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Ausgabe:

1878

Spalte:

389-391

Autor/Hrsg.:

Bleek, Fr.

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Alte Testament. Vierte Auflage nach der von A. Kamphausen besorgten dritten bearbeitet von J. Wellhausen 1878

Rezensent:

Smend, Rudolf

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Thcologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 16.

39°

Wir fchliefsen damit, dafs wir die Zeitfchrift allen
Freunden des h. Landes auf's wärmfte empfehlen. Die
Mitglieder des Vereines erhalten diefelbc (4 Hefte jährlich
; gegen einen Jahresbeitrag von mindedens 10 Mark
gratis zugefandt. Die Aufnahme unter die Zahl der Mitglieder
erfolgt auf Grund einfacher Anmeldung bei einem
der Mitglieder des gefchäftsführenden Ausfchuffes: Lic.
Herrn. Guthe, Docent in Leipzig, Prof. D. E. Kautzfeh
in Bafel, Dr. ü. Kernen in Berlin, Prof. Dr. A. So ein
in Tübingen, Gymn.-Rector Dr. C. Zimmermann in
Bafel.

Zürich. K. Furrer.

Bleek, Fr., Einleitung in das Alte Testament. Vierte Auflage
nach der von A. Kamphaufen beforgten dritten
bearbeitet von Prof. J. Wellhaufen. Berlin 1878,
G. Reimer. (VIII, 662 S. gr. 8.) M. 10. 50.

In den drei erften Auflagen diefes Buchs hatte A.
Kamphaufen faft überall den Text des Bleek'fchen Heftes
erhalten und nur in der Form von Anmerkungen feine
divergirenden Meinungen fowie die feit Bleek's Tode
geführten Verhandlungen nachgetragen. Die vierte Auflage
in eben diefer Weife zu beforgen, trug er begründete
Bedenken. Grofse Partien des Buches waren jetzt
derartig antiquirt, dafs eine vollige Neugeftaltung der-
felben ein unabweisliches Bedürfnifs war. Diefe felbft
vorzunehmen lehnte Kamphaufen ab (vgl. Prot. K. Ztg.
8. Juni 1878) und fo übernahm auf feinen Wunfeh J. Wellhaufen
diefe Aufgabe.

Letzterer hat die Punkte in Angriff genommen, die
anerkannter Mafsen den heutigen Anforderungen nicht
genügten: er hat die fog. allgemeine Einleitung (d. h.
die Gefchichte des Kanons, des Textes und der Auslegung
) völlig und in der fpeciellen die Capitel über
Richter, Ruth, Samuel und Könige neu ausgearbeitet,
wozu noch ein Nachtrag betreffend die weitere Entwicklung
der Pentateuchkritik feit Bleek's Tode kommt. —■
Eine eingehendere Darlegung der letzteren war fchon
deshalb nöthig geworden, weil die Vatke-George'fche Anficht
in der letzten Zeit überrafchend viele Freunde gewonnen
hat. Auch die Beftreiter jener Meinung werden
es ohne Zweifel billigen, dafs die Argumente, auf die fie
fleh ftützt, auch einmal in einem auf weitere Kreife berechneten
Buche näher dargelegt find. W. läfst deshalb
dem unveränderten Abdruck des Bleek'fchen Capitels
über den Hexateuch zunächft (S. 152—169) die Ueber-
fetzung eines Auffatzes von A. Kuenen folgen, in dem
der bekannte Leidener Profeffor davon Rechenfchaft
giebt, wie und weshalb feine früheren Meinungen über
das Alter der fog. Grundfchrift im Laufe eines Jahrzehnts
fleh änderten. Wer den Auffatz lieft, wird dies
auf den erften Blick befremdende Verfahren Wellhau-
fen's begreifen. Mit folcher Aufmcrkfamkeit wie Kuenen
hat fchwerlich ein Anderer den Gang der Verhandlungen
verfolgt und fein Refumc ift in feiner Art unübertrefflich.
Er ift freilich ein entfehiedener Verfechter feiner Meinung;
aber jedes religionsgefchichtliche Raifonnement (was
nicht gerade feine Stärke ift) vermeidend hält er fleh
hier an Thatfachen, deren Discufflon kein Unbefangener
ablahnen kann. W. hat fodann Kucnen's Bericht bis auf
die neueften Erfcheinungen fortgeführt und feine Aus-
einanderfetzung an einigen Punkten ergänzt (S. 169—178).
Die herkömmliche Meinung, dafs die priefterliche Gefetz-
gebung aus alter Zeit datirc, wird in diefer oder jener
Form wohl noch einzelne Vertheidiger finden; dafs in der
vorexilifchen Gefchichte, foweit diefelbe uns bekannt ift,
für fie Platz fei, wird man fortan nicht mehr behaupten
dürfen. Die Feftftellung diefer Thatfache im Einzelnen
ift das wichtigfte Refultat, das die Unterfuchung der ATI.
Gefchichtsbücher (S. 181—267) ergiebt.

