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Ausgabe:

1878 Nr. 15

Spalte:

369-373

Autor/Hrsg.:

Pawloff, A.

Titel/Untertitel:

Kritische Versuche zur Geschichte der ältesten griechisch-russischen Polemik gegen die Lateiner 1878

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 15.

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denen er dann für den Mangel an religiöfer Wärme und
Innigkeit durch imponirende , ruhige Majeftät Erfatz
zu bieten fucht. In diefem Letztern liegt eine Befchränk-
ung, die noch überwunden werden follte und uns nun
den Blick auf ein jahrhrhundertelanges Ringen um das
höchfte Ziel eröffnet.

Bonn. Benrath.

HaB.ioBi>, A., Kpimi'iecKie onbiTM 110 HCTopiu ApeBHMHUJeä rpcKopycc-
kor Ilo.ieMiiKii npoTUBii .laTiiuiiin,. C-UeTqi6ypn>. TanorpiMjMfr
UMnepaTopcKou BBa^eniB Ilayicb. 1878.

Pawloff, A., Kritifche Verfuche zur Gefchichte der älte-
ften griechifch-ruffifchen Polemik gegen die Lateiner.
St. Petersburg 1878, Druckerei der kaiferl. Akademie
d. Wiffenfchaften. (VI, 210 S. gr. 8.)

Im J. 1875 erfchien zu Moskau ein Werk von A. N.
Popoff: ,Literar-hiftorifcher Ueberblick über die alt-
ruflifchen polemifchen Werke gegen die Lateiner'. Die
kaiferl. Akademie der Wiffenfchaften beauftragte Herrn
Pawloff mit einer Kritik diefes Buches. Diefe Kritik
geflaltete fich zu einer eigenen umfaffenden Abhandlung,
in welcher Pawloff Schritt vor Schritt den hiftorifchen
Nachweifungen Popoff's von den älteften Zeiten, X. (IX.)
Jahrh., bis zur Epoche der florentincr Union gefolgt ift,
die aufserordentlichen Vorzüge der Arbeit hervorhebend,
aber auch die Lücken aufdeckend und die Mängel der-
felben ergänzend. Dem Ref. ift das Buch von Popoff
noch nicht zu Gefichte gekommen; aber aus der ausführlichen
Kritik, die ihm hier von einem ausgezeichneten
Gelehrten zu Theil geworden ift, läfst fich die Bedeutung
desfelben ermeffen. S. 108—112 hat Pawloff fein Urtheil
über das Werk zufammengefafst. Er erklärt, um nur den
erften Theil desfelben hier zu charakterifiren, dafs Popoff
in dem Abfchnitte, welcher der älteften ruffifchen Polemik
gegen die Lateiner gewidmet ift, erftens foweit möglich
die griechifchen Vorlagen, nach denen die ruffifchen Theologen
gearbeitet haben, ermittelt, fodann eine Reihe alt-
ruffifcher Ueberfetzungen derfelben ganz neu oder in
neuen Handfchriften entdeckt und endlich auch die felb-
ftändigeren älteften ruffifchen polemifchen Arbeiten durch
neue Funde vollftändiger oder in einem geficherteren
Texte vorgeführt hat, als dies bisher möglich gewefen.
Diefes Urtheil gilt auch mutatis iiuitandis für die folgenden
Capitel. Ueberall faft hat Popoff auf einem Boden
arbeiten müffen, den er fich felbft erft zu fchaffen hatte.
Die grofse Maffe des neuen Materials, welches er zu-
fammengebracht und zum erften Male zu disponiren und
zu kritifiren hatte, hat feiner Arbeit zwar an vielen Stellen
den Charakter einer bibliographifchen gegeben: fie enthält
eine Fülle neuer Einzelheiten, die noch nicht überall
ficher gruppirt und verwerthet find; aber, fo urtheilt
der Kritiker felbft, wie wäre das bei einer folchen Arbeit,
die eine ganze Literaturgattung zum erften Male aus dem
Verborgenen hervorgezogen hat, anders zu erwarten?
So gebührt diefem epochemachenden Werke das höchfte
Lob und ihr Verf. ift des Preifes, mit welchem ihn die
Akademie der Wiffenfchaften ausgezeichnet hat, durchaus
würdig.

Doch der Kritiker hat fich felbft nicht mit der blofsen
Kritik begnügt, fondern die Gelegenheit ergriffen, als
Nachfolger Popoff's auf dem neu gefchaffenen Boden die
Arbeit weiter zu führen, und zwar in doppelter Hinficht.
Pawloff hat in feinen ,Kritifchen Verfuchcn' nicht nur
eine Reihe der hiftorifchen Probleme, die Popoff geftellt
hat, gründlicher zu löfen verfucht als diefer, er hat auch
das Material durch neue Entdeckungen bereichert und
berichtigt. So zerfällt feine Arbeit in zwei Theile, in
einen kritifch-hiftorifchen (S. 5 — 108) und einen bibliographifchen
, der in der Form eines Anhangs (S. 115—
210) die Texte von 10 dogmatifch-polemifchen Werken

enthält, theils zum erften Male veröffentlicht, theils auf

J Grund neuer Handfchriften in berichtigter Ausgabe.

