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Ausgabe:

1878 Nr. 13

Spalte:

314-319

Autor/Hrsg.:

Bauer, Bruno

Titel/Untertitel:

Christus und die Caesaren. Der Ursprung des Christenthums aus dem römischen Griechenthum 1878

Rezensent:

Overbeck, Franz

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I

3'3

Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 13.

314

hardt eignet fich das Wort Ewald's an (I, S.* 154): ,man
fühlt es Johannes an, wie ihm jedes Wort heilig war,
welches er einft aus Chrifti Mund gehört, und gerade in
der Art und Geftalt, wie er es gehört'. Das mag man
immerhin dem Johannes anfühlen, deffen Bild in den Gedanken
Luthardt's lebt, dem Lieblingsjünger des 4. Ev.,
deffen Auge für das tieffte Geiftcsleben des Logoschriftus
erfchloffen und in deffen Herz jedes Wort feines Meifters
wie ein fruchtbares Samenkorn gefallen fein foll. Aber
der Johannes, den uns unbeftreitbare hiftorifche Docu-
mente allein bezeugen, der fich noch auf dem Todeswege
Chrifti (Mark. 10, 35 ff.) von feinem Meifter den
Ehrenplatz zu feiner Rechten oder Linken in feinem
Reiche ausbittet, der als Säulenapoftel noch im Jahre 50
wider den gefetzesffcien Univerfalismus des Paulus für
die an Gefetz und Befchneidung geknüpften Praerogative
Ifracls eintritt, der kann nach allen Gefetzen der Pfycho-
logie nicht im Stande gewefen fein, im Verkehr mit Jefu
Worte, wie fie das 4. Ev. bietet, in fich aufzunehmen,
lang ausgefponnene Reden, für die ihm beim Anhören
nach den gefchichtlich feftftehenden Zeugnifsen für feine
Anfchauungen vom meffianifchen Reich jedes lebendige
Verftändnifs noch gefehlt haben mufs; in Wirklichkeit
müfste durch Nichtverftehen und deshalb auch Nicht-
behalten Polch' hoher Worte Jefu ein damnum irrepara-
bile für die Berichterftattung über diefelben von Seiten
des Johannes herbeigeführt fein, das durch keinerlei
fpätere Entwicklung desfelben, wie man annimmt, wieder
ausgeglichen fein könnte.

In feinem ganzen Buche hat Luthardt diefe und ähnliche
Anftöfse für den Referenten nicht zu befeitigen
vermocht; und fo darf er ja wohl, auch ohne noch einmal
auf das ganze Detail der johanneifchen Erage an
der Hand der Luthardt'fchen Arbeit einzugehen, fein
Schlufsurtheil über diefelbe dahin formuliren, dafs es ihr
trotz mancherlei Förderungen für das Verftändnifs des
4. Ev., die wir ihr verdanken, und bei aller Sorgfalt und
bei allem apologetifchem Eifer und Gefchick ihres Ver-
faffers doch nicht gelungen ift, die Entfcheidung der
kritifchen Frage im Sinne der kirchlichen Ueberlieferung
auf's.Neue ficher zu ltellen.

Nur noch zwei Bemerkungen. Luthardt giebt I, S.
170 f. Auseinanderfetzungen über feine Auffaffung ,der
Gefchichte der neuteftamentlichen Lehre oder beffer des
Wortes Gottes im N. Bund', die trotz der Ablehnungen,
mit denen fie verclaufulirt werden, als verfchämtc Con-
ceffion an die Forderung der neueren Theologie ange-
fehen werden müffen, dafs man den vcrfchiedenen
Formen und Phafen der gefchichtlichen Entwicklung des
Urchriftenthums, wie fie in den Schriften des N. T.'s zu
Tage liegen, in deffen Behandlung gerecht werden folle.
Indefs Luthardt coquetirt, dürfte man faft fagen, mit die-
fer wiffenfchaftlichen Forderung mehr, als dafs er ernft-
haft auf diefelbe eingeht. Denn er reducirt die zuge-
ftandene Entwicklung allein auf einen gefchichtlichen
Fortfehritt der göttlichen Offenbarung entfprechend der
von Gott gewirkten Weiterentwicklung der Kirche durch
neu ihr geftellte Aufgaben; dagegen löft er die heiligen
Autoren, die Zeugen, Träger und Berichterftatter von
diefer Offenbarung, fäuberlich aber willkürlich aus diefem
Entwicklungsprocefs heraus; fie bringen ihr auf jeder
Stufe derfelben alle diefelbe Empfänglichkeit entgegen
und haben auch alle wefentlich diefelbe Erkenntnifs derfelben
; finnlichere und geiftigere Auffaffung der Offenbarung
, verfchiedenartige Formulirung der religiöfen Gedankenwelt
, die fich an die Heilsthatfachen anfchliefst,
verfchieden je nach der Individualität der Schriftfteller
oder nach den verfchiedenen Bildungselementen, die auf
diefelben einwirken, mit einem Wort verfchiedene Lehrbegriffe
des N. T.'s giebt es nicht. Das ift der tieffte
Grund, warum es Luthardt fo leicht wird, über die Unter-
fchiede zwifchen dem gefchichtlichen Johannes und dem
Lieblingsjünger, zwifchen dem von den Synoptikern überlieferten
Erzählungs- und Redeftoff und den verwandten
Beftandthcilen des 4. Ev., zwifchen dem fynoptifchen
Chriftus und dem Logoschriftus u. f. w. hinwegzukommen ;
alle folche kleinlichen Unterfchiede werden gedeckt und
erklären fich nach Luthardt durch den im 4. Ev. vorliegenden
objectiven Fortfehritt der Offenbarung für eine
neue Entwicklungsftufc, die der aufblühenden heiden-
chriftlichen Kirche.

