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Ausgabe:

1878 Nr. 17

Spalte:

416-421

Autor/Hrsg.:

Schenkel, Daniel

Titel/Untertitel:

Die Grundlehren des Christenthums aus dem Bewußtsein des Glaubens im Zusammenhange dargestellt 1878

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 17.

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betreffs der Reformationsgefchichte der fächfifchen Städte
und Städtlein, in denen er nach einander wirkfam
gewefen ift, fo möchten wir doch jeden für Reformationsgefchichte
Intereffirten auf diefe Abhandlung auf-
merkfam machen, da D. Seidemann in ihr eine ganze
Reihe beachtenswerther Notizen derfelben Art niedergelegt
hat, wie er fie einft zu Burkhardts ,Briefwechfel
Luther's' reichlichft beigefteuert hatte. Angefichts diefes
für jeden Kenner der Seidemann'fchen Arbeiten ganz
augenfcheinlichen bedeutenden Antheils, den derfelbe
an vorliegender Unterfuchung hat, fcheint uns der ihm
gelegentlich auf S. 14 in einer Anmerkung votirte Dank
des Verfaffers etwas fpärlich zu fein; er fchmückt fich
augenfcheinlich an fehr vielen Stellen mit den Früchten
fremden Fleifses. — Mit vollem Rechte fucht Lempe
S. 56 f. nachzuweifen, dafs auch Fues als ein Opfer des
Leipziger Interim 1551 aus feinem Amte in Chemnitz
getrieben worden fei, und nicht, wie mehrfach behauptet
worden ift, ,wegen des Calvinismi'. Er hätte bei genauerem
Eingehen auf die Streit-Literatur des Interim diefen Nachweis
mit pofitiven Zeugnifsen erhärten können. So zählt
Flacius in feiner .Antwort auf das Ausfehreiben der
zweien Vniuerfiteten' Jena 1558 Bl. A iiijb ,fechs feheus-
liche Exempel' von Abfetzungen folcher Paftoren, die
das Interim in Sachfen nicht hätten annehmen wollen,
auf, darunter auch das ,Creutz' Fufii. Ebenfo nennt ihn
Flacius als Opfer der Religionsverfolgung in feinem .Bericht
von etlichen Artikeln der Chriftlichen Lehr' 1559
Bl. J iijb. Der auf S. 56 erwähnte .Paftor Leonhardt in
Zwickau' heifst Leonhardt Bayer, wie ihn auch Bieck in
der angeführten Stelle (dreifaches Interim S. 159) richtig
benannt hat. Während bei den aus Archiven entnommenen
,Beilagen' die Quelle mit der wünfehenswerthen
Genauigkeit bezeichnet ift, vermiffen wir bei Beilage X.
jede Quellenangabe.

Klemzig. Pf. Kawerau.

Rühle, Pfr. A. H., David Samuel Roller. Lebensbild eines
fächfifchen Pfarrers aus der erften Hälfte diefes Jahrhunderts
. Mit Roller's Bildnifs (in Lichtdr.). Leipzig
1878, J. Naumann. (IV, 327 S. 8.) M. 4. —; geb.
M. 6. —

Durch W. v. Kügelgen's Erinnerungen ift der Name
des fächfifchen Pfarrers D. S. Roller in weiteren Kreifen
bekannt geworden. Ein ausführliches Bild diefes originellen
Mannes, der in feiner Art an den Wandsbecker
Boten vielfach erinnert, wird daher dem zahlreichen Le-
ferkreife jenes Buches willkommen fein. Der am Schlufse
ausgefprochene Wunfeh, dafs die Leetüre in dem einen
oder andern Jünglinge, dem es in die Hände komme,
Luft erwecken möge zu dem Amt, das die Gerechtigkeit
predigt, mag mit ein Motiv abgegeben haben zur Veröffentlichung
diefer Lebensfkizze. Der Verf., Roller's
Nachfolger im Amt, war als folcher und durch perfön-
liche Beziehungen, in denen er mit dem Vorgänger ge-
ftanden, in den Stand gefetzt, das Bild bis in die kleinften
Züge forgfältig auszuführen. Mit lebendigen Farben
fchildert er den Mann, der im kleinen Kreife wirkend,
trotz aller Schrullen und Sonderbarkeiten durch feine
gefchloffene Perfönlichkeit, in der das Chriftenthum unter
der Form des evang. luth. Bekenntnifses Geftalt und
Leben gewonnen hat, weit über feine Gemeinde hinaus
eine wunderbare Anziehungskraft ausübt. Befonders
anmuthend ift der letzte Theil des Buches, der die Ge-
fchichte der erft im 66. Lebensjahre gefchloffenen Ehe
Rollers mit Clara von Pafchwitz darftellt, durch die Mittheilungen
aus den Tagebüchern diefer innerlich fo weit
geförderten Frau. In den erften Abfchnitten des Buches
hätte freilich Manches gekürzt werden könnnn. Vor
Allem berührt es unangenehm, dafs der Verf. fo vielfach
die eigne Perfon in feine Darfteilung hineinzieht.