Die ruffifche dogmatifch-polemifche Literatur des
MA.'s fordert für fich zunächft ein rein hiftorifches und

j culturhiftorifches Intereffe. Dogmenhiftorifch betrachtet,
fo liefse fich fchon a priori urtheilen, bietet fie wenig
Belangreiches; denn die ruffifche Kirche ift auch in diefem
Punkte — und in diefem vielleicht noch mehr als
in irgend einem anderen — die Tochter der Byzantini-
fchen. Aber die verfchiedene politifche Lage, in welcher
Rufsland und Conftantinopel zum Abendlande im MA.
geftanden haben, fpiegelt fich doch auch in den dogmatifch
-polemifchen Werken; fie erhalten eine Localfärbung
(f. S. 3 f.), die freilich wiederum dem Kirchen- und Cul-
turhiftoriker intereffanter fein mufs als dem Symboliker.
Aber auch diefer wird von der Beobachtung Act nehmen
muffen, dafs die ruffifche Kirche des MA.'s fchon lange
vor dem 16. Jahrh. eine gewiffe Selbfländigkeit in der

; Ausprägung ihrer Eigenart bekundet, fo wenig es ihm
gelingen wird, diefelbe in irgend einer dogmatifchen

1 Formel zum Ausdruck zu bringen.

Muftern wir nun die einzelnen von Pawloff uns mit-
getheilten Actenftücke. Das erfte (S. 115—132) ift die
Schrift des ruffifchen Metropoliten Leo (f 1008) an die
Lateiner (Atovxog f.irrxgono'kixov ' Pioalag rtobg Qioitaiovg
rjxoi ngbg luxivovg negl xwv ecUiuov). Sie ift auch Anderen
fchon bekannt gewefen. Pawloff hat fie zum erften
Male nach drei Handfchriften der Moskauer Synodalbibliothek
(XIV. XV. XVII. Jahrh.) herausgegeben. Zu
Grunde gelegt ift die ältefte Hdfchr.; die Varianten der
beiden anderen, die unter fich völlig übereinftimmen, find
unter dem Texte mitgetheilt. Die Copie einer Athos-
handlchrift hat P. nicht verwerthen können wegen offenkundiger
Ungenauigkeit. Mitgetheilt wird, dafs auch im
Vatican und in Venedig fich je eine Handfchrift befinden,
von denen die erftere mit den beiden jüngeren moskaui-
fchen übereinzuftimmen fcheint. Der Text, den P. gegeben
, ift im ganzen lesbar. Doch fcheint es P. vermieden
zu haben, auch ganz offenkundige und leicht zu ver-
beffernde Fehler der Hdfchr. zu corrigiren. Der ruffifche
Metropolit beginnt feine Mahnrede an die ilvögsg gaitaloi
mit dem Hinweife, dafs das Gefetz Gottes des Fufses
Leuchte fei und dafs der in Dunkelheit gerathe, welcher
das Gefetz übertritt. Um aber den richtigen Weg zu
gehen, müffe man Glauben und Werke haben, eines allein
nütze^ nicht, all' ovv xi)v 7iiaxiv dal /tQorjyelöd-m xwv s'g-
ytov wg Irsicsliov ovaav x«i xuvxi] xwv igyiov inoixodo-
Liovpsvuiv y.ctl avvxriQOviitvwv sv xaixn. Diefer Eingang
ift vom Standpunkt der griechifchen Kirche völlig correct.
Er weift fofort darauf hin, unter welchem Gefichtspunkt
der Bifchof die Controverfe über die Azyma geftellt
wiffen will. In Frage und Antwort, Antithefis und Lyfis
wird fie nun im folgenden erörtert. Die Argumentationen
find rein biblifche. Die aus der griechifchen Polemik bekannten
loci, Chriftus fei ein Priefter nach der Weife
Melchifedeks u. f. w., fodann eine genaue Erklärung der
erften Abendmahlsfeier und des Todes und der Aufer-
ftehung Chrifti follen die Grundlage abgeben für die
orientalifche Praxis. Ausdrücklich wird unter Berufung
auf Chryfoftomus behauptet, dafs Jefus am Paffahmahltage
gekreuzigt worden fei, mithin das Paffah felbft nicht gefeiert
habe (/rgiöxrj xibv aQviuov fei nach dem Evangeliften
als der 10. Monatstag zu verliehen). Wäre es anders,
fo hätte Chriftus das Gefetz nicht erfüllt, die dlbOsia
wäre der a/.id nicht gefetzlich genau gefolgt und die Legitimität
des Leidens Chrifti ftünde in Frage. Der römi-
fchen Appellation an I Cor. 5 wird entgegengehalten, dafs
zwifchen Sauerteig und Sauerteig ein Unterfchied fei.
Vor dem egyptifchen habe Gott, vor dem pharifäifchen
der Herr gewarnt, aber nicht vor dem Lebengebenden,
der die todte Maffe neu bewegt. Der Gottmenfch felbft
ift der Sauerteig für die alte, todte Menfchennatur, wie
kann man alfo sv dgviwig feiern? Diefe letzte Bemer-