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1878 Nr. 15

Spalte:

378

Titel/Untertitel:

Thomas a Kempis, Vier Bücher von der Nachfolge Christi. 2. Aufl 1878

Rezensent:

Hartung, Bruno

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 15.

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gewifs fchon von Werth, manchem, dem fie faft entrückt
waren, jene beiden Wefenspunkte einmal nahe gebracht
und in den Mittelpunkt umfallender Erörterungen gefleht
zu haben. Somit handelt der erfte Theil der Schrift
vom Abendmahl. Das Abendmahl ift feinem Wcfcn
nach (p. 39) dasjenige von Chriflo eingefetzte Effen und
Trinken, durch welches wir nicht nur fein Gedächtnifs
feiern , fondern auch mit ihm in die innigfte Gemein-
fchaft eintreten — das Letztere, fofern wir feiner gedenken
als des Lebendigen und Wirkfamen. Der Segen
ift die Gewifsheit des von Chrifto ausgegangenen Heiles,
Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, und er-
weift fich in einem feueren Glauben, einem zarteren Ge-
wiffen und einer wärmeren Liebe, p. 48. Zum würdigen
Genufs gehört der Glaube, der in wirklicher Gottesfurcht
erkennt, wie viel ihm noch fehlt und in demüthiger
Gottesliebe daran arbeiten will, beffer zu werden. Darauf
hat fich denn auch die Vorbereitung zu richten, welcher
die Beichte dienen foll, und die ihren Ausgangspunkt
von dem in der Taufe gefetzten Vcrhältnifs zu nehmen
hat. Im Anfchlufs an die einzelnen Worte der allgemeinen
Beichte wird fodann im zweiten Theile die Lehre
von Gott, vom Menfchen und von der Sünde, von Chriflo,
feiner Perfon, als dem Menfchcnfohn im Sinne von
Pfalm 8, dem Gottesfohn im Sinne der vollkommenen
Gemeinfchaft mit Gott, feinem Werk der Erlöfung, das
er als der Sündlofe, für uns Geftorbene und nach unwiderleglichem
Zeugnifs Auferftandcne vollbracht, indem
er den Frieden im Bewufstfein der Liebe Gottes trotz
Sünde, Leid und Tod für fich und andere innerlich errungen
, von feinem Reich, vermittelft deffen er dem
Einzelnen fein Heil aneignet, — behandelt. Daran fchliefst
fich die Bitte der Vergebung der Sünden, welche
in der Kirche Chrifti — wohl zu unterfcheiden von feinem
Reich — fich vermittelt und in der Befferung fich
als thatfächlich erweift, bezeugt durch das Amen, welches
der Prediger in der Abfolution beftätigt. — So werden,
aufser den efehatologifchen Fragen, wohl alle wefent-
lichen Punkte derDogmatik berührt, in fittlichem und rcli-
giöfem Ernft, unter reicher Benutzung des Kirchenlieds,
unter möglichftem Anfchlufs an die Kirchenlehre. Die
Polemik gegen letztere ift im Text, wo fie unumgänglich
war, äufserfl zart behandelt; warum ift fie dann in den
Anmerkungen fo wenig gerecht, wie wenn die Trinität
als lediglich ,philofophifches Problem' bezeichet wird —
oder wenn der Vater nach der Verföhnungslehre nur
wider Willen (!) gnädig fein foll? Ref. hat hier nicht den
Standpunkt des Verf. zu beurtheilen, um fo w eniger, als
derfelbe naturgemäfs hier nicht ausführlicher begründet
ift, fondern das auf dcmfelbcn Gebotene. Aber je an-
erkennenswerther in vieler Beziehung das letztere ift,
um fo mehr weift es, wenn es gleichwohl nicht zu befriedigen
vermag, auf den Standpunkt felbft als einen nicht
haltbaren zurück. Oder ift es möglich, das Abendmahl
als den Mittelpunkt im Gemeinfchaftsleben hinzuftellen,
wenn man nicht eigentlich einfieht, wozu dies alles, da
das in ihm Gegebene auf dem einfacheren Wege des
gläubig aufgenommenen Wortes auch erreichbar wäre?
Das Specififche des Abendmahls, feiner Feier, wie feiner
Gabe, tritt hier, wie fo vielfach, gänzlich zurück. Die
Aneignung der auf ganz anderem Abendmahls-, wie Er-
löfungsbegriff beruhenden Lieder erfcheint dann vielfach
nahezu als poetifche Liccnz. Oder kann man der
Beichte, nicht der äufsern Form, fondern dem innern
Vorgang, deren Ausdruck fie ift, folche Bedeutung
zuerkennen, wenn es z. B. p. 200 heifst: ,Wird deine
Bitte erhört fein? Deffen darflt du zweifellos gewifs
fein, denn du bittefl ja nur um das, was Gott will, ja,
was er in der Ewigkeit längft gethan, was aber dir, der
du in der Zeit lebft, immer von neuem gewifs werden
mufs', _ wodurch jener Bitte nach dem ganzen Zu-
fammenhang nur ein fubjectiver Werth zukommt? So
kann die Schrift mit ihrem Ernft und ihrer mannigfachen

