Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1878 Nr. 16

Spalte:

397

Autor/Hrsg.:

Pfleiderer, Rud.

Titel/Untertitel:

Pius IX. Ein zeitgeschichtliches Lebensbild 1878

Rezensent:

Plitt, Gustav Leopold

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

397

Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 16.

398

fchläge grofse Bedenken wecken; aber der Verf. will weder
Gefchichte noch Dogmatik lehren, und für das Ganze find
fie nicht entfeheidend; darum kann man an diefem Orte
von jenen Punkten fchweigen. Schwerer wiegt mir ein
anderes. Baumgarten tadelt nicht ohne Grund langverjährte
und tief eingewurzelte Irrthümer, an denen wir
leiden, mit fcharfen Worten. Dabei berückfichtigt er nicht
genug, dafs wir eben in diefen Irrthümern grofs geworden
lind, und dafs daher viele, die fie theilen und verthei-
digen, treffliche Männer und redliche Chriften fein können.
Dies hätte er ausdrücklich ausfprechen müffen; hier war
zwifchen den irrenden Perfonen und dem herrfchenden
Irrthum zu unterfcheiden. Dadurch, dafs er dies unter-
laffen hat, gewinnt die Schärfe feines Tadels eine Allgemeinheit
, die nicht berechtigt ift, und fie erhält den
Charakter perfönlicher Verbitterung; und das ift nicht
gut. Aber die Hauptgedanken, welche er entwickelt,
find richtig. Darum laffe man fich auf fie aufmerkfam
machen und weife fie nicht etwa von der Hand, weil es
Baumgarten ift, der fie ausgefprochen hat. Oder will
man einmal von Baumgarten nichts mehr lernen, nun fo
fchüttele man wenigftens nicht den Ernft feiner Ermahnungen
leicht mit einem wegwerfenden ,Kirchliche Frei-
heitsfehwärmereien' von fich ab, fondern laffe fich durch
ihn zu Luther weifen und verfuche, ihn aus Luther zu
widerlegen. Pls ift ein grofser Schade und eine Schande,
dafs fo viele evangelifche Theologen, die fich lutherifch
nennen, mit Luther felbft noch fo gar unbekannt find
und fich fo wenig unmittelbar von ihm lehren laffen.
Wie viele Irrthümer würden fallen, wenn durch wirkliches
hingebendes Studium feiner Schriften Lutherus in
den Herzen der evangelifchen Theologen Deutfchlands
als redivivus erftünde!

Erlangen. G. Plitt.

Hasemann, Pfr. J., Papst Pius IX. Ein Bild feiner Per-

fönlichkeit, feines Lebens und feiner Kirchenleitung.

Leipzig 1878, Fernau. (V, 73 S. m. Portr. in Holzfchn.

gr. 8.) M. 2. —
Pf leiderer, Dr. Rud., Pius IX. Ein zeitgefchichtliches

Lebensbild. Heilbronn 1878, Henninger. (VII, 77 S. 8.)

M. 1. 20.

Zwei kurze, für gröfsere Kreife berechnete Lebens-
befchreibungen des letzten Papftes, beide von Evangelifchen
verfafst. Nr. 2 ift weitaus die gelungenere Arbeit.
Der Verfaffer hat ein ziemliches Quellenmaterial benützt
und gut verwerthet. Die Darftellung ift überfichtlich und
klar, die Schreibweife natürlich und einfach, das Urtheil
wohl überlegt und mafsvoll. Die vier Abtheilungen find:
Offizier und Cavalier, Priefter und Prälat, Papft und Liberaler
, Reaktionär und Unfehlbarer. In diefer Folge foll
der Papft in feiner Zeit und im Papfte der Menfch gezeichnet
werden; und dabei hat der Verf. fich befondere
Mühe gegeben, die pfychologifche Entwicklung darzulegen
und begreiflich zu machen.

In allen diefen Beziehungen fteht Nr. 1 fehr zurück.
Auch hier hat es dem Verf. am guten Willen nicht gefehlt
, wohl aber am Können. Er hat allerlei Quellen
benützt, aber nicht immer die beften. In 15 Abfchnitten
fpeichert er vor dem Lefer ein fehr buntes Mancherlei
auf, aber der Stoff ift nicht recht geordnet und nicht
beherrfcht; man hat nicht feiten den Eindruck, wie wenn
man vor einer Trödlerbude ftünde. Die Darfteilung ift
nichts weniger als einfach; vielmehr ergeht der Verf.
fich nicht feiten in hohlen Redensarten und entwickelt
bei ziemlicher Gefchwätzigkeit vielfach ein ganz unbegründetes
Pathos. Kurz, das Schriftchen wäre am beften
ungedruckt geblieben.

