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Ausgabe:

1878 Nr. 18

Spalte:

442-443

Autor/Hrsg.:

Erichson, Alfred

Titel/Untertitel:

Die evangelische Gemeinde zu Benfeld in alter und neuer Zeit 1878

Rezensent:

Zoepffel, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 18.

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begründet, dagegen die Zulaffung als etwas faft Selbft-
verftändliches hingeftellt für eine gewiffe Menfchenklaffe,
deren Sinnlichkeit dabei nicht als Sünde, fondern als eine
verzeihliche Schwäche erfcheint. — Beklagenswerthe
Thatfache, dafs ein folches Schriftftück von einem evan-
gelifchen Theologen aufgefetzt werden konnte!

Erlangen. G. Plitt.

Dobel, vorm. Stadtbibl. Friedr., Memmingen im Reformationszeitalter
nach handschriftlichen und gleichzeitigen
Quellen. 4. u. 5. Thl. Augsburg 1878, Lampart
& Co. (gr. 8.) M. 3. —; cplt. M. 8. —

Inhalt: 4. Hans Ehinger als Abgeordneter von Memmingen auf
dem Reichstage zu Augsburg. 1530. (107 S.) — 5. Das Reformationswerk
zu Memmingen von deffen Eintritt in den Schmal-
kaldifchen Hund bis zum Nürnberger Religionsfrieden. 1531 —
1532. (60 S.)

Fortfetzung und Schlufs des in Jahrgg. 1877 Nr. I(5
und 1878, Nr. 8 diefes Blattes befprochcnen Buches.
Auch im vierten Hefte find das Wichtigfte die Quellenmittheilungen
S. 27—107, nämlich 47 Briefe, die Hans
Ehinger, der Gefandte Memmingens auf dem Augsburger
Reichstage, nach Haufe fchrieb. Sie find wichtiger als
die Berichte des Windsheimer Bürgermeifters Sebaftian
Hagelftein (Jahresber. d. hiftor. Vereins von Mittelfranken
1869 und 1870), ja fie treten an Bedeutung den in das
Corp. Reform, auszugsweife aufgenommenen Nürnberger
Gefandtfchaftsberichten vollftändig zur Seite. Hans Ehinger
nahm eben vermöge feiner Perfönlichkeit am Reichstage
eine viel angefehenere Stellung ein, als ihm nach
dem Range feiner Vaterftadt zukam. Seine Briefe zeigen
das überall. Sie böten nach der Seite hin genügendes
Material zu einem fehr anziehenden reformationsgefchicht-
lichen Charakterbild. Auf die zahlreichen Einzelheiten in
ihnen einzugchen verbietet hier der Raum. Sie find in
ihrer Art fehr mannigfaltig, wie denn auch z. B. erwähnt
wird, dafs in der letzten Oktoberwoche die Mitglieder des
Reichstags, der Kaifer voran, fich mit Schlittenfahren
ergötzten, während die Kriegsleute ihre Wachtfeuer mit
Heiligenbildern nährten; ,fie wollten lieber mit den Heiligen
warm haben als mit dem Teufel frieren'. Nur Eins
werde ausdrücklich hervorgehoben, eine auch auf Ehinger
'vgl. S. 42) zurückgehende richtige Bemerkung des
Memminger Magiftrats gegen das Staatskirchenthum
(S. 12): ,Begerte der kaifer zum drittenmal mit lautern
Worten, ob wir Lüterifch oder Zwinglifcher opinion feien,
fo folt jr on unfer wiffen vnd bevelch kein entlich ant-
wurt in folhem geben, dan wir kinden kains zufagen,
wir fein in difem Artikel weder im Rat noch gemaind
ains, man fint under vns vnd in vnfrer Stat baider tail
ain grofse Summa, die Lüterifch vnd Zwinglifch fein,
wie in andern Comunen vnd Stetten auch ift, vnd ain
jeder glaubt in folhem, nachdem er die gnad von got
hat. Es wirt kainer Stat muglich fein anzuzaigen, was
ain jeder glaub; dan der glaub ift ein gab gottes, der
gibt vnd nimpt jn wider, wan vnd wie er wil, vnd ift
der mentfeh nit zu netten (nöthigen) zum glauben'.

Vom letzten Hefte befchäftigt fich die gröfsere
Hälfte mit der Hinrichtung des päpftlich gefinnten Memminger
Stadtfchreibers Ludwig Vogelmann am 9. Jan.
1531. Ein Dr. Schleweck, der in den Hiftorifch-po-
litifchen Blättern einen Artikel über die Memminger Reformation
gefchrieben, zu welchem von Memmingen aus
alles gewünfehte Material ihm bereitwillig zur Verfügung
geftellt war, hatte ohne, wie er felbft gefteht, die Akten
eingefehen zu haben, jenen Vorgang einen Juftizmord
genannt. Dobel erweift nun aus den Akten, dafs davon
entfernt nicht die Rede fein kann, dafs vielmehr der
Rath Anlafs zur Strafe genug hatte und dafs das Mafs
der Strafe den Rechtsanfchauungen der Zeit entfprach.