Anregung, die fie bietet, gewifs vielen Chriften ,die noch
nicht mit fich fertig find' zum Segen fein, ob fie aber
zu dem Fertigfein, deffen wir trotz der fortdauernden
Geltung von Phil. 3, 12 doch bedürfen, führen kann, ift
fehr fraglich. Gleichwohl kann jeder Verfuch, nach dem
Mafsc des vorhandenen Grundes pofitiv zu bauen, fowohl
als der würdigfte Wettftreit der auseinander gehenden
Richtungen, wie als der belle Prüfftein ihres praktifchen
Werthes begrüfst werden, und dem feitdem heimgegan-
genen, erft aus gegenwärtiger Schrift ihm bekannt gewordenen
Verf. darf Referent es mit dem Herausgeber
gern bezeugen , dafs derfelbe mit bedeutenden Geiftes-
gaben ausgerüftet und von hohem Streben befeelt, eine
aus tieffler Ueberzeugung und aus eigenem Innenleben
gefchöpfte Darftellung der chriftlichen Wahrheit — freilich
in feinem Sinne — gegeben habe.

Leipzig. Härtung.

Thomas a Kempis, Vier Bücher von der Nachfolge Christi.

Aus dem lateinifchenUrtext neu überfetzt Von v. Beth-
m ann-Hollweg). 2. Aufl. Hamburg (1878), Agentur
des Rauhen Haufes. (XII, 352 S. gr. 16. m. 1 Stahlft.)
geb. m. Goldfehn. M. 2. 40.

Der Gedanke an diefe neue Ueberfetzung entfprang
dem Ueberfetzer aus der Wahrnehmung, dafs keine früher
vorhandene der Einfalt und Treuherzigkeit des Originals
fo nahe kommt, wie es unfer liebes Deutfch zuläfst.
Ref. kann nach mehrfachen Vergleichen mit dem Original
und anderen Ueberfetzungen bezeugen, dafs die Erreichung
des angedeuteten Zieles meift eine befonders
gelungene ift. Um deswillen und weil es wohl das letzte
Vermächtnifs des feitdem heimgegangenen verdienft-
vollen Herausgebers ift, möge fein Wunfeh fich erfüllen
und auch diefer Verfuch dem Büchlein viele neue Freunde
bereiten.

Leipzig. Härtung.

Philemon oder von der christlichen Freundschaft. Aufzeichnungen
der Fräulein S. C. von Klettenberg u. ihres
Freundeskreifes. Herausgegeben von Franz De-
litzfch. Dritte Auflage. Gotha 1878, Schloefs-
mann. (XVIII, 241 S. gr. 16.) M. 2. 80; geb. M. 4. —

Mit Freuden begrüfsen wir eine neue Auflage diefes
ebenfo lieblichen als chakteriftifchen Schriftchens, mit
welchem der Herausgeber ein in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts erfchienenes Buch: ,DerChrift in derFreund-
fchaft' in neuer und vermehrter Geftalt ans Licht gezogen
hat. Es ift eine fchöne, zarte Blüthe der chrift-
j liehen Literatur, die nicht eben reich ift an Schriften über
| die Freundfchaft, viel weniger als die antike Literatur,
| und gehört mit zu dem Bellen und Innigften, was über
j diefen Gegenftand auf chriftlichem Boden gefchrieben
ift, fpec. charakteriftifch für die Zeit, aus der die hier
niedergelegten Aufzeichnungen flammen, als ein Gegen-
ftück zu dem rein äfthetifchen und humaniftifchen, nicht
feiten in demfelben Mafse unwahren, als überfchwäng-
lichen Freundfchaftscultus, wie er in jener Zeit kirchlicher
und politifcher Verkümmerung gepflegt wurde, in der
die Mafien weder in der Kirche, noch im Vaterlande
j eine höhere geiftige Heimath hatten und das individuellle
Leben überwucherte. Der Verf. führt feinen ,Philemon'
als einen chriftlichen ,Lälius' ein, und in der That entkräftet
derfelbe indirect am befien den alten Vorwurf,
der fo oft gegen das Chriflenthum erhoben worden ift,
als ob es die Freundfchaft nicht gehörig würdige, während
gerade auf chriftlichem Boden die Freundfchaft ihre
edelfte Pflege gefunden, und die Gefchichte der Kirche,
deren erfte Zeugen der Herr paarweife ausgefendet hat,
in ihrer Entftehung, wie in ihrer Fortbildung und Reformation
mit der Erinnerung an die fchönften und innig-