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Ausgabe:

1878 Nr. 16

Spalte:

404-405

Autor/Hrsg.:

Fähndrich, E. W.

Titel/Untertitel:

Die kirchliche Trauung eine Pflicht. Bemerkungen zu § 82 des Reichs-Civilehegesetzes oder zum Kaiserparagraphen 1878

Rezensent:

Köhler, Karl

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403 Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 16. 404

thums, um mit alle dem den Religionsunterricht lebensvoller
und anfchaulicher werden zu laffen. Denn es ift
der Schmerz des Verf.'s, dafs diefer Unterricht fich nur
allzu häufig auf der dünnen Heide des Dogmatismus bewegt
. Speciell bei Wiedergabe der biblifchen Gefchich-
ten hat W. ,die Refultate der wiffenfchaftlichen Bibelkritik
und -Erklärung für den Unterricht zu verwerthen
gefucht, indem er dem Urfprünglichen, von der Hand
ideen- und gemüthvoller Erzähler herftammenden, den
Vorzug vor den Einfchiebfeln und Ueberarbeitungen der
Compilatoren gab, Unverftändliches und Widerfprechen-
des befeitigte, Lücken ergänzte und den Text in ver-
befferter Ueberfetzung, überwiegend nach dem Bunfen-
fchen Bibelwerke, gab'. Doch genug. Es erhellt von
felbft, worauf dem ,religiöfen Dogmatismus' gegenüber
des Verf.'s Streben gerichtet ift.

In eine andere Sphäre des kirchlichen Unterrichts
weifen uns andere Lehrbücher aus letzter Vergangenheit.
Denn obere Claffen höherer Lehranftalten hat Dr. Fr.
Holzweifsig mit den vier Schriften im Auge gehabt,
welche zum Theil bereits in zweiter Auflage ausgegangen
find. Er gab für fie einen ,Leitfaden zur Bibelkunde
und Gefchichte des Reiches Gottes im alten und neuen
Bunde' (2. Aufl. Delitzfch 1878, Pabft. 196 S. gr. 8.
M. 1. 50), ferner einen ,Leidfaden zur evangelifchen Glaubens
- und Sittenlehre' (ebendaf. 1875. 125 S. gr. 8.
M. 1. 20), endlich einen ,Leitfaden zur Gefchichte der
chriftlichen Kirche' (2. Aufl. ebendaf. 1877. XVI, 136 S.
gr. 8. M. 1. 20), und drängte den eigentlichen Lehr- und
Lernftoff, der hier ausgebreitet wird, noch in einem
,Repetitionsbuch für den evangelifchen Religionsunterricht
' (ebendaf. 1878. IV, 158 S. gr. 8. M. 1. 80) zufam-
men, welches vornehmlich für Realfchulen, Seminarien
und höhere Bürgerfchulen beftimmt ift. Der Verf. bekennt
es felbft, im Geifte evangelifcher Wahrheit und
Freiheit zu fchreiben, fei fein erftes Beftreben gewefen;
denn es gelte bei ihm für felbftverftändlich, dafs ein
Lehrbuch für den evangelifchen Religionsunterricht auf
dem Grunde des Evangeliums, auf den Principien der
evangelifchen Kirche ruhen müffe. Diefes Streben zeigt
fich ebenfo in der ,Bibelkunde', wenn er den Ergebniffen
befonnener Schriftforfchung Rechnung tragend vornehmlich
den Inhalt der Schriftbücher und den Entwickelungs-
gang der heiligen Gefchichte zur Darfteilung bringt, wie
in der ,Glaubens- und Sittenlehre', wenn er klar und
warm und deshalb überzeugungskräftig den Reichthum
chriftlicher Lehre entfaltet, das fpecififch Theologifche
fcheidend von dem, was dem Gebildeten überhaupt zu
wiffen nöthig ift. Dabei wird das eigentlich Hauptfächliche
, was durch das mündliche Wort des Lehrers zu
entwickeln ift, überall durch gröfsere Lettern hervorgehoben
, und in weiteren, durch den Druck markirten Zu-
fätzen folgen dann Entwickelungen, welche vorwiegend
dem Lehrer, vielleicht auch begabteren Schülern von
Vortheil fein werden. Wir tragen kein Bedenken, den
anerkennenden Stimmen zahlreicher Eachzeitfchriften
beizutreten und mit ihnen auf diefe fleifsigen, reichhaltigen
Arbeiten hinzuweifen. Dem an dritter Stelle genannten
,Leitfaden' H.'s können wir hier noch Dr. A.
Wippermann's ,Kirchengefchichte für Haus und Schule'
zur Seite ftellen (3. Aufl. Grimma 1877, Genfei. VIII,
390 S. gr. 8. M. 4. —). Einer Charakteriftik derfelben
meinen wir überhoben zu fein. Sie will bekanntlich
als Commentar zu des Verf.'s ,Grundrifs der Kirchen-
gefchichte' dienen und hat ihrer objectiven, lebensvollen
Schilderung wegen fchon willige Aufnahme gefunden.
In der vorliegenden Geftalt nimmt fie eingehend auch
auf die jüngfte Blntwickelung der römifchen Kirche
Rückficht und bekundet den freien Blick des Verf.'s in
wohlthuender Weife, wo die im Mai 1873 erlaffenen
Gefetze beurtheilt werden. — Für die Schrifterklärung
im Gymnafium hat Director Dr. Thiele ein Hülfsmittel
geboten: ,der Römerbrief in der Gymnafialprima' (Leipzig
1878, Teubner. VI, 95 S. gr. 8. M. 1. 6b), nachdem
er die wefentlichften Beftandtheile feiner Arbeit
bereits im Schulprogramm von Barmen Oftern 1877
veröffentlicht hatte (29 S. 4). Sein ,exegetifcher Ver-
fuch' erhebt keinen Anfpruch darauf, eine felbftändige
wiffenfchaftliche Forfchung zu fein, hat aber die Arbeiten
der Neueren im Hintergrunde, ,vor Allem die des
Meifters in der neuteftamentlichen Exegefe, von Flof-
mann's'. Einleitende Vorbemerkungen über die Ver-
hältnifse der römifchen Gemeinde, den Zweck und die
Erfolge des Briefes find bei Seite geblieben: wohl aber
hat der Verf. darauf fein Abfehen gerichtet, ,in analoger
Weife und auf derfelben Linie wie die Interpretation
eines claffifchen Autors die von dem heiligen Schrift-
fteller fchöpferifch erzeugten Ideen nachdenkend zu ergründen
und ohne fremdartige Zufätze und nur nachbildend
wiederzugeben und allmälich als Glieder gröfse-
rer umfaffender Gedankengruppen zu begreifen'. Was
er nach diefer Seite hin geleiftet, wird von Anderen
dankbar benutzt werden können.