Wenn die zahlreichen Exkurfe, die mit der Wendung
beginnen: .Erging es doch mir ebenfo , als ich u. f. w.'
aus dem Buche geftrichen würden, fo würde die Biographie
an Kürze, Einheitlichkeit und Lebendigkeit gewinnen.

Nufse. H. Lindenberg.

Schenkel, Dr. Daniel, Die Grundlehren des Christenthums

aus dem Bewufstfein des Glaubens im Zufammen-
hange dargeftellt. Leipzig 1877, Brockhaus. (XXIV,
529 S. gr. 8.) M. 9. —

Diefe Darftellung ift nicht fpeciell für Theologen,
fondern auch für gebildete Laien beftimmt. Der Verf.
hat das Ideal im Auge, ohne der Strenge wiffenfehaft-
licher Beweisführung irgend etwas nachzulaffen, Geift und
Gemüth des chriftlichen Volkes durch eine dem Zeitbe-
wufstfein angemeffene Form chriftlicher Erkenntnifs für
die alte und ewige Heilswahrheit wiederzugewinnen.
Es ift eine ebenfo fchwefe wie dankenswerthe Aufgabe,
die der Veteran des liberalen Proteftantismus fich hier
geftellt hat. Es ift die Aufgabe der ächten Apologetik.
Für diefen Zweck nun dürften Ton und Haltung des Ausdrucks
, auf die Verf. befonderes Gewicht legt — Hartmann
, Schopenhauer, Hafe u. f. w. hat er fich zum Vorbild
genommen — kaum zweckdienlich genannt werden.
Er fchreibt weder geiftreich und intereffant, noch durchfichtig
und klar, und wo er fchwungvoll wird, da fühlt
man fich nicht angenehm an-paftorale Rhetorik, ja in
Kraftausdrücken und Schlagworten bisweilen an das Pathos
des agitirenden Volksredners erinnert. Ausdrücke
wie ,anwidern', .Modergeruch der Verwefung' hätten wir
gern vermieden gefehen. Und die argumentatio ad koitti-
K£m wird doch zu ftark, wenn das Dogma von der
Menfchwerdung Gottes aus der überwundenen finnlich-
naiven Weltanfchauung hergeleitet wird, für die es keine
Schwierigkeit hatte, fich Gott perfönlich vom Himmel
auf die Erde fteigend zu denken, oder wenn gegen die
Satisfactionskraft des Opfers die Phrafe ins Feld geführt
wird: ,alfo Blut mufs niefsen unter allen Umftänden'.
Eine Popularifirung der modernen liberalen Dogmatik
darf doch nicht den Zweck verfolgen, dem aufgeklärten
Sohn unferer Zeit gegenüber dem .unheimlichen Abgrund
von Widerfprüchen', in dem ,nur ftumpfe Gedanken-
lofigkeit' es noch aushalten kann, möglichft leichten
Kaufs ein Hochgefühl der Ueberlegenheit zu verleihen.

Doch wenden wir uns zu dem theologifchen Inhalt
des Buches. Mit demfelben gefeilt fich Schenkel zu
Biedermann und Lipfius als Vertreter einer ftreng anti-
fupranaturaliftifchen Auffaffung der chriftlichen Religion;
aber er verfolgt eine eigenthümliche Methode. ,Indem
ich auf alles abftracte Wiffen, auf jede Art von Meta-
phyfik innerhalb der chriftlichen Erkenntnifsbildung verzichte
, gründe ich meine Darfteilung lediglich auf die
religiös-fittliche (innere) Erfahrung und fuche meine Lehr-
fätze aus pfychologifchen und offenbarungsgefchicht-
lichen Thatfachen, keineswegs aus logifchen oder fpecu-
lativen Deductionen zu fchöpfen. Die Glaubenslehre ift
mir die Erfahrungswiffcnfchaft des fittlich religiöfen Gei-
ftes. Meine Ueberzeugung trennt mich von dem reinen
Denken einerfeits, von der phantaftifchen (theofophifchen)
Weltanfchauung andrerfeits, überhaupt von jedem Verfahren
, welches zur Löfung der religiöfen Probleme die
intellectuelle oder äfthetifche, jenfeits der Erfahrung
liegende Speculation zu Hilfe nimmt'. Nach diefer Ankündigung
ift man denn freilich ftark überrafcht, wenn
die Darftellung ftatt mit der concreten Erfahrung mit
einer abftracten Fiction beginnt, und wenn unmittelbar
daran fich die Erzählung einer fragwürdigen Metaphyfik
anfchliefst, die dann durchgehend als Erkenntnifsquellc
für die chriftliche Heilswahrheit gehandhabt wird.

Die urfprüngliche religiöfeErfahrungsthatfachenun.die
nur der Unglaube leugnen kann, ift Sch. der vom Wiffen,