun der Herausgeber am Schluffe j
noch auf über 100 Seiten engften Drucks ,Anmerkungen',
die in gloffatorifcher Form noch einmal die 9 Capitel j
Vers für Vers durchgehen. Hier finden fich eingehende
grammatifche, lexikalifche (felbft fprachvergleichende)
und textkritifche Erörterungen, hier wiederholte Ausein-
anderfetzungen mit Meyer, feltener mit anderen proteftan-
tifchen Auslegern; doch fehlt auch hier der Rückgang |
auf patriftifche und katholifche Exegeten nicht. Ohne j
Bezugnahme auf die Haupterklärung werden hier die !
dort befprochenen Fragen vielfach nochmals erörtert,
aber mehr in ftreng wiffenfehaftlicher Haltung. So
bietet das Buch mancherlei und in mancherlei Weife, ohne
freilich einen einheitlichen Eindruck machen zu können.
Dafs dem proteftantifchen Exegeten, abgefchen von den 1
,Anmerkungen', die ganze Art der Erklärung immer etwas
fremdartig bleiben wird, liegt in der Natur der Sache. |
Berlin. Dr. Weifs.

Niese, Pfr. C, Das Leben des heiligen Johannes. Eine Feft-
gabe. Leipzig 1878, Barth. (XI, 140 S. gr. 16). M. 3. —

Das fchmuck ausgeftattete Büchlein webt in fchlich-
ter, naiver Weife echte Ueberlieferung und wunderfüch-
tige Legenden über das Leben des Johannes in ein
Lebensbild zufammen, die grofsen Lücken diefer Lebens-
gefchichte oft mühfam genug mit allerlei biblifchen und
gefchichtlichen Reminiscenzen oder eigenen Reflexionen
füllend. Der Verf. fagt zwar bei den oft recht abge-
fchmackten Legenden und Wundergefchichten mein: treulich
, dafs fie wohl nicht glaubhaft feien, aber warum
dann damit die Blätter füllen und Spreu mit Weizen
mifchen? Und manchmal fcheint uns doch der Verf. auch
recht leichtgläubig; denn er findet auf Patmos foviel
Denkmale der apoftolifchen Thätigkeit des Johannes und
foviel dankbare Erinnerungen an fein dortiges Verweilen
in den Herzen der Bewohner, dafs er die, welche, aus
wiffenfehaftlichen Gründen an feiner Verbannung nach
Patmos zweifeln, apoflrophirt: ,Und obwohl er folche
Zeichen gethan hatte, glaubten fie dennoch nicht an Ihn.'
Uns übrigens ift es um des Lieblingsjüngers des Herrn
willen doch recht lieb, dafs er fo manches nicht gefagt und
gethan hat, was der Verf. den apokryphifchen Apoftel-
gefchichten nacherzählt.

Berlin. Dr. Weifs.

Arnold, Lic. Dr. John Mühleifen, Der Islam nach Geschichte
, Charakter und Beziehung zum Christenthum.

Aus dem Engl. Gütersloh 1878, Bertelsmann. (VIII,
304 S. gr. 8.) M. 4. —

Smith, R. Bosworth, Mohammed and Mohammedanism. Lec-
tures delivered at the Royal Institution of Great Bri-
tain. 2. ed., rev. and enlarged. London 1876, Smith,
Eider & Co. (XXXVI, 368 S. 8.)

Diefe beiden Werke dürfen eigentlich nur des Gegen-
fatzes wegen zufammen genannt werden. Es war min-
deftens ein verkehrter Gedanke, die alte Miffionsfchrift
von Arnold, welche unter dem bezeichnenderen Titel
flshmaeP bereits 1859 erfchien und trotz verfchiedener
Auflagen ziemlich unverändert geblieben ift, jetzt dem
deutfehen Publicum vorzuführen. Man glaubt fich aber
zu einem ftärkeren Ausdruck des Tadels berechtigt, wenn
man in dem die Ueberfetzung einführenden Vorworte
folgenden fragwürdigen Satz findet: ,Es darf zweifellos
mit auf Rechnung diefes einflufsreichen, zu einem beliebten
Handbuche gewordenen Werkes gefetzt werden,
dafs die Whigs in ihren Bemühungen einen englifchen
Krieg zu Gunften der Türkei zu verhindern, durch eine
Harke kirchliche Strömung geftützt wurden'. Das Fiasco,
welches die gemeinte Bewegung in England unterdeffen