Leipzig. Wold. Schmidt.

Fähndrich, Past. E. W., Die kirchliche Trauung eine
Pflicht. Bemerkungen zu § 82 des Reichs-Civilehege-
fetzes oder zum Kaiferparagraphen. Gütersloh 1878,
Bertelsmann. (64 S. 8.) M. — 80.

Der Verfaffer fagt manches Schöne und Treffende
über Werthund Bedeutung der kirchlichen Trauung. Dafs
dabei die rechtlichen und die religiös-fittlichen Gefichts-
punkte nicht immer mit der wünfchenswerthen Schärfe
aus einander gehalten werden, mag bei dem populären
Zwecke der Schrift nicht hoch angerechnet werden. Aber
wenn er aus einander fetzt, dafs das ,göttliche Recht'
zur Ehe nur von dem ,amtlichen Diener des göttlichen
Wortes' zu erhalten fei, wie ja auch der König fein königliches
Recht durch die Vermittelung des Priefter-
thums empfange — Beweis: die Krönung der Hohen-
zollernkönige Friedrich I. und Wilhelm I., <— daher eine
nicht kirchlich gefchloffene Ehe gar nicht ,göttlich zu-
fammengefügt' heifsen könne, wenn er ebenfo den Segen
Gottes über den Ehebund an die Vermittelung des kirchlichen
Amtes gebunden denkt und fich dafür auf 4. Mof.
6, 22—27 beruft, als ob das evangelifche Predigtamt die
Fortfetzung des levitifchen Priefterthums wäre, wenn
überhaupt bei ihm fortwährend von ,Priefter' und ,Prie-
fterthum' die Rede ift, als ob das auf evangelifchem Boden
recipirte Begriffe feien, — fo liegen da Anfchau-
ungen im Hintergrund, gegen welche fort und fort als
unevangelifch Proteft eingelegt werden mufs. Von dem
§ 82 des Civilehegefetzes urtheilt er nicht mit Unrecht,
dafs derfelbe fo, wie er da fleht, in das Gefetz nicht
paffe, weil er nur einen heilfamen Rath ertheile, aber die
Macht zu deffen Durchfetzung fehle. Er fordert daher
eine Modifikation des Gefetzcs dahin, dafs denen, die
einer Kirche angehören, die Erfüllung ihrer kirchlichen
Verpflichtungen in Bezug auf die Trauung auch vom
Staate aus zur Pflicht gemacht, d. h. von ihnen erzwungen
werde; nur für die erklärt Religionslofen möge die
Civilehe beftehen. Abgefehen von Anderem hat er wohl
nicht bedacht, dafs auf diefe Weife für die Katholiken
das gefammte kanonifche Eherecht mit feinen hoch bedenklichen
Vorausfetzungen und Folgerungen mit ftaats-
(bez. reichs-)gefetzlicher Autorität bekleidet werden, die
übrigkeit fich zu deffen Durchführung verpflichten würde.
Von Seiten der Kirche will er gegen die Verächter der
Trauung kirchliche Zuchtmittel angewandt wiffen, worin
ihm beizuftimmen ift, fowie auch darin, dafs folche Zuchtübung
freilich nur geringe Wirkung haben wird, fo lange
fie nicht von einem in der Gemeinde lebenden kirchlichen
Rechts- und Ehrgefühl' getragen ift. Aber wenn
er wünfcht, es möge diefes letztere fich u. A. darin offen-