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Ausgabe:

1878 Nr. 1

Spalte:

7-10

Autor/Hrsg.:

Drouven, G.

Titel/Untertitel:

Die Reformation in der Cölnischen Kirchenprovinz zur Zeit des Erzbischofes und Kurfürsten Hermann V., Graf zu Wied 1878

Rezensent:

Brieger, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1878. Nr. 1.

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r. En nen, Stadt-Archivar Dr. Leonh., Geschichte der Stadt

Cöln, meift aus den Quellen des Stadt-Archivs. 4. Band.
fColn und Neufs 1875, Schwann. (VIII, 889 S. gr. 8.)
*M. 14. —'

2. Dr ou ven, Pfr. Definitor G., Die Reformation in der Cöl-
nischen Kirchenprovinz zur Zeit des Erzbifchofes und
Kurfürften Hermann V., Graf zu Wied. Nach neuen,
bis jetzt theils unbenutzten, theils unbekannten Quellen
bearbeitet. Cöln und Neufs 1876, Schwann. (XVIII,
409 S. gr. 8.) M. 6. —
Zwei Bücher von fehr ungleichem wiffenfchaftlichen

Werthe!

Der gelehrte und rührige Archivar der Stadt Cöln
hat uns in dem neueften Bande feiner grofsen Gefchichte
Cölns, welcher die Zeit der Reformation behandelt, einen
wichtigen Beitrag zur Kirchengefchichte gegeben, wichtig
vor allem durch die neuen Mittheilungen, welcheEnnen
aus den reichen Quellen des Stadt-Archivs, gelegentlich
auch anderer Archive und Bibliotheken, feiner Darfteilung
eingewoben hat, überall mit gewiffenhafter Angabe
der Fundorte. In umfaffender Weife find von dem Verf.
die Urkunden des Stadt-Archivs, die in ihm befindlichen
Originalbriefe wie die Copienbücher, die Rathsprotokolle
wie die ,Acta et Processus' (welche die Proceffe und Verhandlungen
enthalten, die fich auf die Streitigkeiten der
Stadt mit den Erzbifchöfen beziehen), ferner alte nur
handfchriftlich vorhandene Sammlungen und Annalen,
wie des ,Gclcnius Farrago1, die Familien- und Stadt-
Chronik des Hermann von Weinsberg (f 1598), die im
J. 1695 abgefchloffenen ,Annales Metropolis Agrippinae
Coloniensis' des Jefuiten Hermann CromSach, für feinen
Gegenftand ausgebeutet, desgleichen die Matrikeln der
alten Univerfität Cöln, die ,Acta rectoralia1, das Album
der Artiftenfacultät, das Facultätsbuch der Juriften u. f. w.
(Genauere Auskunft über alle diefe Quellen findet man
in dem Vorbericht der von Ennen und Eckertz herausgegebenen
,Quellen zur Gefchichte der Stadt Cöln',
Bd. I [Cöln 186ÖJ, S. XX ff.)

Diefe Mittheilungen verleihen dem Werke Ennen's
einen dauernden Werth und laffen es uns einiger -
mafsen verfchmerzen, wenn der Verf. die aufsercölni-
fchen Quellen nur ausnahmsweife und die neueren For-
fchungen wenigftens nicht in dem Umfange herangezogen
und verwerthet hat, wie es zur Erzielung einer
die berechtigten Anfprüche der Wiffenfchaft befriedigenden
Darftellung nothwendig gewefen wäre. Naturgemäfs
tritt diefer Mangel am meiften bei demjenigen Ereignifs
der Cölnifchen Gefchichte zu Tage, welches von allen
in diefem Bande berührten die gröfste univerfalgefchicht-
liche Bedeutung hat, dem Reformationsverfuch des Erz-
bifchofs Hermann. Wäre es auch unbillig zu verlangen,
dafs derfelbe im Rahmen einer Stadtgefchichte erfchöpf-
end behandelt wird, fo hätte doch der Verf. gerade bei
diefem Abfchnitte feines Buches höhere Anforderungen
an fich ftellen miiffen, als gefchehen ift: feine Darfteilung
macht eine neue monographifche Behandlung Hermann's
von Wied fo wenig überflüffig, dafs fie vielmehr das
Verlangen nach einer allfeitigen Würdigung des für die
politifche wie kirchliche Gefchichte Deutfchlands gleich
wichtigen kurcölnifchen Reformanlaufes um fo lebendiger
hervortreten läfst.

Auch an Flüchtigkeitsfehlern wäre mancherlei zu
verzeichnen. Man vgl. z. B. die verfchiedenen Angaben
über Hermann's Alter auf S. 552, 567 und 568. Der
Domkaplan von Sayn-Wittgenftein wird S. 440, 516,
628 richtig Georg genannt, S. 412 dagegen Ludwig; desgleichen
fpricht Ennen S. 18 und 508 vom Afterdechanten
Grafen Thomas von Rheineck, S. 412 wird er dagegen
Johann genannt, was in beiden Fällen im Regifter zur
Verdoppelung ein und derfelben Perfon geführt hat.