gemacht hat, dürfte etwas ominös fein. Es ift zu hoffen,
dafs ein derartiger Verfuch, den Fanatismus zu erregen,
in Deutfchland noch kläglicher verlaufen würde. — Dafs
der hiftorifche Theil des Arnold'fchen Buches werthlos
ift, ergiebt fich fchon aus dem oben angeführten Datum,
wenn man dazu erwägt, dafs gerade feitdem die wiffen-
fchaftliche Erforfchung der Urfprünge des Islam ganz
neue Bahnen eingefchlagen hat. Wir müffen hinzufügen,
dafs die Selbftändigkeit des Verfaffers auf philologifchem
Gebiete, trotz grofsem Citatenprunk, gleich Null, und die
Zahl der von ihm felbft verfchuldeten Irrthümer ziemlich
grofs ift. In der Ueberfetzung find, foweit wir dies
verfolgt haben, befonders durch Verftümmclung der
Eigennamen noch manche neue Fehler hinzugekommen.
Uebrigens ift über die theologifche Seite des Buches noch
neuerdings ein competentes Urtheil gefällt worden in
einer vortrefflichen Schrift, auf die hier verweifen zu
können uns ein Vergnügen ift: Lislam et son proplicte.
These . . . par Jules Rcymond (Lausanne 1876).

Während alfo die an fich nicht fchlechte Ueberfetzung
des JsÜmael1 als verlorene Mühe erfcheinen mufs,
ift dagegen zu wünfehen, dafs die Vorlefungen des Rev.
Bosworth Smith der noch immer grofsen Zahl derjenigen
von uns, welche englifche Bücher nicht lefen, auf jenem
Wege näher gerückt würden; denn fie find bei weitem
das Bette, was in unferer Zeit in populärerer Weife über
den Islam gefchrieben worden ift. Der Verfaffer befitzt
eine umfaffende, namentlich auch hiftorifche Bildung und
hat, obfehon nicht Orientalin: von Fach, die wichtigere
in europäifchen Sprachen vorhandene Literatur über den
Gegenftand mit ebenfo viel Fleifs als Urtheil benutzt.
Vor allem aber zeichnet fein Buch eine milde und par-
teilofe, von wahrer Religiofität getragene Gefinnung aus.
Es ift wohl das erftc Mal, dafs aus den Kreifen, denen
der Verfaffer angehört, der Verfuch gemacht wird, zu-
nächft die guten Seiten Muhammed's und feiner Religion
ins Auge zu faffen und nach den Punkten zu forfchen,
in welchen der- Islam unferer Religion verwandt ift. Der
Verf. bezeichnet es in der urfprünglichen Vorrede 90.
XXI) als feine Aufgabe, ,Gerechtigkeit widerfahren zu
Iahen dem, was grofs war in Muhammed's Charakter,
und was gut gewefen ift in feinem Plinfluffe auf die Welt'.
Das Refultat ift für Muhammcd aufserordentlich günftig.
Der Verf. aeeeptirt es mit rückhaltslofer Aufrichtigkeit,
wenn er in dem Islam nicht blofs eine noch überaus
mächtige und lebensfähige, fondern auch eine in ihrem
Urfprünge wefentlich gute und wohlthätige, dem Chriften-
thum aber am nächlten und zwar, wie er hofft, dercinft
verbündet zur Seite flehende Religion erkennt; wenn er
fogar bekennt, dafs das Chriftenthum von jenem felbft
noch zu lernen habe. Es soll nicht in Abrede geftellt
werden, dafs das Bild, welches er hier entwirft, zu viel
Licht enthält, und dafs die Schatten — es wäre abfolut
unverftändig, ihre Exiftenz gerade beim Islam leugnen
zu wollen — zu wenig berückfichtigt find. Wir machen
dem Verf. daraus gewifs keinen Vorwurf und ftimmen
feiner eigenen Rechtfertigung gegen die Kritiker, welche
diefen Punkt geltend machten (Vorrede zur 2. Auflage),
vollftändig bei. Wohl aber wünfehten wir, dafs er fich
einer Aufgabe, für die er in fo hervorragender Weife
berufen war, ganz und voll gewidmet hätte, d. h. dafs
er fich auch die fprachlichen Kenntnifse angeeignet hätte,
welche für ein vollftändiges Urtheil über arabifch-isla-
mifche Dinge, fo lange nicht mehr Quellenmaterial er-
fchloffen ift, noch unerläfslich find. Der Erfolg feiner
preiswürdigen Beftrebungen würde dann ein weit gröfse-
rer gewefen fein. Jedenfalls kann angefichts des maffen-
haften Vorurtheils und Uebelwillens, welche es zu bekämpfen
hat, das gehaltreiche und liebenswürdige Buch
allen denen, welchen es um ein gerechtes Urtheil über
den Islam zu thun ift, auf das Wärmfte empfohlen werden.

Leipzig. O. Loth.