In der zweiten Hälfte wird über die erften Verfuche,

das Kirchenwefen in Stadt und Land in bleibende Ordnung
zu bringen, wie fie befonders auch durch den An-
fchlufs an den Schmalkaldner Bund veranlafst waren,
berichtet und am Schlufs die Ordnung der Kirchenpfleger
zu Memmingen von 1532, eine auf ftaatskirchlichen An-
fchauungen beruhende Zuchtordnung, beigegeben. Die-
fer Bericht zeigt die kirchlichen Verhältnifse in Memmingen
noch als in ziemlicher Unordnung und die Mittel,
fie zu beffern, befonders was die Perfonen anbelangt,
als recht gering. Dennoch wird dann mit kurzen Bemerkungen
abgebrochen, fo dals man kein klares und
genügendes Bild von dem wirklichen Ausgang der Reformationsbewegung
in Memmingen erhält. Der Schlufs
des fonft verdienftlichen Werkes ift fo leider kein befriedigender
.

Erlangen. G. Plitt.

Erichson, A., Die evangel. Gemeinde zu Benfeld in alter
und neuer Zeit. Strafsburg 1877, Treuttel & Würtz.
(18 S. gr. 8.) M. —. 30.

Erichson, A., Matthaeus Zell, der erfte elfäffifche Reformator
und evangel. Pfarrer in Strafsburg. Strafsburg
1878, Treuttel & Würtz. [66 S. m. Portr. gr. 16.)
M. —. 80.

In der erftgenannten Schrift giebt uns der Verfaffer
einen formell und inhaltlich gleich anfprechenden Ueber-
blick über die Gefchichte der proteft. Gemeinde in dem
elfäffifchen Städtchen Benfeld. So wie die Reformation
hier ihre Einführung dem Umftande verdankte, dafs das
Städtchen feit Schlufs des 14. Saec. vom Bifchof von
Strafsburg dem Magiftrat von Srafsburg verpfändet war,
und letzterer von dem ihm zuftehenden Rechte Gebrauch
machend, einen evangelifchen Pfarrer der von der gewaltigen
evangelifchen Bewegung ergriffenen Gemeinde fandte,
fo ging fchon nach einem Jahrzehnt das evangelifche Leben
rafch dadurch einem völligen Verfall entgegen, dafs der
Bifchof Willlelm von Hohenftein das verpfändete Städtchen
wieder einlöfte und die kathol. Pricfter fofort zurückführte.
Alle Bemühungen Butzers, die evangel. Bevölkerung bei
ihrem Glauben zu erhalten, fcheiterten an der Macht der
Verhältnifse. An diefe Darfteilung der Entftehung und des
Untergangs des Proteftantismus in Benfeld während des
16. Jahrhunderts knüpft Erichfon eine kurze Schilderung
der Verhältnifse und Perfonen, die zur Wiederbelebung
der evangelifchen Gefinnung in jener Stadt feit der fran-
zöfifchen Revolution von 1789 beitrugen und fchliefst
mit der Gründung des proteft. Vicariats im Jahre 1876.

Noch in höherem Mafse als diefes Büchlein zeigt
das von Erichf. entworfene Lebensbild des erften elfäffifchen
Reformators Matthaeus Zell die Begabung des Verladers
für eine im beften Sinne des Wortes populäre
Darfteilung. Mit Vorliebe zeichnet Erichfon diejenigen
Eigenfchaften Zell's, die ihn als Vorbild eines ,freifinnigen
' Theologen er Rheinen laden, wie z. B. feine Mifs-
billigung alles Wortftreits über das Abendmahl (S. 26),
fein duldfames Verhalten gegen alle Sectirer (S. 30 ff.).
Dagegen werden die theologifchen Anflehten Zell's etwas
kurz — und zwar wohl deshalb — abgefertigt, weil, wie
es S. 28 heifst: ,in Folge der naturgemäfsen und unauf-
haltfamen Entwickelung des religiöfen Geiftes wir Chri-
ften des 19. Jahrhunderts dahin gekommen find, dafs wir
in vielen Punkten anders denken als Zell'. Ift auch —
wie erfichtlich — das Buch für einen Kreis ,freifinniger'
Theologen und Laien berechnet, fo wird doch auch
jeder den Standpunkt des Verf. nicht theilende Lefer
von demfelben reiche Anregung und Förderung empfangen
, denn Zell war eben evangelifcher Chrift ohne allen
modernen Parteibeigefchmack und Erichfon ift zu objec-
tiv, als dafs er zu Gunftcn feiner theologifchen Richtung
den hiftorifchen Thatbeftand uns vorenthielte. Lag es
auch nicht in der Abficht des Verf.'s, neue umfangreiche