Wie fehr diefe bisher vernachläffigt find, zeigt die
überrafchende Fülle von neuen Beobachtungen, die W.

bietet. Wichtiger noch find die Gefichtspunkte, von denen
er dabei ausgeht. Der Compofition der gefchichtlichen
Bücher ift im Grofsen und Ganzen viel leichter auf die
Spur zu kommen als der der Genefis. Styliltische, gram-
matifche und lexicalifche Eigenthümlichkeiten der einzelnen
Quellen laffen fich hier wie dort nachweifen und
fie werden von W. aufmerkfam verfolgt. Die Hauptfache
ift aber die, dafs wir uns hier auf hiftorifchem
Boden befinden. Thatfächliche Zuftände und Ereignifsc
fpiegeln fich in verfchiedenen Relationen verfchieden
wieder, deren gefchichtliche Reihenfolge nach den für
alle Gefchichtsforfchung gültigen Gefetzen beftimmt werden
kann. Daneben verrathen die verfchiedenen Grund-
anfehauungen der einzelnen Erzähler und Diaskeuaften
deutlich genug die Zeit, in der oder vielmehr für die fie
gefchrieben find. Aufser jenem relativen Mafsftab befitzen
wir alfo einen abfoluten; beide find von einander
unabhängig und beftätigen fich gegenfeitig. Die älteften
Quellen find unfraglich diejenigen, welche mit den Vor-
ftellungen und Gebräuchen der fpäteren Zeit am ftärkften
contraftiren, und es ift merkwürdig zu fehn, wie die
charakteriftifchen Grundzüge der älteften Erzählungen in
den jüngeren einer nach dem anderen verfchwinden, um
Begriffen und Anfchauungen Platz zu machen, die der
alten Zeit fremd, der fpäteren denknothwendig waren.
Die Schlufsglieder der Reihe bilden zuletzt Erzählungen,
die für die Zeit, von der fie handeln, gar keinen, dagegen
grofsen Werth für diejenige haben, in der fie abgefafst
find. Die ATI. Gefchichtstradition hat eine Gefchichte
durchgemacht, die durchforfcht fein will, ehe von einer
erfpriefslichen Benutzung der Gefchichtsbücher die Rede
fein kann. Auch für die Einzeldata der fpäteren Relationen
giebt fie den wichtigften Werthmeffer. Diefe
Grundfätze find an fich nicht neu; man wird aber zugeben
müffen, dafs man bisher mit ihnen oft genug nicht
vollen Ernft gemacht hat. Namentlich verfährt Ewald
in diefer Hinficht oft methodelos. — Uebrigens wäre es
ein Irrthum zu meinen, dafs in Folge diefer Kritik
unferc Kenntnifs der vorexilifchen Gefchichte zufammen-
fchrumpfte; im Gegentheil wird diefelbe erweitert. Das
höchft charakteridifche Detail, das die älteften Quellen
in fo reichem Mafse bieten, wird auch von Ewald oft
genug mit den nicht gerade zarten Grundfarben der
fpäteren Relationen übertüncht. Es kommt erft zur Geltung
, wenn man von letzteren möglichft abfieht; dann
entftehen Bilder von überrafchender Anfchaulichkeit und
Lebensfrifche. Freilich erleidet die herkömmliche Vor-
ftellung vom alten Israel dabei erhebliche Modificationen
und in Folge deffen erfcheint auch die prophetifche und
nachexilifche Zeit in einem anderen Lichte als man fie
gewöhnlich betrachtet. — Mit Recht geht W. bei der
Analyfe der einzelnen Gefchichtsquellen überalt von
ihrem fachlichen Gehalt aus, der in der Regel fchon für
fich allein fichere Anhaltspunkte für die Beftimmung ihres
Zeitalters bietet. Es kommen deshalb im Lauf der Unterfuchung
alle wichtigeren Probleme der älteren Gefchichte
zur Sprache und W. verficht es, überall mit
wenig Worten die Sachlage refp. feine Meinung darzulegen
. Oft genug mufs er übrigens die Einzelexegefe
und namentlich die Textkritik zu Hülfe ziehn. Welche
Dienfte die LXX in letzterer Beziehung leiden kann,
hat er früher an den BB. Samuelis dargethan und zeigt
es jetzt am Königsbuch. Sie bedätigt ferner den an fich
nahe liegenden Gedanken, dafs die ATI. Gefchichtsbücher
aufser den fydematifchcnRedactionen noch allerlei
andere Umgedaltungcn durch Streichungen, Zufätze etc.
erfahren haben. Diefelben liegen nämlich zu einem nicht
geringen Theil diesfeits der LXX. Welchen Werth diefe
Thatfache hat, liegt auf der Hand. — An bemerkens-
werthen Einzelheiten möchte ich die Behandlung von
Jud. 19—21, 1. Sam. 7. 8. 12, den Abfchnitt über das
B. Ruth, die Nachweifung der ephraimitifchen Stücke
im Königsbuch, den Excurs über die Chronologie der