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Ausgabe:

1878 Nr. 13

Spalte:

308-310

Autor/Hrsg.:

Godet, F.

Titel/Untertitel:

Commentaire sur l’Evangile de Saint Jean. Tome II. et III. 2. édition 1878

Rezensent:

Mangold, Wilhelm

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3°7

Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 13.

308

heilige Schrift und ihre Auslegung', 3) ,Die Kirchenge-
fchichte'; unter die zweite: r) Dogmatik, 2) Ethik und
3) praktische Theologie. Wenngleich diefe Zufammen-
faffung der prakt. Theol. mit Dogm. und Ethik dadurch,
dafs jetzt auch die piaktifche Theol. fyftematifche Form
habe, alfo nicht einer ,fyftematifchen Theol.' gegenüber-
geftellt werden könne, nicht genügend begründet ift,
wird Lange hierin doch wohl viele Nachfolger finden.
Aber in der hiftorifchen Theologie ift eine Dreitheilung,
welche die Gefchichte der Heilsoffenbarung und die Behandlung
der Offenbarungsurkunden als gleichgeordnete
Theile neben die Kirchengefchichte ftellt, entfchieden zu
verwerfen, umfomehr, da auffallender Weife die biblifche
Gefchichte unter den zweiten Theil geftellt wird. Die
Lange'fche ,Gefchichte der Heilsoff, zur Grundlegung
des Reichs Gottes' kann unmöglich noch neben der
,biblifchen Gefchichte' den Werth einer felbftändigen
theol. Wiffenfchaft beanfpruchen. Und wieder die Grenze
zwifchen der exegetifchen Theol. und der Kirchengefchichte
ift bei J. P. Lange eine verfchwommene: das
Leben Jefu und die Gefchichte des apoftol. Zeitalters
erfcheint bei ihm unter beiden Gebieten. In feiner Ein-
theilung der Kirchengefchichte aber fällt neben vielem
Anderen hauptfächlich das auf, dafs der Gefch. der Ver-
faffung das Kirchenrecht zugezählt wird, welches weder
in die Kirchengefchichte gehört noch in die Theologie
überhaupt. Lange's Eintheilung der Dogmatik ift bekannt
. Nach Analogie derfelben (philof., pofitive oder
kirchliche und angewandte Dogm.) baut er auch feine
,ethifche Trilogie' auf: philofophifche, chriftliche und angewandte
Ethik. Und da nun die philofophifche Ethik,
die den erften grundlegenden Theil der ethifchen Trilogie
bilden foll, doch der Behandlung des Sittlichen, welche
die ethifchen Syfteme der Philofophie • geben, nicht
gleichgeordnet werden kann, gelangt J. P. Lange zu der
monftröfen Unterfcheidung einer theologifchen philof.
Ethik und einer philofophifchen philof. Ethik. Der
angewandten Ethik' aber (1) ethifchc Sphären, Statiftik,
2) ethifche Heilsprincipien, Therapeutik, 3) ethifche Polemik
, 4) ethifche Irenik) gebührt eben fo wenig der Rang
einer eigenen theol. Disciplin wie der angewandten Dogmatik
.

Die fchriftftellerifchen Manieren und Eigenthümlich-
keiten J. P. Lange's find zu bekannt, als dafs fie hier
noch charakterifirt zu werden brauchten. Doch kann ich
nicht unterlaffen, gerade in Bezug auf die Encyklopädie
befonders zu bemerken, dafs in diefer Wiffenfchaft, in
der die Ableitung aus den erften Principien fchlechter-
dings erforderlich ift, eine , Vorausfetzungsfreudigkeit', die
von Anfang an aus einem den erheblichften Bedenken unterliegenden
fertigen Befitz heraus redet und dem Lefer
zumuthet, die Behauptung ftatt des Beweifes zu nehmen,
am wenigften an der Stelle ift. Statt, wie es nothwendig
wäre, den Aufbau des theol. Syftems von den einfachften
Grundlagen aus vor unfern Äugen fich vollziehen zu
laffen, giebt J. P. Lange faft durchweg nur eine fkizzen-
hafte Zufammenftellung der Refultate feiner Anfchauun-
gen über die verfchiedenen Disciplinen. Ein harmoni-
fches Gefammtbild der theol. Wiffenfchaft erhalten wir
nicht. Und felbft in den einzelnen Partien des Buchs
läfst die aphoriftifche Behandlung des Stoffs es nicht zu
der wünfcnenswtrthen Klarheit und Deutlichkeit kommen
(vgl. z. B. das S. 98. 99 über die Einleitungswiffen-
fchaft Gefagtej. Während gewiffe Lieblingsgedanken
(wie der von ,den in der Theologie mehr zu beachtenden
Synthefen', die fortwährend poftulirt werden, ohne dafs
jemals deutlich benimmt würde, was man fich dabei
denken foll, und welches wiffenfchaftliche Recht ihnen
vindicirt werden kann) immer wiederkehren, ftreift die abrupte
undzerriffeneDarftellungsweife vieles nur andeutend,
was entweder gar nicht berührt oder gründlicher be-
fprochen werden müfste. So ift das Buch wenig geeignet
, dem Anfänger zur Einführung und Orientirung zu