Erlangen. G. Plitt.

Pf leiderer, Otto, Die Religion, ihr Wesen und ihre Geschichte
, auf Grund des gegenwärtigen Standes der
philofophifchen und der hiftorifchen Wiffenfchaft dar-
geftellt. 1. Bd. Das Wefen der Religion. 2. Bd. Die
Gefchichte der Religion. Zweite Auflage. Leipzig 1878,
Fues's Verlag. (XIII, 413 u. 495 S. gr. 8.) M. 12. —

Referent glaubte zunächft bei flüchtiger Verglei-
chung diefer ,zweiten Auflage' mit der im J. 1869 er-
fchienenen erften, dafs es fich nur um eine fogenannte
Titel - Auflage handle, d. h. um eine Ausgabe des alten
Druckes mit neuem Titel. Eine genauere Unterfuchung
hat indefs gezeigt, dafs wirklich das ganze Werk neu
gedruckt ift, aber in völlig unveränderter Geftalt.
Selbft in den literarifchen Notizen ift nicht die leifefte
Aenderung oder Ergänzung vorgenommen. So ift denn
die gefammte Literatur der letzten neun Jahre fowohl
auf dogmatifch - philofophifchem wie auf religionsge-
fchichtlichem Gebiete an diefer neuen Auflage durchaus
fpurlos vorübergegangen; und ftatt des auf dem
Titel prätendirten gegenwärtigen Standes' der Wiffenfchaft
müfste es vielmehr heifsen: ,auf Grund des
Standes von anno 1869'. — Vermuthlich hat der Herr
Verf. richtig erkannt, dafs an dem kühnen Wurf, mit
dem er einft hervorgetreten war, fich nicht herumflicken
laffe; dafs vielmehr, wenn überhaupt gebeffert werden
follte, ein völliger Neubau nöthig fei. Aber war es unter
folchen Umftänden richtig, den unveränderten Abdruck
zu geftatten? Denn dafs die Verlagshandlung ohne Genehmigung
des Verf. den Abdruck vorgenommen habe, ift
doch wohl nicht anzunehmen. — Auf jeden Fall aber
war die Verlagshandlung verpflichtet, diefe Ausgabe als
das zu bezeichnen, was fie ift, als einen ,zweiten unveränderten
Abdruck', nicht als ,zweite Auflage'.
Durch letztere Angabe wird ein unwahrer Schein erweckt
, der nur auf Täufchung des Publicums berechnet
fein kann.

Leipzig. E. Schürer.

Elliot, Charles D. D. Prof., A Treatise on the Inspiration
of the Holy Scriptures. Edinburgh 1877, T- & T.
Clark. (XII, 283 S. gr. 8.) Cloth. 6 sh.

Der Verfaffer beabfichtigt nichts Neues und Originelles
zu geben, fondern nur das in vielen Büchern
zerftreute Material in gedrängter Kürze für ungelehrte
Lefer zufitmmenzuftellen. Man darf alfo an das Buch
nicht den Mafsftab legen wie an eine theologifche Leift-
ung, fondern es mufs darnach beurtheilt werden, inwiefern
es diefem Zweck populärer Belehrung dient. Aber
das kümmert uns Deutfche nicht, da es nicht für ein
deutfehes Publikum beftimmt ift. Für uns hat es das
einzige Intereffe, zu zeigen, wie in einer, aber vielleicht
j der zahlreichften theologifchen Schule Englands und
i Nordamerikas die Theologie betrieben wird.

Die Infpirationslehre wird mit nackten Worten als
eine chriftliche Centraiwahrheit bezeichnet (p. 12), und im
ganzen Buch der chriftliche Glaube dem Glauben an die
im Infpirationsbegriff ausgedrückte Entftehung der heil.
Schrift gleichgefetzt; auch werden die Segnungen des
Chriftenthums einfach als Segnungen der Bibel ange-
fehen. Demgemäfs nimmt der Verf. von vornherein
feinen Standort in der als wahr vorausgefetzten orthodoxen
Infpirationslehre. Alle gefchichtlichen Unter-
fuchungen werden unter diefem Gefichtspunkt angeftellt
und find darum nicht wirkliche Unterfuchungen, fondern
lediglich Verfuche, die widerftrebenden Thatfachen
jener Lehre entfprechend zu. geftalten. Noch weniger
wird der Glaube an die Infpiration der heil. Schrift als
religiöfes Phänomen in Betracht gezogen und auf feinen
Werth für das religiöfe Leben geprüft. Es ift einfach
die Voraus fetzung, dafs der chriftliche Glaube mit jener