Dennoch kämpft Luthardt bisweilen nur noch mit
gebrochenen Waffen für die Annahme des gefchichtlichen
Charakters und der Authentie des 4. Ev. im ftrengeren
Sinne; fo macht er z. B. I, S. 400 und II, S. 313 Zuge-
ftändnifse in Betreff des Einfluffes der Subjectivität des
Evangeliften namentlich auf die von ihm nicht referirten,
fondern reproducirten Reden, welche trotz aller vorfichtig
beigebrachten Beftimmungen über die Grenzen diefes
Einfluffes die Beweiskraft der angeblich objectiven Kriterien
für die Treue der Berichterftattung nicht wenig
erfchüttern.

Bonn. Mangold.

Bauer, Bruno, Christus und die Caesaren. Der Urfprung
des Chriftenthums aus dem römifchen Griechenthum.
Berlin 1877, Groffer. (IV, 387 S. gr. 8.) M. 7. 50.

,Der chriftliche Heiland und die Träger des römifchen
Imperatorenthums find Erzeugnifse derfelben
Kraft, welche die Ahndungen und immateriellen Güter
des Alterthums in eine perfönliche, allmächtige Geftalt
zufammenzufaffen fuchte' (S. 1). Ehe die Chriften ,mit
der Predigt von ihrem Mittler und Gefalbten auftraten,
hatte Rom in den Caefaren die Mittler zwifchen Himmel
und Erde den Völkern hingeftellt' (S. 21). Rom und
Alexandrien find die Urheimat des Chriftenthums, nicht
Paläftina; Serieca und Philo feine eigentlichen Stifter,
Sencca vor Allem als ,Religionsftifter' ,ein wirklicher
Mitarbeiter am Urchriftenthum' (S. 46). Er ift der
wahre Schöpfer des chriftlichen Meffiasbildes (S. 306
vgl. S. 43 f.), er hat ,für das chriftliche Rom den Grund
gelegt' (S. 162), mit ihm haben die Poeten, Rhetoren und
Philofophen der erften Kaiferzeit überhaupt ,ein geift-
liches Rom gegründet, auf deffen Fruchtboden die Grundtypen
zu den Sprüchen, die darauf in den Formeln der
Evangelien und der paulinifchen Briefe unter die Mafien
des Reichs kamen, gezeitigt find' (S. 150). ,Die Römer,
die von Seneca die Einkehr in das eigene Ich und die
Prüfung von deffen Gebrechen und die Steigerung der
Lebensregeln zu einem idealen Extrem kennen gelernt
hatten, opferten der neueren Weisheit ihrer nationalen
Götter und entnahmen dem Judenthum feinen Monotheismus
und Gedanken des Gefetzes, um an diefen
Einheitspunkt die Erfahrungen und reichen Ausftrahlun-
gen ihres Gemüthes zufammen zu fchliefsen, aber fie
brachten in diefe kryftallifirte Welt auch das Seneca'fche
Bild des Einen Vollenders, der fich im Leiden der Welt
als Opfer bringt und die von der Mühfal des Lebens
Beladenen erleichtert und zu fich einladet' (S. 304). In
Summa: das Chriftenthum flammt aus griechifch-römi-
fchem, nicht jüdifchem Geifte, beruht auf den idealen
Ueberzeugungen des Piatonismus und Stoicismus, ift ins-
befondere aus den politifchen Erfahrungen der untergehenden
römifchen Republik hervorgegangen (f. befond.
S. 172) und in ihm concentriren fich alle auf perfönliche
Freiheit innerhalb des neu errichteten Weltzufam-
menhangs' gerichteten Beftrebungen der beginnenden
Kaiferzeit (f. befond. S. 345). Nur traditionelles Vorur-
theil verdeckt aber den fchon fehr fecundären Charakter
der neuteftamentlichen Schriften und insbefondere deren
Abhängigkeit von Seneca und Zeitgenoffen. Denn das
ältefte Stück davon, das Urevangelium, gehört erft dem
Anfang der Regierung Hadrian's an, und fo hat denn