Doch diefe Bemerkungen find nicht gemeint, den

Dank zu beeinträchtigen, den Ennen durch das, was er
uns bietet, reichlich verdient, vorausgefetzt, dafs man
fich auf feine Quellen-Citate verlaffen kann. Das fcheint
nicht immer der F*all zu fein. Leider find wir nur an
wenigen Stellen, Dank den Publicationen Krafft's, in der
Lage, Ennen in der Benutzung feiner Archivalien zu con-
troliren.

Immerhin aber können wir faft aus einem jeden Ca-
pitel Belehrung fchöpfen und nur feiten ift Unwichtiges
zu ausführlich behandelt (dahin rechne ich z. B. die Mittheilungen
über das Leben und Treiben des Dr. Matthias
Held S. 540—48). Wie reichhaltig der kirchenge-
fchichtliche Stoff ift, der in diefem Bande verarbeitet ift,
mag ein flüchtiger Ueberblick über den Inhalt vergegenwärtigen
. Nachdem der 3. Band mit dem Cölnifchen
Aufftande vom J. 1513 gefchloffen, führt uns Cap. 1
des vorliegenden Bandes die Nachwehen diefes Aufruhrs
vor. Cap. 2—15 befchäftigen fich u. a. mit den
fittlichen und wiffenfchaftlichen Zuftänden Cölns, dem
Humanismus dafelbft, mit dem Streit über die Judenbücher
und der Reuchlin'fchen Fehde, mit der Stellung
der Stadt zum Lutherthum und den verfchiedenen pro-
teftantifchen Regungen in Cöln, wie fie fich an die Namen
des Gerh. Wefterburg, Theod. Fabritius, Adolf Claren-
bach und an die Cölner Auguftiner knüpfen (S. 9—358).
In den Cap. 16—27 (S. 359 — 568) erhalten wir die fchon
befprochene Skizze der Reformverfuche des Erzb.
Hermann von Wied. Die folgenden 4 Cap. (28—31)
bringen die Gefchichte feiner Nachfolger, der Erzbifchöfe
Adolf v. Schauenburg (1547—56), Anton v. Schauenburg
(1556—58), Johann Gebhardt von Mansfeld (1558—62),
Friedrich von Wied (1562), der, vom Papft befehdet, von
Kaifer Max II. im Stiche gelaffen, 1567 wie fein Oheim
auf den erzbifchöflichen Stuhl von Cöln Verzicht leiftete,
endlich (1567—77) Salentin von Ifenburg (S. 569—645).
In den Schlufscapiteln 32—41 (S. 646—874) wird allerlei
nachgetragen über den franzöfifchen Krieg von 1552,
die Univerfität und das Jefuiten-Gymnafium in Cöln, die
theologifche Literatur Cölns (mit befonderer Berückfich-
tigung Caffander's), über das Augsburger Interim und
die Cölnifchen Provincial-Concile von 1548 und 1559, die
neuen Regungen des Proteftantismus in der Stadt, endlich
über die Cölnifchen Wiedertäufer von 1551—78 und
den Einflufs der niederländifchen Emigranten auf die
kirchliche Haltung der Cölner Bürgerfchaft.

Dabei befleifsigt fich der Verf. einer fo grofsen Unparteilichkeit
, wie man fie von einem aufgeklärten und
doch feiner Kirche aufrichtig ergebenen Katholiken nur
immer erwarten kann. Nirgends, fo viel Referent zu be-
urtheilen vermag, werden Thatfachen, welche dem Curi-
j alismus unbequem find, verfchwiegen oder befchönigt,
und die Beurtheilung von Perfonen ift mafsvoll und weit
entfernt von jener Verdächtigungsfucht, für welche Johann
Cochlaeus leider oft genug auch noch für die ka-
tholifchen Hiftoriker unferer Tage das Vorbild abgegeben
hat. Zwar ift Luther dem Verf. ein Revolutionär
(vgl. S. 392), aber er wird doch anerkannt als ,ein auf
dem Gebiete der Theologie, Philofophie, Jurisprudenz
und humaniftifcher Wiffenfchaft hochgebildeter Mann'
(S. 165), als ein .derber, urkräftiger Volksmann' (S. 170;
vgl. S. 435), als ,ein unerfchütterlicher Charakter, der im
Stande war, ganz allein den Kampf gegen die ganze
Welt aufzunehmen' (S. 170). Bezeichnend für den Standpunkt
des Verf. ift namentlich fein Urtheil über den
Hauptheldcn des mittleren Abfchnittes feines Buches,
i Hermann von Wied. Bei dem Erasmifchen Reformverfuche
Hermann's (1536) wird mit Nachdruck das Fehlen
■ jeder Nebenabficht betont: ,Er wollte nur reformiren,
| weil er fich in feinem Gewiffen für verpflichtet hielt, der
j Wahrheit Zeugnifs zu geben, die Schäden der Kirche
heilen zu Tieften und das Seelenheil feiner Diöcefan'en
ficher zu ftellen. Die Reform war ihm nicht, wie fo
I vielen andern Fürften, eine politifche Angelegenheit oder