dienen; angehende Theologie-Studierende, für die es
doch beftimmt ift (S. IV), könnte es nur verwirren. Und
demjenigen, der mit dem Stoff vertraut ift, wird der me-
thodifchen Mängel wegen eine zufammenhängende Leetüre
des Buchs kaum zugemuthet werden können, zumal
da Stellen, bei denen fich nichts Geordnetes denken
läfst, fehr zahlreich find. Als Beifpiele folcher Stellen
führe ich nur an S. 3: ,Möchte man überhaupt die Synthefen
in der Theologie mehr beachten. So ift z. B.
der Sonntag eine verkannte Synthefe: das religiös-ethifche
Humanitätsgefetz des Dekalogs verbunden mit dem theo-
kratifchen Kultusgefetz. Gleiches gilt von der Synthefe
des Realen und Idealen. So fagt der richtige moderne
Domine: Jefus ift geftorben, aber nicht auferftanden,
Chriftus ift auferftanden , aber nicht geftorben. Am
meiften wird die Synthefe des gottmenfehlichen Lebens
mifshandelt'. S. 99: ,Wir dürfen fie (die Einleitungs-
wiffenfehaft) wohl mit Recht als Univerfalexegefe betrachten
; fie ift die fynthetifche Exegefe xorr s^nynqv'. S.
169: ,Die philofophifche Dogmatik hat die fymbolifche
Bedeutung des Philofophenmantels der alten Apologeten
(Ariftides, Juftinus) zu verwirklichen'. Dafs das
Buch viele treffliche Gedankenblitze und eine Fülle geift-
reicher Bemerkungen im Einzelnen enthält, foll hierbei
ausdrücklich anerkannt werden.
Breslau. L. Lemme.

Godet, Prof. Dr. F., Commentaire sur l'Evangile de Saint
Jean. Tome II. et III. 2. edition. Neuchätel 1877,
Sandoz. (XI, 528 u. 637 S. gr. 8.) M. 18. —

Godet, Prof.Dr. F., Commentar zu dem Evangelium Johannis.

2. Thl. 2., völlig umgearb. Ausg. Deutfch bearb.
von Pfr. E. R. Wunderlich. Vom Verf. autorif.
deutfehe Ausg. Hannover 1877 u. 78, Meyer. (XII,
595 S. gr. 8.) M. 10. —

Godet hat feine in dem I. Bde der 2. Aufl. feines
Commentars durch eine eingehende Behandlung der Jo-
hanneifchen Frage ausführlich begründete Gefammtan-
fchauung über das 4. Ev. (Vgl. Theolog. Literaturz. 1876
S. 367 f.) in den bald darauf erfchienenen beiden Bänden
feines Werkes, welche die Auslegung des Johanneifchen
Ev. in forgfältiger Neubearbeitung mittheilen, im Einzelnen
folgerichtig durchgeführt. Das 4. Ev. ein Werk des Lieblingsjüngers
zur Ergänzung, bzw. zur Richtigftellung des
fynoptifchen Berichts; fein Inhalt gefchöpft aus der per-
fönlichen Erinnerung feines Verfaffers auch in feinen
Chriftusreden und feinen Ausfagen über die Perfon Chrifti,
deren Eigenart nicht auf den Einfiufs des Alexandrinis-
mus oder Gnofticismus zurückzuführen ift; feine Haltung
gefchichtlich mit praktifcher Tendenz; denn nach einem
einfachen, fachgemäfsen Plan, der dem thatfächlichen Verlauf
des Lebens Jefu unter dem vorwiegenden Gefichts-
punkt einer Schilderung der Methode und der Erfolge
bezw. Nichterfolge feiner Wirkfamkeit entfpricht, foll
fein Verfaffer hauptfächlich das niedergefchrieben haben,
was ihn felbft zum Glauben an die Meffianität und göttliche
Würde Jefu geführt hat, um dadurch den Glauben
der chriftlichen Gemeinde in diefer Richtung zu ftärken:
das find die kritifchen Refultate, welche Godet Abfchnitt
für Abfchnitt und Vers für Vers des Evangeliums als
Ergebnifse der unbefangenen Auslegung desfelben zu erhärten
verfucht. Sogar den Appendix des Evangeliums
c. 21, I —23 glaubt er dem Lieblingsjünger vindiciren zu
können; neben der Gloffe 5, 4 und dem Abfchnitt 7,
53—8, 11, die Godet mit den meiften Kritikern für unechte
Zufätze erklärt, follen feiner Meinung nach nur
die beiden Verfe 21, 24. 25 nicht aus der Feder des
Johannes gefloffen fein. V. 24 hält er für eine Erklärung
der Freunde des Apoftels, welche die Abfaffung des
Evangeliums durch ihre Bitten veranlafst haben und mit
der Veröffentlichung desfelben zu gelegener Zeit betraut